Vera Weber kämpft an vorderster Front gegen den Mantelerlass, mit dem das Parlament den Bau von Windrädern und freistehenden Solaranlagen beschleunigen will. Die Umweltschützerin ist Präsidentin der Fondation Franz Weber und verwaltet damit das geistige Erbe ihres verstorbenen Vaters. Der «Nebelspalter» wollte von Vera Weber wissen, warum sie das Referendum gegen den Mantelerlass ergreift, und von welchen Grundsätzen sie sich bei ihrer Arbeit für die Natur leiten lässt.
Frau Weber, Ihre Stiftung sammelt zusammen mit anderen Organisationen Unterschriften für das Referendum gegen den Mantelerlass, mit dem der Bund den Ausbau erneuerbarer Energie voranbringen will. Wie läuft die Unterschriftensammlung?
Vera Weber: Es ist eine grosse Herausforderung, die Unterschriften in der kalten und nassen Jahreszeit zusammenzubringen, weil wenig Leute auf den Strassen anzutreffen sind. Der Mantelerlass ist zudem sehr komplex und schwierig zu erklären. Wir haben bis jetzt etwa 25’000 Unterschriften beieinander (Stand 14. Dezember).
Die Sammelfrist endet am 18. Januar. Schaffen Sie es, die notwendigen 50’000 Unterschriften zusammenzubekommen?
Ich weiss es nicht. Aber wir geben alles, dass es klappt. Es ist wichtig, dass das Volk über dieses Gesetz entscheiden kann.
Mit dem Mantelerlass soll vor allem der Bau von Solaranlagen und Windrädern erleichtert und gefördert werden. Was gefällt Ihnen daran nicht?
Der Erlass stellt das Interesse an der Energieerzeugung grundsätzlich über das Interesse des Naturschutzes. Wichtige Errungenschaften zum Erhalt unserer Landschaft werden so preisgegeben. Es macht aber keinen Sinn, die Natur zu zerstören, um das Klima zu schützen. Der Mantelerlass führt ausserdem dazu, dass Einsprachen von Privaten und Umweltorganisationen gegen Energiebauten aussichtslos sind.
Ist der Bau von alpinen Solaranlagen und von Windrädern für Sie grundsätzlich ein No-Go?
Solaranlagen sollten auf bestehende Infrastrukturbauten errichtet werden, nicht in der freien Landschaft. Wir haben noch immer sehr viele freie Dächer und Fassaden, um darauf Fotovoltaik-Panels zu montieren.
Aber Solaranlagen auf Dächern liefern im Winter fast keinen Strom. Bei alpinen Anlagen über der Nebeldecke ist das anders.
Das sehe ich differenzierter. Bei alpinen Solaranlagen in der freien Natur gibt es viele unterschätzte Probleme. Auch sie können mit Schnee bedeckt sein, und auch sie produzieren bei schlechtem Wetter keinen Strom. Hingegen gibt es im alpinen Raum ein grosses Potential an ungenutzten Dachflächen.
Experten sagen, dass die Energiewende ohne alpine Freifläche-Anlagen sowieso nicht zu schaffen ist.
Richtig ist, dass sich die Experten nicht einig sind. Aus meiner Sicht gibt es keine Belege, dass Solaranlagen in unberührten Landschaften notwendig sind. Der Schutz von Natur und Landschaft muss an erster Stelle kommen.
Und wie halten Sie es mit Windrädern?
Windkraftanlagen beeinträchtigen das Landschaftsbild stark. Zudem töten solche Anlagen unzählige Zug- und Brutvögel. Der Aufwand, um Windräder zu bauen, ist gross, vor allem im Wald. Es braucht Rodungen, Zufahrtsstrassen und riesige Betonsockel – ganz abgesehen von den vielen Tonnen Stahl, Kupfer, seltenen Erden und so weiter, die für den Bau nötig sind. Meiner Meinung nach sollten in der Schweiz keine riesigen Windräder gebaut werden.
Stellen Sie denn die Energiewende grundsätzlich in Frage? Man will ja wegkommen von fossilen Brennstoffen und von der Atomkraft.
Die Energiewende ist keine einfache Sache. Klar, man kann nicht immer gegen alles sein. Aber es gibt zum Beispiel andere Modelle von Windrädern, welche die Landschaft weniger beeinträchtigen. Sie weisen horizontal drehende Rotoren auf.
Das tönt sehr experimentell.
Nein, es gibt in Spanien ein Unternehmen, das solche Windräder baut. Man kann sie neben bestehenden Infrastrukturen aufbauen. Es gibt kaum Lärm und keine toten Vögel. Generell sollte man im Energiebereich vermehrt andere Möglichkeiten prüfen.
Nochmals gefragt: Wie stehen Sie zur Energiewende?
Ich bin keine Spezialistin für Energiethemen, darum ist es für mich schwierig, den richtigen Weg zu kennen. Was es braucht, sind unabhängige Experten. Und es sind Massnahmen nötig, um Strom zu sparen.
Geht das wirklich auf?
Die Schweiz ist bisher mit ihrem bedächtigen, langsamen Vorgehen immer gut gefahren – auch im Energiebereich. Jetzt aber herrscht plötzlich grosse Eile. Es gibt den Solarexpress, den Windexpress und weitere Notgesetze. Ich befürchte, dass solch überstürztes Handeln dem Land schadet. Man sollte Tempo herausnehmen und nach Lösungen suchen, die sicher funktionieren. Wie gesagt, gehören Stromsparmassnahmen dazu.
Das Referendum wird unter anderem von Massnahmen-Kritikern und bestimmten SVP-Sektionen mitgetragen. Wie wohl ist es Ihnen in diesem Kreis?
Wir von der Fondation Franz Weber haben das Referendum zum Schutz der Natur lanciert. Wenn weitere Gruppierungen Unterschriften sammeln, ist uns das noch so recht. Am Schluss werden alle Unterschriften zusammengezählt
Die grossen Umweltorganisationen wie Pro Natura oder WWF sind hingegen nicht dabei. Enttäuscht Sie das?
Diese Organisationen waren bei der Erarbeitung des Mantelerlasses eingebunden. Sie konnten aus Sicht des Naturschutzes immerhin einige Minimalziele erreichen. Ich verstehe, dass sie darum das Referendum nicht mittragen können.
Wir führen dieses Gespräch im Giessbach-Hotel am Brienzersee, das Ihr Vater Franz Weber genau vor 40 Jahren vor dem Abbruch bewahrt hat. Er war ein leidenschaftlicher Kämpfer für Natur, Tiere und Landschaft. Er setzte sich unter anderem für den Erhalt der Landschaft im Oberengadin und der Rebberge über dem Genfersee ein. Was hat Ihnen Ihr Vater mitgegeben?
Den Kampfgeist. Mein Stil ist allerdings etwas anders. Ich bin ruhiger und sanfter - aber nicht weniger hart. Wenn ich als Frau so auftreten würde wie mein Vater, würde man mich als hysterische Furie oder so erachten.
Sie haben Ihren Vater einmal als «zornigen, brüllenden Löwen» bezeichnet. War es so schlimm?
Ja, er konnte ziemlich laut werden, wenn ihm etwas nicht passte – in der Öffentlichkeit, aber auch im privaten Kreis.
Wie war sein Erziehungsstil?
Erzogen wurde ich von meiner Mutter. Mein Vater hatte dazu keine Zeit. Aber mit seinem Engagement war er für mich immer ein Vorbild.
Sie haben in einem früheren Interview gesagt: «Ich will keine Kinder, denn die Arbeit ist mein Kind – und durch sie kann ich viel mehr Kindern auf dieser Welt helfen.» Haben Sie tatsächlich wegen der Stiftung auf Kinder verzichtet?
Meine Eltern hatten wenig Zeit für mich. Darunter habe ich oft gelitten. Ich war viel alleine. Ich befürchtete, dass es meinen Kindern auch so ginge, wenn ich welche hätte. Abgesehen davon hatte ich auch keinen Kinderwunsch.
Die Fondation Franz Weber, die Sie führen, ist immer wieder sehr erfolgreich. Sie haben etwa die Zweitwohnungs-Initiative durchgebracht und das Grossaquarium in Basel verhindert. Was macht den Erfolg aus?
Wir sind eine kleine, wendige und unbürokratische Stiftung. Deshalb können wir schnell entscheiden, falls nötig.
Liegt es auch daran, dass Sie immer wieder den richtigen Riecher für brennende Themen haben?
Ich glaube eher, dass unser Herzblut entscheidend ist. Wir kämpfen jeweils mit vollem Engagement für eine Sache. Echte Betroffenheit macht stark. Zudem sind wir völlig unabhängig.
Ihre Gegner würden Ihnen wohl vorwerfen, immer alles verhindern zu wollen. Wie gehen Sie damit um?
Das ist mir egal. Wir engagieren uns für Tier- und Naturschutz. Und oft ist das Volk der Meinung, dass wir recht haben – man denke etwa an die erfolgreiche Zweitwohnungs-Initiative.
Ihre Stiftung engagiert sich für unzählige Projekte zur Rettung von Tieren, Natur und Landschaft – und das im In- und Ausland. Besteht da nicht die Gefahr, sich zu verzetteln?
Unsere Projekte sind meistens historisch gewachsen – wie etwa diejenigen für den Schutz von Elefanten in Afrika, für den Schutz von Pferden in Australien oder für ein Verbot von Stierkämpfen. Gleichzeitig müssen wir viele Anfragen für Unterstützung abweisen, weil unsere Kapazitäten eben doch beschränkt sind. Wir werden ja regelrecht überhäuft mit solchen Anfragen.
Was ist ausschlaggebend, dass Sie sich als Stiftung für eine Sache engagieren?
Wichtig ist, dass wir vor Ort bereits über Kontakte verfügen, um tätig zu werden. Wenn das fehlt, wie es etwa in Asien oder Osteuropa der Fall ist, wird es schwierig. Andere Organisationen können dann mehr erreichen. Entscheidend ist auch, ob überhaupt Aussichten bestehen, dass ein Engagement erfolgreich sein kann. Wenn zum Beispiel alle Einsprachefristen schon abgelaufen sind, müssen wir uns fragen, ob es überhaupt noch Chancen gibt.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, den man Ihnen als Stiftungspräsidentin erfüllen könnte, welcher wäre das?
Ein Nein zum Mantelerlass im kommenden Jahr wäre toll. Dann könnten wir die Energiewende mit mehr Bedächtigkeit in Angriff nehmen. Denn nur «Klima, Klima, Klima» zu rufen und dabei den Schutz der Natur zu vergessen – das kann es nicht sein.

