Rechtsübernahme: «Der Geltungsbereich ist klar definiert»
Bundesrat und Befürworter der Rahmenverträge betonen, die Schweiz müsse nur einen kleinen Teil der insgesamt rund 14’000 Rechtsakte der EU übernehmen. Deshalb sei die «dynamische Rechtsübernahme» gar nicht so schlimm.
Der Geltungsbereich sei «klar limitiert» sagt beispielsweise Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder. Der Bundesrat betont, dass die «Auswirkungen der dynamischen Rechtsübernahme klar begrenzt» seien. Doch wo steht das in den institutionellen Protokollen?
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Der Bundesrat verweist in seinem Bericht auf die Ziele der Abkommen. Diese stellten klar, dass der Geltungsbereich begrenzt sei. Da zu den Zielen allerdings die «Gleichbehandlung und gleiche Wettbewerbsbedingungen» für alle Unternehmen gehören, ist fraglich, weshalb die EU tolerieren sollte, wenn die Schweiz EU-Regulierung nicht übernimmt, an die sich Firmen in der EU halten müssen. Und es ist äusserst fraglich, ob das Schiedsgericht oder der Gerichtshof der EU (EuGH) im Sinne der Schweiz entscheiden würden.
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Im selben Bericht schreibt der Bundesrat zudem, der Geltungsbereich sei in den einzelnen Abkommen definiert. Das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse definiert zum Beispiel, dass die Rechtsübernahme für die Konformitätsbewertungen gilt. Daran ändert auch das Änderungsprotokoll ausdrücklich nichts. Darauf stellt der Bundesrat bei seinen Erläuterungen ab.
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Doch was darunter verstanden wird, bleibt unklar, wo diese Bestimmung endet, ist nirgends festgehalten. Gilt zum Beispiel die extrem bürokratische Nachhaltigkeitsrichtlinie für Unternehmen, deren Produkte eine EU-Konformitätsbewertung wollen? Der Bundesrat würde dies verneinen, ob Brüssel, das Schiedsgericht und vor allem der EuGH das gleich sehen, ist unklar.
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Im heutigen Freizügigkeitsabkommen fehlt diese inhaltliche Definition des Geltungsbereiches. Entsprechend ist völlig unklar, ob der Verweis auf den Geltungsbereich im neuen institutionellen Protokoll (PDF) überhaupt etwas aussagt. Der Bundesrat behauptet zum Beispiel, das Arbeitsrecht sei vom Freizügigkeitsabkommen nicht betroffen. Ob die EU das auch so sieht, ist unklar – auch hier wieder, weil das übergeordnete Ziel die «Gleichbehandlung und gleiche Wettbewerbsbedingungen» sind.
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Entscheidend sind also die konkreten Formulierungen in den einzelnen Verträgen. Beim Landverkehrsabkommen ist beispielsweise ausdrücklich der «grenzüberschreitende Eisenbahngüter- und -personenverkehr sowie der grenzüberschreitende kombinierte Verkehr» betroffen. Beim Strom- und beim Lebensmittelabkommen ist der Geltungsgbereich nicht klar begrenzt. Beim Gesundheitsabkommen ist auch die «Gesundheitssicherheit» begrenz. Doch was das alles beinhaltet, ist unklar.
Fazit: Die Aussage der Befürworter stimmt nur teilweise – und ausgerechnet bei der Zuwanderung nicht.
Was klar nicht stimmt sind Aussagen, wie «Was nicht im Abkommen erwähnt wird, ist nicht Teil davon». Die EU will im Grundsatz, dass die Schweiz EU-Recht übernimmt. Die Streitbeilegungsverfahren gibt ihr ein Instrument in die Hand, das durchzusetzen.
Meinungen zu den Rahmenverträgen
Zudem: Wie kreativ die EU Geltungsbereiche in Abkommen auslegt, hat die Schweiz bereits einmal erfahren. Im «Steuerstreit» beanstandete die EU ab 2005 Steuerregelungen der Kantone Zug und Schwyz und behauptete, diese seien eine Verletzung des Freihandelsabkommens von 1972, obwohl dort von Steuern gar nicht die Rede ist.
Sie erhöhte den Druck mit einer «grauen Liste» derart, dass die Schweiz die Steuerregeln für Holdinggesellschaften auf Anfang 2020 abschaffte. In Zukunft könnte sie einfach das Streitbeilegungsverfahren in Gang setzen, bei dem das Schiedsgericht die Rechtsauslegung des Gerichtshofes der EU anwendet. Und wenn es diese Auslegung nicht gibt, muss es den EuGH um eine verbindliche Auslegung fragen.
