Somms Memo
Sommarugas Rücktritt. Privat motiviert, politisch überfällig.
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Die Fakten: Bundesrätin Simonetta Sommaruga tritt auf Ende Jahr zurück. Die Sozialdemokratin gibt persönliche Gründe an.
Warum das wichtig ist: Zuerst Ueli Maurer (SVP), jetzt Sommaruga (SP). Die Doppelvakanz ermöglicht eine dringende Auffrischung der Regierung.
Im Dezember 2020 übernahm Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), den Vorsitz der Alpenkonvention, einem Übereinkommen von acht Ländern, das sich dem Schutz der Alpen widmet.
- Sommaruga nahm das ernst. Die Aufgabe bedeutete ihr viel
- Nahezu zwei Jahre lang wurde im UVEK fieberhaft gearbeitet, um diesen Oktober in Brig eine Konferenz der Umweltminister der acht Mitglieder durchzuführen (D, F, CH, Liechtenstein, Slowenien, A, I, Monaco)
- Hier sollte ein Aktionsplan für klimafreundliche Mobilität unterzeichnet werden, ein Plan, der massgeblich von Sommaruga vorangetrieben worden war
Die Konferenz fand statt, die Minister kamen, doch Sommaruga blieb weg.
Wenige Tage zuvor hatte ihr Mann, der Schriftsteller Lukas Hartmann, einen Schlaganfall erlitten, Sommaruga sagte alle Termine ab und nahm eine Woche frei, um sich um ihren Mann zu kümmern.
- Das ist verständlich
- das ist, was alle tun würden, wenn einer ihrer Liebsten ins Spital muss
- Das verdient Respekt
Kaum war im UVEK allerdings bekannt geworden, dass die Chefin ausfällt, brach der Enthusiasmus der Berner Beamten für die Alpenkonferenz zusammen.
Wie ein pfeifender Ballon schrumpfte der Eifer, das Interesse und die Bereitschaft zu Überstunden zusammen, bis nichts mehr da war als ein kleines Stück Latex. Die Luft war draussen.
Eine Chefbeamtin vertrat die Bundesrätin in Brig. Die Beamten legten sich zur Ruhe.
Das zeigt uns zwei Dinge:
- In der Bundesverwaltung geht es manchen Beamten offenbar nicht um die Sache, sondern nur darum, der Chefin zuzuarbeiten, ihr zu gefallen, sie zu preisen, ihr zu Glanz zu verhelfen. Die Konferenz sollte eine Sommaruga-Show werden, als die Hauptdarstellerin fehlte, begaben sich selbst die Souffleure ins Homeoffice
- Der Schlaganfall ihres Mannes änderte Sommarugas Leben in einer Sekunde. Nichts war mehr wichtig, nur noch ihr Mann. Ihr Rücktritt ist die logische Folge davon. Ihr Mann braucht sie jetzt mehr als das Land
Kurz, dieser Rückzug war nicht geplant, dieser Schlaganfall dient nicht als Vorwand, um aus dem Amt zu fliehen, wie verschiedentlich von misstrauischen Beobachtern gemutmasst wurde, dieses Ende einer langen politischen Karriere kam unverhofft.
Wenn man aber die Gegebenheiten objektiv betrachtet – unabhängig von den traurigen, privaten Umständen, dann scheint mir klar: dieser Rücktritt war überfällig.
- Sommaruga befand sich politisch in einer Sackgasse, sie kam kaum mehr voran
- Und ihre Partei befreit sie aus einem Dilemma. Die sozialdemokratischen Bundesräte Alain Berset und Sommaruga sind sehr lange im Amt. Die Grünen sitzen der SP im Nacken, auch wenn sie es abstreiten. Je nach Ausgang der Nationalratswahlen (2023) könnte der zweite Sitz der SP gefährdet sein. Mit der Wahl eines neuen SP-Bunderates ein Jahr vor den Wahlen, sichert die SP ihre Stellung in der Regierung ab. Nicht definitiv, aber doch wesentlich
Sommaruga in der Sackgasse?
Die Energiestrategie, die sie von ihrer charismatischen bis frivolen Vorgängerin Doris Leuthard (Mitte) geerbt hat – frivol, was die Umsetzbarkeit dieser Politik anbelangt – ist grandios gescheitert, was alle sehen
- Es fehlt uns an Strom, im kommenden Winter zittern wir um unsere Versorgung. Sommaruga hofft auf Einsparungen dank grossflächigem Einsatz des Kochdeckels
- Wir sind abhängig vom Import
- Wir haben unsere Produktionskapazitäten, ob erneuerbar oder konventionell, kaum erweitert
Es waren immer Schalmeienklänge, die uns Leuthard und Sommaruga vorspielten, nun ist es endgültig Guggenmusik geworden.
- Kein Ton stimmt
- Und man hält es nur aus, wenn man schon betrunken ist
Umso mehr geniesst die Energiestrategie im Volk einen schlechten Ruf, wie der Umstand beweist, dass das CO2-Gesetz von Sommaruga verworfen wurde – und das notabene vor der der Energiekrise.
Wie weiter?
Sommaruga weiss es nicht.
Gewiss, Leuthard trägt mehr Verantwortung für diese von Beginn weg unüberlegte, surreale Politik – ebenso das Parlament und wir Bürger, falls wir dieser eigentlichen Anti-Energiestrategie zugestimmt haben.
Doch Sommaruga glaubte genauso daran – selbst dann noch, als sie es längst hätte besser wissen müssen.
- Jahrelang mochte sie von Unzulänglichkeiten gar nichts hören
- Wenn im Bundesrat Nachbesserungen verlangt wurden, lehnte sie das ab, sie blockte und verschleppte, bis sie nicht mehr anders konnte
- Erst, als es fünf nach zwölf war, und die Strommangellage unabwendbar schien, erst dann korrigierte sie (ein wenig). Sie kaufte teure Turbinen, die mit viel Öl und viel Lärm etwas Strom erzeugen sollen, falls uns dieser im Winter ausgeht
Schon in der Botschaft zur Energiestrategie hatte Leuthard (zwischen den Zeilen) neue Gaskraftwerke in Aussicht gestellt – im Wissen, dass mit den Erneuerbaren allein ihre Strategie nicht aufgehen würde. Das hätte Sommaruga, als sie 2018 ins UVEK wechselte, sofort an die Hand nehmen können, nein: müssen.
Das war vor vier Jahren. Wertvolle Zeit ging verloren.
So gesehen, ist nicht der Ukrainekrieg schuld an unserer Misere, sondern die Versäumnisse unserer Politiker, unter anderem Sommaruga.
Simonetta Sommaruga und ihr Mann, der Schriftsteller Lukas Hartmann.
Wie weiter? Sie wusste nicht mehr ein noch aus. Der Rücktritt dürfte sie – bei allen Sorgen um die Gesundheit ihres Mannes – wie eine Erleichterung empfunden haben. Eine politische Erleichterung.
Simonetta Sommaruga blickt auf eine lange, ja glänzende Karriere zurück, das kann ihr niemand wegnehmen, es gab Erfolge, Triumphe gar, sie erlebte Niederlagen, bittere. Wenn ich auch in den meisten Fragen nicht ihrer Meinung war, anerkenne ich doch ihre Leidenschaft, Hartnäckigkeit, ja Sturheit, mit der sie ihre Ziele verfolgt hat, – sie mögen aus meiner Sicht noch so falsch gewesen sein.
Sommaruga hat sich um dieses Land verdient gemacht.
Ich wünsche Ihr und Ihrem Mann alles Gute, ihm vor allem gute Besserung. Und erinnere in diesem Zusammenhang an eine andere schwergeprüfte Politikerin. Theresa May, die frühere britische Premierministerin, sagte einmal:
«In schweren Zeiten hat jeder einen Teil der Schmerzen zu tragen.»
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag
Markus Somm