Wochenschau 12/2022: SNB-Entscheid und SNB-Bilanz, Gas gegen Rubel, Impfpflicht auf Papier

image 24. März 2022 um 17:30
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SNB passt Kommunikation sowie Prognosen an und veröffentlicht Geschäftsbericht

Heute Donnerstag hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) den jüngsten Reigen der Zentralbanken, die geldpolitische Entscheide fällen, abgeschlossen (Wochenschau 11/2022). Wie erwartet führt die SNB (Communiqué) ihren expansiven Kurs mit dem Leitzins respektive Zins auf Sichtguthaben (Negativzins) von minus 0,75 Prozent fort und ist weiterhin bereit, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, das heisst Fremdwährungen (überwiegend US-Dollar und Euro) zu kaufen, um die Aufwertung des Frankens zu bremsen.
Anders als noch in der Medienmitteilung zum Dezember-Entscheid berücksichtigt die SNB dabei nicht nur die «gesamte Währungssituation», sondern explizit auch «den Inflationsunterschied zum Ausland». Natürlich spielten die realen Wechselkursverhältnisse für die Geldpolitiker bei der Einschätzung der «Währungssituation» schon bislang eine zentrale Rolle; mit der Ergänzung wird dies dem Publikum (das erfahrungsgemäss mehr auf die nominalen Wechselkurse schielt) aber nochmals ins Bewusstsein gerufen, wohl mit der Absicht, den geldpolitischen Handlungsspielraum zu sichern.
Bei den Devisenkäufen handelt sich eigentlich um ein ausserordentliches Instrument der Geldpolitik, das allerdings schon seit März 2009 mehr oder weniger im Dauereinsatz steht.
Das hat über die Jahre zu einem Anschwellen der Devisenanlagen und der Währungsreserven geführt, und damit zu einer Vervielfachung der Bilanzsumme. Die Währungsreserven setzen sich grosso modo aus den Goldreserven und den Devisenreserven zusammen; wer die buchhalterischen Finessen der Ermittlung von Devisenanlagen, Devisenreserven und Währungsreserven genauer kennenlernen möchte, dem sei das Studium der Tabelle auf Seite 89 des diese Woche erschienenen Geschäftsberichts 2021 der SNB empfohlen.
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Die vollständige Lektüre dieser Publikation erheischt zwar etwas Ausdauer und Stehvermögen; doch wer an der Geldpolitik und der Institution Nationalbank überdurchschnittlich interessiert ist, der sollte sich davon nicht abschrecken lassen und die nötige Zeit investieren. Und denjenigen, die sich solche «Wälzer» lieber auf Papier als am Schirm zu Gemüte führen, sei nahegelegt, den gedruckten Geschäftsbericht (er wird in wenigen Tagen vorliegen) kostenlos bei der SNB beziehen.
Auch wenn sich das Bilanzwachstum der SNB 2021 verlangsamt hat – es wurden «nur» Devisen im Gegenwert von 21,1 Milliarden Franken erworben, statt 109,7 Milliarden wie 2020 –, so dürfte die Diskussion darüber, ob es sinnvoll ist, dass die SNB Aktiven von über einer Billion Franken selber verwaltet, nicht abbrechen. Einen Beitrag dazu liefert Stefan Gerlach, Chefökonom der EFG Bank, in einem Interview mit «Finews». Er bezeichnet darin die Bilanz als «Problem», weil die SNB den Berg an Aktiven bewirtschafte und gleichzeitig die Geldpolitik führe. «Die SNB braucht schlicht nicht eine Billion, um ihre Geldpolitik betreiben zu können», hält Gerlach fest und weist auf die damit verbundenen Risiken und Gefahren hin. Gerlach gehört zu den Wirtschaftsprofessoren, welche die Plattform SNB Observatory betreiben und die nicht mehr ganz taufrische Idee eines Staatsfonds promoten (siehe Interview mit Aymo Brunetti).
Dass die riesige SNB-Bilanz grosse Risiken finanzieller und anderer Natur birgt, lässt sich nicht abstreiten. Sehr zweifelhaft ist jedoch, ob diese Risiken mit einem Transfer eines Teils der Aktiven an einen anderen Verwalter/Eigentümer wie durch Magie einfach zum Verschwinden gebracht werden können. Wahrscheinlicher ist, dass eine Auslagerung in der rauhen Realität zusätzliche Probleme bereiten würde. Die Risiken sind der Preis für die von der SNB in den vergangenen Jahren verfolgte Stabilisierungspolitik; effektiv abbauen lassen sie sich letztlich nur über die Geldpolitik selber.
Doch zurück zum aktuellen Entscheid der SNB: Ein besonderes Augenmerk galt ja in dieser Ära der weltweit galoppierenden Teuerung ihrer Inflationsprognose (siehe Artikel zur Inflation). Wie erwartet ist die Prognose gegenüber Dezember deutlich nach oben korrigiert worden, von 1 auf 2,1 Prozent für 2022 und von 0,6 auf 0,9 Prozent für 2023. Nach unten angepasst hat die SNB demgegenüber auch angesichts der Folgen des Kriegs in der Ukraine die Wachstumsprognose für das laufende Jahr. Die Schweizer Wirtschaft dürfte im laufenden Jahr «rund» 2,5 Prozent zulegen, statt 3 Prozent wie noch im Dezember geschätzt.
Die Risiken für das Wachstum «sind bedeutend und nach unten gerichtet», diejenigen für die Inflation zeigen nach oben – eine denkbar ungünstige Konstellation. Die SNB warnt vor einer Verschärfung der Rohmaterialknappheit, welche die Inflation weiter anheizen und das Risiko von «Zweitrundeneffekten» mit sich bringen könnte. Aufschlüsse darüber, wie diese Entwicklungen in der Wirtschaft selber wahrgenommen werden, dürften die im Kapitel «Konjunktursignale» des Quartalshefts (das in den nächsten Tagen erscheinen wird) zusammengefassten Ergebnisse der Gespräche erlauben, welche die Delegierten für regionale Wirtschaftskontakte mit ausgewählten Unternehmen führen.

Putins «Rubelisierung» der Gaslieferungen – Notmassnahme einer patriotischen Zentralbank?

Der russische Präsident Putin kündigte am Mittwoch an, sich die Gaslieferungen an die von Russland so bezeichneten «unfreundlichen Staaten» (zu denen auch die Schweiz gehört) künftig ausschliesslich in Rubel statt wie bisher in Euro oder US-Dollar bezahlen zu lassen. Die russische Zentralbank und die Regierung wurden angewiesen, innert Wochenfrist die entsprechenden Modalitäten zu klären.
Russland erhält für sein Gas so oder so Devisen – entweder wie bisher direkt oder wie in Zukunft indirekt, weil sich die Käufer mit Rubel eindecken müssen und dafür Devisen einsetzen. Doch stützt dieser Schritt den Wechselkurs des Rubels, der seit der Invasion an Schwindsucht leidet. Zudem bringt er die russische Zentralbank, die auf der Sanktionsliste der EU steht, zurück ins Spiel, hat sie doch letztlich das Rubelangebotsmonopol. Welchen Nutzen Russland daraus konkret ziehen kann, hängt natürlich von den definitiven Modalitäten und der Reaktion des Westens ab.
Man muss kein Kremlkenner sein, um darauf zu tippen, dass die Massnahme nicht von Putin selber ausgeheckt wurde. Doch in der russischen Zentralbank sitzen offenkundig einige Leute, die ihr Handwerk verstehen – was man von der russischen Generalität nicht unbedingt behaupten kann. Die Institution wird von der Gouverneurin Elvira Nabiullina geführt, die früher schon bei der Inflationsbekämpfung einen eigenständigen und durchaus erfolgreichen Weg beschritt, der international Anerkennung fand.
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Die Nähe zur Macht. Elvira Nabiullina im Februar 2013, kurz bevor sie von Putin als Gouverneurin der russischen Zentralbank nominiert wurde. Bild: Keystone
Man darf davon ausgehen, dass sich die Begeisterung über den Krieg bei der Zentralbank in sehr engen Grenzen hält, die Geldpolitiker es aber als ihre patriotische Pflicht betrachten, den Schaden für die breite Bevölkerung möglichst zu begrenzen. Ob es moralisch und ethisch besser wäre, den Bettel hinzuwerfen und das Ruder politisch zu 100 Prozent willfährigen, aber geldpolitisch völlig unfähigen Apparatschiks zu überlassen, sei dahingestellt. Gute Geldpolitiker sind wie Kapitäne, die ihr Schiff auch dann nicht verlassen, wenn es in Turbulenzen gerät, sondern Krisen als Bewährungsproben für sich und ihre Institution interpretieren. Die Tatsache, dass die Zentralbank selber mit Sanktionen belegt und ein Teil der russischen Währungsreserven eingefroren worden ist, stellt einen Tabubruch dar, der aus Sicht der Zentralbank auch solche drastische Gegenmassnahmen wie die «Rubelisierung» der Gaslieferungen rechtfertigen könnte.
Dieser Tabubruch könnte auch für die künftige Gestaltung und das Funktionieren des Weltfinanzsystems weitreichende und schwerwiegende Folgen haben. Kommende Generationen von Wirtschaftshistoriker werden darüber urteilen können, ob er eine notwendige und angemessene Antwort auf den barbarischen Angriffskrieg Russlands bildete und den angerichteten Flurschaden wert war.

Spitzenverband zur Spritzenpflicht, der Papiermangel und die FAZ

Die Meldung, die in unserem nördlichen Nachbarland diese Woche für Aufregung sorgte, klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lehnt Gesetzesentwürfe der Ampelkoalition zur Spritzenpflicht (Pardon: Impfpflicht) ab – unter anderem wegen Papiermangel.
«Des Weiteren herrscht durch Arbeitskampf sowie den Ukrainekonflikt bei den maßgeblichen Papierproduzenten in Europa eine Produktionseinschränkung bzw. ein Produktionsstopp. Es ist fraglich, ob allein genügend Papier bis zum 15. Mai beschafft werden könnte, um die rund 60 Millionen betroffenen Versicherten anzuschreiben.»
Es hagelte gleich Kritik: So befand die FAZ, die seit Monaten mit deutscher Gründlichkeit und Nachdruck eine möglichst umfassende und griffige Impfpflicht gegen das Coronavirus propagiert, dass mit den «irrwitzigsten Argumenten» Widerstand geleistet werde. «Dazu gehört der Einwand der Krankenkassen, sie könnten ihre Versicherten schon deshalb nicht anschreiben, weil es an Druckkapazität und an Papier fehle.» Der Druck (im übertragenen Sinne) wurde so gross, dass sich der GKV-Spitzenverband aufgrund «aktueller Medienberichte» bemüssigt fühlte, klarzustellen (Pressemitteilung), dass die «Impfung die stärkste Waffe im Kampf gegen das Corona-Virus» sei und er sich «an keiner Stelle gegen die Einführung einer Impfpflicht ausgesprochen» habe. Man habe «lediglich auf zu erwartende praktische Schwierigkeiten bei der geplanten Umsetzung durch die Krankenkassen» hingewiesen.
Über Sinn und Unsinn einer Impfpflicht liesse sich so einiges sagen – aber nicht in der «Wochenschau», bei der es um die Wirtschaft und die Finanzmärkte gehen soll. Allerdings: Wer wie die FAZ im Glashaus sitzt, sollte nicht unbedingt mit Steinen werfen. In der Schweiz mussten viele Verlage bereits letztes Jahr die Zeitungsumfänge reduzieren; wegen Papiermangel (Wochenschau 2/2022). Und die Grossbank UBS widmete der Frage, wie sich der Krieg auf die Zellstoff- und Papierbranche auswirken könnte, am 9. März eine eigene Analyse. Russlands Bedeutung ist auch in diesem Rohstoffmarkt nicht zu unterschätzen. Liebe FAZ, lasse bitte das nächste Mal etwas mehr Umsicht walten, bevor Du zum Superlativ «irrwitzigst» greifst!

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