Somms Memo
Wo, Wo, Wohnige! Warum mangelt es an Wohnungen? Weil die Behörden sie zu Tode bewilligen.
Neubauten im Niemandsland. (Baustelle im Zürcher Norden)
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Die Fakten: Der Bund rechnet damit, dass in den kommenden vier Jahren bis zu 51 000 Wohnungen fehlen. Die Linke redet von «Wohnungsnot».
Warum das wichtig ist: Wer mehr Wohnungen will, muss sie bauen lassen. Doch der Staat tut alles, damit nichts mehr gebaut wird.
Das Haus «Zum Mohrenkopf» in der Zürcher Altstadt darf weiterhin diesen Namen tragen – selbst auf die Gefahr hin, dass ein weisser, feinfühliger Gymnasiast darüber erschrickt, wenn er mit seinen weissen Freundinnen und Freunden daran vorbeizieht:
- Der Zürcher Heimatschutz hat vor dem Baurekursgericht recht bekommen
- Er hat gegen einen Entscheid der rot-grünen Stadtregierung rekurriert, wonach die unter Rassismusverdacht stehende Inschrift überdeckt werden sollte
- Immerhin stammt der Name aus dem Mittelalter (1443 erstmals erwähnt), der Schriftzug auf dem Haus wurde 1895 angebracht
- Warum die Zürcher 1443 einen Nordafrikaner (was man unter «Mohr» ursprünglich verstand) beleidigen wollten, ist unbekannt. Sicher ist das zu verurteilen. Allfällige Nachfahren des Hauseigentümers aus dem Jahr 1443 werden hoffentlich zur Rechenschaft gezogen
Allerdings ist noch nie jemand, soviel ich weiss, vor Schmerz und Betroffenheit zusammengebrochen, als er die Inschrift las – ganz gleich, welcher ethnischer Herkunft der Besucher oder Einheimische war.
Was den Zürcher Stadtrat jedoch nicht davon abhält, gegen das erstinstanzliche Urteil in die Berufung zu gehen. Angesichts des Zusammenbruchs der Credit Suisse muss man von sehr kuriosen Prioritäten sprechen:
- Viele Zürcher dürften bald ihre Stelle verlieren
- Die Steuereinnahmen werden einbrechen, zumal Zürich mit der CS eine ihrer besten Steuerzahlerinnen verliert
- Die Menschen sind verunsichert, empört oder traurig
Doch der Stadtrat von Zürich kämpft unverdrossen gegen den Mohrenkopf. Wer Anwalts- und Gerichtskosten scheut, um gegen den Rassismus vorzugehen, hat ohne Zweifel seine Aufgabe als Politiker falsch verstanden.
Die Geschichte hat eine zweite Pointe – und die ist ernster:
- Wenn der Ausdruck von der «Revolution, die ihre Kinder frisst» je angebracht war, dann in diesem Fall
- Für einmal ist die rot-grüne Stadtregierung Opfer ihrer eigenen Regulierungsfreude geworden – zumal der Heimatschutz als eine jener Instanzen gefürchtet wird, die alles verbieten, was man verbieten kann in Sachen Umbau eines Hauses, das älter als drei Wochen ist (OK, ich übertreibe)
Zwar ist der Heimatschutz ein privater Verein, doch seine Veto-Macht ist beachtlich, und er zählt zu jenem administrativ-akademischen Baubewilligungskomplex, der aus staatlichen Behörden und eben privaten Akteuren besteht.
Diese Menschen und Beamten meinen es vielleicht gut, wenn sie eine Vorschrift nach der anderen erfinden und durchsetzen – zumal Bauen längst als eine der umweltschädlichsten Interventionen des Menschen zu gelten scheint:
- Wir Bürger werden hier beschützt und behütet – als handelte es sich bei einem Haus um ein Atomkraftwerk
- Kann man auf diesem Küchenboden nicht ausrutschen – und sich das Bein brechen?
- Und was sagt die Feuerpolizei dazu, dass wir den Kochherd in der Küche montieren, ohne einen Stacheldraht, um die Kinder abzuhalten?
In einem Interview mit dem Nebelspalter hat der bekannte Zürcher Immobilienbesitzer Urs Ledermann darauf hingewiesen, wie unaufhaltsam dieser Baubewilligungskomplex sich ausdehnt:
- «Im Seefeld steht eine über hundert Jahre alte Überbauung mit 63 Häusern. Die Baubewilligung war damals etwas mehr als eine Seite lang.»
- «Kürzlich haben wir ein paar Meter weiter eine Überbauung mit ebenfalls 63 Wohnungen gemacht. Die Baubewilligung war über 120 Seiten lang»
Dass dies die Kosten für Investoren und Bauunternehmer in die Höhe treibt, versteht sich von selbst. Statt Anreize zu schaffen, damit mehr Häuser und Wohnungen entstehen – und so die angebliche Wohnungsnot zu mildern –, erreichen die Behörden das Gegenteil.
Ledermann:
- «Die Prozesse im Raum Zürich sind unglaublich langsam geworden. Früher war es besser: Die Kreisarchitekten der Stadt konnten sagen, was möglich ist und was nicht»
- «Heute sagen sie irgendetwas, worauf wir uns dann stützen, und später geht es dann doch nicht. Dann wird das Projekt sistiert und wir bleiben auf dem Schaden sitzen. Alles beginnt wieder bei null»
Die Folgen sind eine Kaskade des Unerwünschten:
Weil Bauen so teuer geworden ist, wird zu wenig gebaut, was die Mieten anschwellen lässt, und wenn gebaut wird, dann ziehen es viele Investoren vor, ein altes Haus abzureissen und mit einem neuen, oft kostspieligeren zu ersetzen, was die Mieten ebenso erhöht.
Wer arm ist, kann es sich deshalb kaum mehr leisten, in der Stadt Zürich zu leben – sofern er eine neue Wohnung suchen muss.
Eine Studie der ETH hat das kürzlich belegt.
- Wer überhaupt noch baut, errichtet lieber gleich neue Häuser: sechseinhalb Mal häufiger wird ein Neubau erstellt, als dass ein altes Haus renoviert würde (hat hier jemand «Heimatschutz» gesagt?)
- Ebenso führt das dazu, dass die Leute die Stadt verlassen – oder sich in den weniger populären, aber kostengünstigeren Norden der Stadt retten
- Das Haushaltseinkommen der neuen Mieter, die in die neuen Häuser einziehen, liegt in Schnitt um 3500 Franken höher als jenes der alten Mieter
Mit anderen Worten, je mehr reguliert wird, um gesündere, schönere, ruhigere und ökologisch einwandfreie Wohnungen zu bekommen, desto weniger Wohnungen wird es geben. Und wenn es welche gibt, dann sind sie so teuer, dass nur mehr Millionäre in Zürich wohnen bleiben. Oder linke Millionäre, die ihr Haus am Zürichberg von den Eltern geerbt haben.
Buddha (geboren 563 v. Chr. in Lumbini; gestorben 483 v. Chr. in Kushinagar). Vermutlich kein Bauherr.
Immerhin, das gebe ich zu, die Mohrenkopf-Inschrift abzudecken, hätte die Miete im Haus «Zum Mohrenkopf» wohl nicht erheblich gesteigert.
Oder um es mit dem heiteren Siddhartha Gautama, besser bekannt als Buddha, zu sagen:
«Wer seinen Wohlstand vermehren möchte, der sollte sich an den Bienen ein Beispiel nehmen. Sie sammeln den Honig, ohne die Blumen zu zerstören. Sie sind sogar nützlich für die Blumen.»
Ich wünsche Ihnen einen ebenso gelassenen Tag
Markus Somm
PS. David Kaufmann, Elena Lutz, Fiona Kauer, Malte Wehr und Michael Wicki,
«Erkenntnisse zum aktuellen Wohnungsnotstand: Bautätigkeit, Verdrängung und Akzeptanz», SPUR/ETH, Zürich 2023