Die Fakten: Um der Wohnungsknappheit zu begegnen, will die FDP, dass höher gebaut werden darf.
Warum das wichtig: Mehr Bauen klingt gut. Und doch hilft es kaum. Wer ist der grosse Elefant im Raum? Auflösung am Ende dieses Memos.
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Gemäss Avenir Suisse fehlen derzeit rund 10 000 Wohnungen pro Jahr, gemäss FDP sind es 51 000 bis 2026, was etwas mehr wäre. Fest steht: Es ist eng geworden in der Schweiz.
- Das Unbehagen im Kleinstaat hat einen neuen Namen
- Wohnungsnot
Aus diesem Grund hat die FDP schon vor einem Jahr versucht, den Linken das offenbar gut ziehende Thema abzunehmen, indem die Partei einen «6-Punkte-Plan gegen die Wohnungsknappheit» vorstellte, gestern wiederholte sie ihre Forderungen – jetzt strich sie vor allem eine heraus:
- Wenn die Schweiz weiterwachsen will, muss sie in die Höhe wachsen
- Die FDP verlangt, dass es in den Schweizer Städten erlaubt sein soll, eine oder zwei Etagen höher zu bauen – auf bestehende Gebäude
Konkret: Die wunderschönen Mietshäuser aus dem Fin-de-Siècle, wie sie viele Quartiere etwa in Zürich, St. Gallen oder Basel schmücken, dürften dann mit einem Corbusier-ähnlichen Betonstock ergänzt werden.
Nur für das Grossmünster und Häuser der Altstädte sowie besonders schützenswerte Ortskerne möchte die Partei Ausnahmen machen.
Das ist etwas überspitzt – im Grossmünster ist Wohnen (noch) nicht gestattet – und zeigt dennoch das Problem auf.
Wunderschön, grottenhässlich.
Hätten wir so gute Architekten wie um 1900 (die zumeist bloss Baumeister waren), müsste man die Folgen der Verdichtung, der die FDP so enthusiastisch das Wort redet, nicht fürchten.
Tatsache aber ist: Seit Le Corbusier, der grosse, aber totalitäre Grossarchitekt, unsere Architektenschulen heimgesucht hat, und sich die Moderne – schmucklos, Beton, immer eckig, menschenfeindlich – im Westen und Osten durchgesetzt hat, stellen wir fest:
- Die meisten Häuser, die heute gebaut werden, sehen aus wie Legohäuser, wie sie auch ein zehnjähriger Bub hätte entwerfen können
- Deshalb heisst Verdichtung heute eben in der Regel auch Verhässlichung
Wer es nicht glaubt, dem empfehle ich eine Reise nach Spreitenbach oder Sursee.
Das ist das eine, was die FDP unterschätzt. Der Verlust von Heimat, den das Vollbetonieren unserer Städte und Landschaften mit sich bringt.
Das andere: Warum haben wir überhaupt viel zu wenige Wohnungen?
Klar – und die FDP weist zu Recht auf diesen Missstand hin – ist es für Investoren unwirtlich geworden, überhaupt zu bauen, besonders in den Städten, wo rot-grüne Bautheologen einen Bauherrn begleiten, als handelte es sich um einen armen Sünder auf dem Weg ins Fegefeuer:
- Hier ein Ablass, da ein Rosenkranz, dort eine Vorschrift
- Wer den Denkmalschutz je als Gesprächspartner erlebt hat, meldet sich das nächste Mal gerne für eine Konsultation in der Hölle an
Kurz, es macht wirklich keine Freude mehr, in Zürich oder Basel zu bauen, es sei denn man ist ein Masochist, wie mir unzählige private Investoren bestätigen.
Und doch, bei allem rot-grünen Irrsinn: Das ist nicht die hauptsächliche Ursache für den Wohnungsmangel.
Es ist, sorry Economiesuisse, die Zuwanderung.
Das zeigen ein paar Zahlen.
- Zwar trifft es zu, dass jeder einzelne Schweizer ständig etwas mehr Wohnfläche für sich beansprucht, weshalb diese in den vergangenen Jahren pro Kopf auch gestiegen ist.
Doch das absolute Wachstum war viel spektakulärer – und dieses geht zum grössten Teil auf die Zuwanderung zurück, zumal die Einheimischen sich längst nicht mehr so fröhlich fortpflanzen wie noch in den frühen 1960er Jahre.

- Entgegen dem Eindruck, den man bekommt, wenn man sich mit potenziellen Bauherren oder bürgerlichen Politikern unterhält, wurde eben doch sehr viel gebaut.
Seit der Jahrhundertwende fast jedes Jahr immer mehr:
2001 wurden rund 29 000 Wohnungen errichtet
2021 waren es 45 000!

- Wenn man die weitverbreitete Klage hört, die Schweizer erwarteten eben auch immer mehr vom Wohnen, insbesondere verbrauchten sie unablässig mehr Fläche für sich selbst, dann beruht auch dieser Vorwurf auf einer verzerrten Optik.
Wie gesagt, die Ansprüche nahmen tatsächlich zu – aber interessanterweise in viel ausgeprägterem Masse in den 1980er und 1990er, zu einer Zeit also, da ausser ein paar Studenten, die so taten, als wären sie gerade ausgebombt worden, niemand von «Wohnungsnot» sprach.
Dagegen gaben sich die Schweizer (besser: die Inländer) ab dem Jahr 2000 eher bescheidener. Sie leisteten sich zwar etwas mehr Quadratmeter, doch das Wachstum flachte sich deutlich ab.

Wenn die FDP sich nun vermehrt um die angebliche oder reale Wohnungsknappheit kümmert, ist das sicher richtig. Dass sie aber den Elefanten im Raum behandelt, als wäre er eine Maus, ist grotesk.
Es ist Zeit, dass sich die FDP konstruktiv mit der Zuwanderung auseinandersetzt. Hier brauchen wir viel dringender realistische und wirksame Vorschläge, wie wir sie zurückfahren können.
- 2023 sind netto fast 100 000 Menschen in die Schweiz gekommen. Das ist die Stadt Winterthur
- Um diese vielen Zuzüger unterzubringen, braucht es mehr als ein paar zusätzliche Etagen
Gewiss, wir könnten auch ein paar Hochhäuser in den Zürichsee stellen. Warum nicht auf einer künstlichen Insel vor Horgen leben?
Oder wie es Oscar Wilde, der grosse irische Autor, ausgedrückt hat:
«Wäre die Natur behaglich, hätten die Menschen die Architektur nicht erfunden.»
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag
Markus Somm

