Soll die Schweiz in die Nato?
Thierry Burkart, Präsident der FDP und Aargauer Ständerat.
Die Fakten: FDP-Präsident Thierry Burkart fordert eine sicherheitspolitische Annäherung an die Nato. Zwei Drittel der Schweizer lehnen allerdings einen Nato-Beitritt ab.
Warum das wichtig ist: Burkart zäumt das Pferd von hinten auf. Zuerst braucht es eine starke Armee, dann kann über Kooperation verhandelt werden. Das eine können wir sofort tun, das andere braucht Jahre.
Wenn der Tages-Anzeiger den Vorschlag eines freisinnigen Parteipräsidenten als «goldrichtig» lobt – und es sich beim Autor um einen profiliert linken Journalisten handelt, dann stimmt etwas nicht. Das ist etwa so, wie wenn der Papst sich über Gott äussert und Applaus von Atheisten erhält.
In einem Gastbeitrag für die NZZ und in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger hat FDP-Präsident Thierry Burkart letzte Woche eine sicherheitspolitische Standortbestimmung vorgenommen.
- In beiden Medien warb er für eine bessere Armee, insbesondere für die neuen Kampfflugzeuge – mit Überzeugung, ohne Wenn und Aber
- Doch diese Botschaft verhallte im Publikum weitgehend ungehört, weil Burkart selber viel lauter über eine Andockung an die Nato sprach
Natürlich sagte er das so nicht – aber es kam so an. Seine Befehlsausgabe bestand aus einer seltsamen Mischung von Vernunft und Resignation.
Wenn wir etwa den Artikel in der NZZ analysieren, dann zeigte sich schon mengenmässig, wo Burkarts Prioritäten lagen:
- Rund 75 Prozent des Textes wendete er auf, um über die Notwendigkeit zu reden, mit anderen zu kooperieren, falls es zum Krieg kommt
- 25 Prozent widmete er der Landesverteidigung der Schweiz
Mit anderen Worten, er sprach länger über unsere Ohnmacht als darüber, was wir selbst tun könnten, um uns im Notfall zu wehren.
Hätte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski zu Beginn des Krieges so gesprochen: Kein Ukrainer hätte eine Waffe in die Hand genommen, vielmehr wären Arbeitsgruppen eingesetzt worden, die einen Nato-Beitritt im Jahr 2035 vorbereiten sollten.
General Guisan, Oberbefehlshaber der Schweizerischen Armee im Zweiten Weltkrieg.
Gewiss, was Burkart sagte, war nicht falsch, wenn auch selbstverständlich. Die Igel-Schweiz, deren Ableben er ankündigte, hat es noch nie gegeben. Auch wenn die SVP zuweilen so tut, als hätten wir früher über eine besonders reichhaltige Igel-Population verfügt.
- Vor dem Zweiten Weltkrieg suchte General Guisan heimlich das Gespräch zur französischen Generalität. Bis in alle Details wurde die Zusammenarbeit geplant, die zum Zug kommen sollte, wenn die Nazis die Schweiz angriffen. Mit den Deutschen traf man keine solche Vereinbarungen. Stattdessen wurden im Raum Basel Geschützstellungen betoniert, die sich einzig für französische Geschütze eigneten. Schweizerische Kanonen hätten nicht hineingepasst. Guisan, ein grosser Patriot, wusste, dass die Schweiz auf sich allein gestellt nur schwer zu überleben vermochte
- Selbst auf dem Höhepunkt der Igel-Epoche, dem Kalten Krieg, war die Schweizer Armeeführung stets darauf gefasst, im Kriegsfall mit der Nato gegen die Sowjetrussen und ihren Warschauer Pakt zu kooperieren. Die Amerikaner schätzten die überaus gut gerüsteten Schweizer umso mehr, weil sie den «soft belly» Europas absicherten, wie man Italien in Nato-Kreisen nannte. Und natürlich achtete das EMD (heute VBS) auch damals darauf, dass man Rüstungsmaterial beschaffte, das sich reibungslos mit Nato-Waffen verbinden liess
Die gleiche Schweizer Armee legte aber Wert darauf, so viel wie möglich selbst an die Hand zu nehmen. Es war eine Armee der Selbstbewussten – geführt übrigens von mehrheitlich freisinnigen Korpskommandanten
- Man beklagte sich nicht über die offensichtlichen Grenzen des Kleinstaates, sondern tat alles, um diese Grenzen unüberwindlich zu machen
- Man arbeitete eng zusammen, aber sprach nicht davon. Wer es wissen wollte, wusste es. Vor allem die Russen, der Feind Rot in allen Manövern
Gemessen an unserer Bevölkerungszahl besass die Schweiz eine der grössten Armeen der Welt. Ende der 1960er Jahre zählte sie 880 000 Mann. Kaum jemand war so gut ausgebildet, niemand mobilisierte schneller, keine Armee erfreute sich eines so breiten demokratischen Rückhaltes im Volk. Swiss Quality.
Wer eine solche Armee besitzt, muss sich um seine Kooperationspartner keine Gedanken machen. Wer etwas zu bieten hat, der ist interessant.
Die Schweizer Armee in ihrer aktuellen Verfassung dagegen hat nicht sehr viel zu offerieren, was die Nato nicht schon selbst hätte.
- Sicher würde Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg das Telefon abnehmen, wenn Viola Amherd, unsere Verteidigungsministerin, anruft
- er würde ihr zwei, drei Vorschläge machen, wie man enger kooperieren könnte
- Vorschläge, gegen die in der Schweiz sogleich das Referendum ergriffen würde
Und wahrscheinlich ginge Stoltenbergs gut gemeintes Angebot in der Volksabstimmung unter wie ein schwerer Sack im Bodensee.
Denn kaum etwas ist in der Schweiz weniger mehrheitsfähig als ein Beitritt zur Nato – und selbst, wenn man zunächst nur kleine Annäherungsschritte vornähme: Volk und Stände wären kaum je dazu bereit.
Wie soll ein Volk, das nicht einmal ein Rahmenabkommen mit der EU gutgeheissen hätte, geschweige denn einen EU-Beitritt, wie soll ein solches Volk sich mit der Nato, dieser von den USA geführten Militärallianz in Europa, einlassen wollen?
Burkart irrt. Und er ist in die Falle der Linken getappt.
- Diese wollen über alles reden – selbst über die Nato und eine allfällige Kooperation
- Solange sie nicht über eine stärkere Armee reden müssen
- Vor allem eine Angst raubt ihnen den Schlaf: die Aussicht, dass die Armee jetzt mehr Geld erhielte
Vor wenigen Wochen hatte Burkart in dieser Hinsicht ein besseres Gespür gezeigt, als er zwei Milliarden mehr für die Armee verlangt hatte.
Nichts brachte die Linke mehr aus der Fassung. Oder wie es der Tages-Anzeiger ganz im Sinne der Linke formulierte:
- Einfach mehr Geld zu fordern sei «unsinnig»
- Aber zuerst über eine mögliche Annäherung an die Nato zu debattieren, was Jahre in Anspruch nehmen wird und am Ende in einer Abstimmungsniederlage endet: Das hält der Tages-Anzeiger für «sinnvoll»
Oder eben «goldrichtig».
Johann Wolfgang von Goethe, der deutsche Dichter, war da etwas aufrichtiger:
«Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles»
Ich wünsche Ihnen einen guten Wochenstart
Markus Somm