Zeitenwende im Bundeshaus
Wo es jetzt bürgerliche Zusammenarbeit braucht
Die Aushängeschilder der bürgerlichen Zusammenarbeit: Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Albert Rösti. (Archivbild: Keystone)
FDP und SVP haben vor der Bundesratswahl und bei der Departementsverteilung zusammengearbeitet, wie seit fast dreissig Jahren nicht mehr. Zusammen mit der Mitte übernehmen sie die Verantwortung für das Land. Sie müssen jetzt liefern: klar bürgerliche Lösungen, die – es gehört zu unserem System – gleichzeitig mehrheitsfähig sind. Das schaffen sie mit harter politischer Knochenarbeit – und nur, wenn sie die Zusammenarbeit der letzten Tage und Wochen fortsetzen.
Zankapfel EU-Politik
Die grösste Differenz zwischen den Bürgerlichen ist seit dreissig Jahren die Europapolitik. Das Nein zum EWR, dessen Abstimmungskampf und der anschliessend von CVP (heute Mitte) und FDP aus Trotz geforderte Beitritt zur EU hat über Jahre das Verhältnis im bürgerlichen Lager vergiftet. Die Protagonisten von damals sind nicht mehr da. Die Forderung, der EU beizutreten, ebenfalls nicht.
Das bietet die Chance, sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen: Betreffend der Beziehungen der Schweiz zur EU muss es gelingen, von der EU mindestens in zwei Bereichen Zugeständnisse zu erhalten. Einerseits benötigt die Schweiz Ausnahmen bei der Weiterentwicklung Personenfreizügigkeit. Die Löhne und Sozialleistungen in der Schweiz sind dermassen viel höher als in der EU, dass sie vor völlig freier Zuwanderung geschützt werden müssen. Das weiss man nicht nur in der SVP, sondern auch in der FDP, bei den Sozialpartnern und in der Mitte. Damit dies möglich ist, muss neben den Ausnahmen eine Schiedsgerichtslösung her, die diesen Namen verdient.
Andererseits muss die politische Mitbestimmung der Stimmbürger gesichert werden. Denn das Hauptproblem einer Annäherung an die EU ist der Verlust an direkter Demokratie. Wenn Volksentscheide in Luxemburg vom Gerichtshof der EU kassiert oder an der Urne angenommene Verfassungsbestimmungen in vorauseilendem Gehorsam nicht umgesetzt werden, geht das verloren, was dieses Land ausmacht: die politische Teilhabe jedes Einzelnen.
Politisches System bewahren
Die Bürgerlichen haben dieses eigentümliche, aber gleichzeitig unglaublich moderne demokratische politische System mit direktdemokratischen Instrumenten, Föderalismus und Subsidiarität geschaffen. Sie tun gut daran, es gemeinsam zu bewahren. Dies ist nur möglich, wenn die Schweiz die jüngst verhängten diskriminierenden Massnahmen der EU aushält. Gute Lösungen benötigen vor allem Zeit. FDP und die Mitte müssen dazu die EU-Turbos in ihren eigenen Reihen zähmen. Deren Panikmache ist Lobbying gegen die Interessen der Schweiz.
Gleichzeitig müssen die Bürgerlichen klarmachen: Wenn es kein Entgegenkommen der EU gibt, haben wir nicht nur Zeit, sondern wir können auch auf Jahre hinaus mit dem bestehenden Freihandelsabkommen leben. Der gestern vom Bundesrat verabschiedete EU-Bericht feiert erneut den von der EU vor Jahren mit der Forderung nach politisch-juristischer Anbindung beendeten «bilateralen Weg». Von diesem Fetisch der EU-Politik der Nullerjahre sollten die Bürgerlichen im eigenen Interesse Abschied nehmen. Der Blick voraus und in die ganze Welt statt nur auf die EU ist das Erfolgsrezept.
Am richtigen Ort ansetzen
Die angebliche «Erosion» des Marktzuganges kostet die Menschen gemäss Bundesstudien 0,7 Prozent der Löhne und Kapitalrenditen auf 18 Jahre, also 0,038 Prozent pro Jahr (Ecoplan 2015). Die Regulierungskosten betragen hingegen gut zehn Prozent des BIP (Studie des Schweizerischen Gewerbeverbandes). Wer liberale Rahmenbedingungen für alle Unternehmer und gute Löhne für die Arbeitnehmer im Land will, weiss, wo er seine Prioritäten setzen muss.
Gleichzeitig ist die neue bürgerliche Dynamik die Gelegenheit, eine neue Klima- und Energiepolitik zu schaffen, die auf Realitäten statt auf Träumereien beruht. Der neu gewählte Bundesrat Albert Rösti kann nicht umkrempeln, was fast dreissig Jahre falsch gemacht wurde. Aber die Bürgerlichen dürfen erwarten, dass er die Weichen anders stellt. In seinem Departement wartet eine riesige Aufgabe.
Karin Keller-Suter muss im Finanzdepartement ihren Teil zur bürgerlichen Renaissance der Schweiz beitragen. Dazu gehört nicht nur eine solide Finanzpolitik, die jeden Angriff oder Trickserei mit der Schuldenbremse ablehnt. Mindestens gleich wichtig ist eine Finanzmarktpolitik, welche Banken und Versicherungen den Spielraum zurückgibt, die Bedürfnisse ihrer Kunden noch besser zu bedienen – und weltweit attraktiv zu sein, gerade, weil wir nicht jede Regulierung der EU übernehmen. Anlässlich der Medienkonferenz zur Departementsverteilung wurde klar, dass die St. Galler FDP-Bundesrätin sich dessen sehr bewusst ist.
Unternehmen entlasten
Um Entlastung und Freiräume geht es auch im Departement von Guy Parmelin. Er hat gestern eine Regulierungsbremse und ein Unternehmensentlastungsgesetz ans Parlament geschickt (Link zum Video), dessen Behandlung zu einem grossen Test der neuen bürgerlichen Zusammenarbeit werden dürfte. Und mit den besten Universitäten der Welt, mit dem dualen Bildungssystem, das am wenigsten arbeitslose Jugendliche im Vergleich zum ganzen EU-Raum hervorbringt, wäre mehr Selbstbewusstsein in der Horizon-Debatte angebracht.
Bürgerliche Politik darf aber nicht nur die Wirtschaft entlasten und deren Rahmenbedingungen verbessern. Sie muss für den einzelnen Bürger einen spürbaren Unterschied ausmachen. Der Mittelstand muss von Steuern und Abgaben entlastet werden. Er dient nicht dem Staatswesen, sondern der Staat hat ihm zu dienen und ihm vor allem möglichst viel Freiheit zu belassen, vor allem über das selbst erarbeitete Einkommen und Vermögen.
Eigentum schaffen
Darüber hinaus muss bürgerliche Zusammenarbeit jenen, die hart arbeiten, Eigentum ermöglichen. Nichts schadet den bürgerlichen Parteien mehr, als der für viele trotz Einsatz und Leistung geplatzte Traum vom eigenen Heim. Das verhindert sozialen Aufstieg und treibt den Mittelstand in die von links betriebenen Wohnbaugenossenschaften und die dort geschürte Neidkultur. Dafür gibt es zwei Gründe: Die ebenso restriktive wie links-grüne Raumordnungspolitik schränkt das Angebot ein. Und die Zuwanderung steigert die Nachfrage und beides das Preisniveau.
Die Steuerung der Zuwanderung – zum Beispiel mit einer Steuer – und die Lockerung der Raumplanung ist die liberale Antwort auf den künstlichen Immobilienboom. Besonders in den bereits verbauten Städten und in die Höhe braucht es mehr Freiheit für Bauherren. Und wenn Bund, Kantone oder Städte den Wohnbau fördern, dann sollte dies an die Bedingung geknüpft werden, dass daraus Eigentum und nicht Abhängigkeit von kollektivistischen Genossenschaften entsteht.
Solide bürgerliche Politik lässt sich mit Zahlen und Fakten erklären. Man muss sich diese besorgen. Sie entzieht den von Ideologie durchtränkten Vorschlägen von links-grün das Fundament. Das ist besonders wichtig in einem Wahljahr.