Somms Memo

Zürcher Wahlen: Wer alle Tassen im Schrank hat, wählt Silvia Steiner. Vom Wesen der Demokratie

image 19. Januar 2023 um 10:59
Der Kanton Zürich, Powerhouse oder Schrebergarten? Wir haben die Wahl.
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Die Fakten: Am 12. Februar wählen die Zürcher einen neuen Regierungsrat und ein neues Parlament. Warum das wichtig ist: Silvia Steiner (Mitte) gilt als gefährdet. Wenn die Bürgerlichen ihren Sitz in der Regierung verlieren, verlieren sie das Land.
Es gibt drei Kantone, auf die es in der jahrhundertelangen Geschichte der Eidgenossenschaft stets ankam:
  • Bern
  • Schwyz (deshalb leben wir jetzt in der «Schweiz»)
  • Zürich

Das gilt streng genommen bis heute, wenn auch mit Schwyz die ganze Innerschweiz gemeint sein muss, und Zürich inzwischen alle übrigen überragt.
  • Zürich ist mit 1,5 Millionen Einwohnern der mit Abstand bevölkerungsreichste Kanton (nachdem das seit dem 14. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre Bern gewesen war)
  • Zürich ist der reichste und wirtschaftlich stärkste Stand. Er zahlt am meisten in den Nationalen Finanzausgleich ein (rund eine halbe Milliarde Franken)
  • Vor allem ist Zürich der politische Gigant. Oder je nach Standpunkt: ein Gulliver unter Zwergen (so sehen es die Zürcher) oder ein Wolf unter den Schafen (so sieht es der Rest der Schweiz)

Wenn der Basler Journalist Fritz René Allemann in seinem glänzenden Buch «25-mal die Schweiz» Zürich darum als den «metropolitanen Kanton» bezeichnet, hat er erstens recht, und zweitens erinnert er mit gutem Grund daran, dass Zürich in der Rangfolge der Kantone seit seinem Beitritt zur Eidgenossenschaft (1351) als Nummer 1 aufgeführt wird. Das ist nach wie vor der Fall. Siehe jüngste Bundesverfassung. Kurz, wenn der Kanton Zürich am 12. Februar wählt, dann sind diese Wahlen in jeder Hinsicht Schweizer Wahlen. Relevant und folgenreich.
  • Heute vielleicht mehr denn je
  • Denn der Kanton Zürich – seit Jahrhunderten eine Zitadelle der bürgerlichen Vernunft, des liberalen Pragmatismus, auch des freudigen Kapitalismus – wankt
  • Im Kantonsrat haben die liberalen, bürgerlichen Kräfte (FDP, SVP, Mitte) ihre Mehrheit bereits eingebüsst – sofern man die GLP weder als liberal noch als bürgerlich ansieht, wozu wir jeden Anlass haben (ein Kapitel für sich)

Stattdessen herrscht im Parlament eine «Klimaallianz», gebildet aus SP, Grünen, GLP, EVP und AL (darunter ehemalige Kommunisten), die all das nicht ist, was Zürich seit gut 700 Jahren grandios gemacht hat
  • Die Klimaallianz ist weltfremd, weil sie meint, der Kanton Zürich könne das Weltklima retten
  • Sie ist etatistisch, da sie, wann immer ein Problem auftaucht, eine staatliche Lösung sucht und findet. Von liberal versteht sie so viel wie Dschingis-Khan

Sie ist anti-kapitalistisch. Wachstum hält man in diesen Kreisen für unerwünscht, Reichtum für unverdient, Leistung für überschätzt
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So gesehen ist das immer pragmatische, ehrgeizige und weltgewandte Zürich zu einem Schrebergarten geworden, wo rot-grüne Bünzli sich vor dem Weltuntergang in Sicherheit bringen. Hinter Gurken und Tomaten. Noch verfügt der siebenköpfige Regierungsrat zwar über eine Mehrheit aus zwei SVP-Vertretern, einer Freisinnigen und einem Mitglied der Mitte, – doch auch diese Mehrheit scheint infrage gestellt:
  • Die jüngste Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Sotomo (im Auftrag von Tamedia) deutet darauf hin, dass Silvia Steiner (Mitte) möglicherweise abgewählt wird – zugunsten der Sozialdemokratin Priska Seiler Graf (neu)
  • Besser sieht es für die Bürgerlichen aus, wenn man die Wahlbörse «50 Plus 1» zu Rate zieht: Hier liegt Steiner klar vor Seiler Graf

Wie dem auch sei: Wenn selbst Eric Gujer, der Chefredaktor der NZZ, Steiner zur Abwahl empfiehlt, dann bestätigt er eher, was er der bürgerlichen Mehrheit im Regierungsrat implizit vorwirft: Die bürgerliche Konfusion. Denn seien wir ehrlich: Peter Grünenfelder (FDP), den die NZZ sich als Ersatz wünscht, steht von einer Wahl etwa so weit entfernt wie Kolumbus seinerzeit von Indien, als er Amerika entdeckte. Distanz: 15 000 km. Er betrat den falschen Kontinent.
  • Gewiss, das kann man überwinden. Aber Kolumbus schaffte es nicht.
  • Und Grünenfelder? Laut Wahlbörse liegt er sogar noch hinter Benno Scherrer (GLP)

Mit anderen Worten, eine Abwahl von Steiner ruiniert die bürgerliche Mehrheit. Und Mario Fehr, der ehemalige Sozialdemokrat, entschiede künftig darüber, in welche Richtung die Regierung sich wendet. Einmal nach links, einmal nach rechts? Wenn ich Fehr auch für ausserordentlich fähig halte (und ihn mit Überzeugung wiederwähle), diese Übermacht möchte ich ihm nicht gönnen. Zürich braucht eine bürgerliche Mehrheit. Im Einzelnen kann man bei jedem bürgerlichen Regierungsrat ein Haar in der Suppe beanstanden, wenn er oder sie uns bedienen, doch wer realistisch ist und liberal, weiss:
  • Ernst Stocker, Natalie Rickli, Carmen Walker Späh, Silvia Steiner müssen unbedingt in der Regierung bleiben (und Mario Fehr)
  • Und ja keine liberale Stimme für Martin Neukom oder Jacqueline Fehr. Aus der Welt des Tierreichs gilt: Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber

«Ich will, dass die Besten gewählt werden» – «die Parteifarbe kümmert mich nicht». Wenn ich mich im Bekanntenkreis über die Wahlen unterhalte, höre ich hin und wieder dieses Argument. Das ist naiv. In dreierlei Hinsicht:
  • Die Linke denkt nie so. Selbst Nobelpreisträger fallen bei ihnen durch, wenn sie bürgerlich sind
  • In der Politik herrscht Wettbewerb. So gesehen kommt es zugegebenermassen auch auf Leistung darauf an. Aber nicht allein. Die Weltanschauung ist genauso wichtig. Regierungsräte handeln im Auftrag des Souveräns, also des Volkes. Die Mehrheit bestimmt
  • Oder um das Dilemma auf die Wirtschaft zu übertragen: Was nützt Ihnen ein brillanter, durchsetzungsstarker CEO– wenn er das Gegenteil von dem macht, was die Aktionäre und der Verwaltungsrat wünschen?

Achtung, Wahlen! Es geht um Mehrheiten, nicht um eine Standortbestimmung beim HR-Berater.  Oder wie Otto von Bismarck, der ruchlose Kanzler des deutschen Kaiserreiches, warnte: «Die Menschen lügen nie so sehr wie nach einer Jagd, während eines Krieges oder vor einer Wahl.» Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag Markus Somm

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