Die Fakten: In den Niederlanden kommt eine neue Regierung an die Macht – unter Beteiligung der Rechtspopulisten von Geert Wilders.
Warum das wichtig ist: Das wird Europa erschüttern, darunter vor allem die EU. Im Guten.
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Wenn das der Rechtspopulismus ist, vor dem uns besonders die deutschen Journalisten und Linkspolitiker warnen, dann lassen wir uns das gerne gefallen:
- Das Programm der neuen Koalition, die im Haag die Regierungsgeschäfte übernehmen soll, ist ein Programm, das so gut wie jeder Liberale und Konservative in Europa unterzeichnen kann
- Gewiss, nicht in allen Details, aber in den groben Zügen: Common Sense kommt wieder an die Macht
Die Koalition besteht aus vier Parteien: allen voran die Siegerin der letzten Wahlen, die «Partei der Freiheit» von Geert Wilders (PVV), einem der bekanntesten Rechtspopulisten des Kontinents, dann die Liberalkonservativen von der bisher regierenden VVD («Volkspartei für Freiheit und Demokratie»), überdies die neue zentristische Partei NSC («Neuer Sozialvertrag»), schliesslich die rechte Bauernbewegung BBB («BoerBurgerBeweging»).
Welchen Common Sense meine ich?
Eine Auswahl:
- In der Asylpolitik soll eine Wende herbeigeführt werden. Was die sozialdemokratische Regierung von Dänemark vorgemacht hat, will nun auch Holland verwirklichen.
- Unter anderem, indem die Bearbeitung von Asylanträgen ausgesetzt werden kann, falls der Zustrom zu überwältigend ist
- Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus sollen leichter weggewiesen werden
- Ebenso will man den Familiennachzug erschweren und die Zuteilung von Sozialwohnungen an Asylbewerber beschränken
- Natürlich will man die Grenzkontrollen verschärfen
Um diese Wende zu beschleunigen, hat die Koalition die «Asylkrise» ausgerufen und plant den Erlass eines entsprechenden «Asylkrisengesetzes». Ziel ist es, schon nach zwei Jahren die Asylzahlen deutlich hinunterzubringen.

Etwas vollmundig verspricht Wilders «das härteste Asylregime Europas» – und die Koalition kündigt jetzt schon an, dies selbst gegen den Widerstand der EU umzusetzen. In Brüssel zittern die Asylbeamten.
Wenn ich Beat Jans (SP), unserem Asylminister, eine Ferienreise empfehlen darf: Nehmen Sie das Schiff in Basel und tuckern Sie nach Holland!
- Energiepolitik. Der Klimawandel wird nicht geleugnet, (und die Pariser Klimaziele eingehalten), aber die Klimapolitik soll neu, nämlich realistisch aufgestellt werden: Man möchte, so heisst es im Koalitionsvertrag, den Fokus auf die «Anpassung an den Klimawandel» legen. Innovation statt Verbote.
- Auch Symbolisches drückt diesen neuen Ansatz aus: Auf den Autobahnen soll tagsüber wieder Tempo 130 gelten – statt 100
- Und der Viehbestand wird nicht reduziert – diese klimapolitisch motivierte Politik der Vorgängerregierung hatte die Bauernbewegung erst so stark gemacht
Wenn die neue Regierung überdies für die Niederlande mehr «Energieunabhängigkeit» anstrebt, dann ist auch das nur vernünftig, will heissen: man will weniger Strom aus dem Ausland beziehen, stattdessen die eigenen Kapazitäten steigern.
- Konkret: Das letzte, noch betriebene AKW von Borssele an der Nordsee soll weiterlaufen
- Ausserdem möchte man den Bau zwei neuer AKWs fortsetzen und darüber hinaus zwei weitere neue AKWs bewilligen. Also insgesamt entstehen in den kommenden Jahren in Holland vier neue Kernkraftwerke.
Atom. Atom. Atom. Albert Rösti (SVP), reisen auch Sie nach Holland!

3. Finanzpolitik. Die Regierung will die Einkommenssteuern und die Unternehmenssteuern spürbar senken. Das ist erfreulich.
Weniger erfreulich, sondern rechtspopulistisch: Der Staat soll auch mehr Wohnungen errichten, den Selbstbehalt in der Krankenversicherung halbieren und mehr Kindergeld ausschütten
Um das zu finanzieren, und deswegen erwähne ich es, will die Regierung allerdings neue, richtige Wege gehen
- Bei den Beamten soll in erster Linie gespart werden (weniger Beamten, und weniger grosszügige Saläre)
- Die Entwicklungshilfe wird heruntergefahren
- Und Holland will weniger Geld an Brüssel überweisen. Zur Zeit ist das Land einer der grössten Nettozahler der Union
Mit anderen Worten, Karin Keller-Sutter (FDP), auch Ihnen könnte eine Reise an die Nordsee guttun.
Selbstverständlich musste Wilders, der böse Wolf, auch Kreide fressen.
- Von seiner Islam-Obsession ist in der Koalitionsvereinbarung nicht viel übriggeblieben. Moscheen werden nicht geschlossen, der Koran nicht verbannt
- Ebenso erhält Wilders das Amt des Premierministers nicht, sondern bleibt im Parlament als Fraktionschef (wie alle übrigen Chefs der Koalitionsparteien). Noch ist offen, wer die Regierung führt
- Schliesslich kommt es in absehbarer Zeit zu keiner Abstimmung über die Mitgliedschaft der Niederlande in der EU. Der Nexit muss warten – wie die Idee eines EU-Austritts in Holland nach dem Vorbild des Brexits in Grossbritannien genannt wird
Allerdings spricht es für Wilders, dass er sich und zwei seiner Herzensanliegen zurückgestellt hat, um endlich in der Regierung für eine andere Politik zu sorgen.
Sollte Holland Erfolg haben, was natürlich offensteht, wird es Europa verändern.
- Zwar ist Holland keine Grossmacht, die es mit den EU-Giganten Frankreich und Deutschland aufnehmen könnte,
- aber innerhalb der EU gehört es zu den einflussreichsten Ländern
Ursprünglich eine Republik, dann eine Weltmacht, schliesslich eines der liberalsten Länder des Westens verpuppt sich das Land von neuem.
Ein Vorbild auch für die Schweiz.
- Nicht nur unsere Bundesräte sollten jetzt in den Haag reisen,
- sondern alle übrigen Schweizer (und ich sage das ohne monetäre Interessen. Ich besitze kein Reisebüro, das sich auf Flussreisen spezialisiert hat)
Denn die neue Regierung wird im gesamten Westen auf Kritik stossen. Und viel Unsinn werden wir bald in unseren Medien lesen und hören. Umso mehr kommt es darauf an, dass man sich vor Ort ein Bild macht.
Ansonsten geschieht, was die Holländer mit einem Sprichwort so ausdrücken:
«Wie boter op het hoofd heeft, moet niet in de zon gaan lopen»
«Wer Butter auf dem Kopf hat, sollte nicht in die Sonne laufen.»
Ich wünsche Ihnen schöne Pfingsten
Markus Somm
PS. Übrigens will die neue Regierung die niederländische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Also sollte auch unser Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) bald nach Holland reisen.
PPS. Am Pfingstmontag gibt es kein Memo. Das nächste erscheint am Dienstag, 21. Mai 2024.

