Plädoyer für Patriotismus
«Wir sind Schweiz»
Nati-Trainer Murat Yakin bei der Bekanntgabe der Mannschaft für die Weltmeisterschaft in Katar. (Bild: Keystone)
Am Ende des Films dreht sich Murat Yakin um und grinst spitzbübisch in die Kamera: «Zämme wämmer Gschicht schribe.» Für die Fans und «für unser schönes und vielseitiges Land.» Er steht vor dem Bundeshaus in Bern. «Wir sind Schweiz», heisst es ganz am Schluss des Videos. Im Hintergrund ertönt Jubel.
Der Film stammt vom Schweizerischen Fussballverband (SFV). Er zeigt die Trikots der 26 für die Fussball-WM in Katar aufgebotenen Spieler. Das Turnier startet in einer Woche. Im Film tauchen die Leibchen der Stars im Bahnhof Zürich auf. Ein Junge trägt eines auf der Messe in Basel. Eines hängt an einem Bügel auf der Kapellbrücke in Luzern oder vor dem Jet d’eau in Genf. Die Trikots werden getragen von Kindern, Alten, Ausländern, Menschen mit Behinderung, einfach von allen, die es da so gibt in diesem Land.
Man mag sich daran stören, dass der Film des Fussballverbandes darauf achtet, dass wirklich (fast) jede gesellschaftliche Randgruppe darin vorkommt (transgender oder non-binäre Personen sucht man allerdings vergebens, Jäger, Alphornbläser und Schwinger übrigens auch). Man will es auch beim SFV allen recht machen und vergisst dabei, dass dies bei den Identitären gar nicht möglich ist, weil die in jeder individuellen Befindlichkeit eine eigene Randgruppe sehen.
Doch gleichzeitig zeigt der Film auch, worauf wir stolz sein können. Nicht nur auf eine Fussball-Nationalmannschaft, die am letzten grossen Turnier, der Europameisterschaft vor einem Jahr über sich hinauswuchs. Nein, auch auf ein Land, das seit Jahrhunderten offen ist für Menschen, Einflüsse und Kulturen. Die Schweiz war schon immer ein vielfältiges Land, lange bevor «Diversity» und «Inclusion» zu wohlfeilen Schlagworten wurden.
Gegen die Untergangspropaganda
Das kontrastiert wohltuend mit der verbreiteten Untergangspropaganda. Die findet, unser Land sei der Klimakatastrophe ausgeliefert, durch Artensterben komplett verödet und der Luft- und Trinkwasserverschmutzung preisgegeben. Die Schweiz sei von Rassismus durchtränkt, vollkommen vom Ausland abhängig, ein unzeitgemässes Überbleibsel aus der Geschichte, zusammen gehalten von einem profitgierigen Bürgertum, dessen Wohlstand mehr mit Kolonialismus und Ausbeutung als mit Arbeit und Innovationskraft zu tun hat. Die Schweiz, ein Käse mit abgelaufenem Datum. Und wenn man dieses Land und dessen offene Gesellschaft mit freier Marktwirtschaft und eigentümlicher, weil direkter Demokratie schon nicht im Inland überwinden kann, dann wenigstens über den Umweg der EU in Brüssel.
Nicht nur für den Widerspruch gegen dieses links-grüne Narrativ wird man den Film des SFV im urbanen Juste-Millieu verachten. Noch viel schlimmer ist für diese Kreise der Patriotismus, den er nicht nur zelebriert, sondern für den er sogar Werbung macht. Klar: Fussballturniere sind seit jeher schwierige Wochen für die Verächter von Vaterlandsliebe. Aber dass der Fussballverband die patriotischen Gefühle noch mit der Vielfalt des Landes und dessen Randgruppen verbindet, die man erfolgreich eingemeindet zu haben glaubte, das dürfte einigen im links-grünen Lager zu weit gehen.
Zwei verschiedene Dinge
Dort hat man die Liebe zum Vaterland stets – und ziemlich erfolgreich – als Nationalismus diskreditiert. Dabei sind Patriotismus und Nationalismus zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Nationalismus ist eine Ideologie. Und wie jede Ideologie stellt er sein Konzept, hier die Nation, über alles andere. Damit lassen sich Gewalt und Aggression gegen alle anderen rechtfertigen. Nationalismus ist gefährlich wie jede andere Ideologie. Er verherrlicht die Nation und wird zur Ersatzreligion, zum ultimativen Lebensinhalt des Nationalisten.
Bewahren was funktioniert
Patriotismus ist hingegen persönliche Vaterlandsliebe. Das bedeutet Loyalität und Solidarität gegenüber einem geografischen Gebilde, seinen Menschen und ihrer Kultur und Lebensart, die nicht genau gleich sein muss, aber doch einiges gemeinsam hat. Genau dies ist in der Schweiz der Fall.
Aus Patriotismus wächst die gesunde konservative Haltung, dass Dinge, die funktionieren, einfacher zerstört als wieder aufgebaut werden – und ihnen deshalb Sorge getragen werden sollte (Roger Scruton). Eine positive Beziehung zur Heimat ist Voraussetzung, sich in Vereinen, Organisationen, Kirchen, aber auch politisch in Parteien, Gemeinden, Kantonen und dem Bund zu engagieren. Aus Patriotismus wächst die Zivilgesellschaft, das Kennzeichnen einer sich selbst regierenden liberalen Gesellschaft, die dem Staat nur Aufgaben überträgt, die sie selbst nicht zu lösen imstande ist.
So wie ein gesundes Selbstvertrauen eine Voraussetzung für die Offenheit gegenüber anderen Menschen darstellt, ist Patriotismus die Voraussetzung für die friedliche Kooperation mit der ganzen Welt.
Links verwischt man diese Unterscheidung zwischen Patriotismus und Nationalismus, weil man sehr wohl weiss, dass Vaterlandsliebe, die Loyalität zu einem Land, dessen Zivilgesellschaft, Institutionen und Werte einer Zerstörung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, einem Ausbau der staatlichen Macht und letztlich einer sozialistischen Revolution entgegen stehen.
Freiheit braucht einen Perimeter
Leider haben selbst viele Liberale Mühe damit, ihr Land zu lieben und dazu zu stehen. Dabei schafft Vaterlandsliebe die kulturellen und politischen Grundlagen, auf denen der Staat beruht, und die er, wie der deutsche Rechtsphilosoph und Bundesverfassungsrichter Wolfgang Böckenförde richtigerweise festgehalten hat, nicht selbst erschaffen kann. Freisinnige fürchten, als SVP-Leute abgestempelt zu werden. Mitte-Politiker möchten nicht als konservativ gelten, sogar wenn sie es eigentlich sind. Es ist Links mithilfe linker Medien gelungen, jeden noch so anständigen Patriotismus als Nationalismus zu diskreditieren. Dabei braucht gerade Freiheit eine Heimat, einen Ort, an dem sie gilt, einen souveränen Perimeter, in dem es Institutionen gibt, die Freiheit sichern und Zwang verhindern.
Die Fussball-Nati zeigt, dass es auch anders, mutiger geht. «Wir sind Schweiz», findet der Fussballverband. Und «wir» schicken 26 Sportler in eine gottverdammte Wüste, in die nie eine Fussball-WM hätte vergeben werden sollen. Doch es sind unsere Leute, und es ist ihr sportlicher Höhepunkt.
Sie wollen zusammen Geschichte schreiben, verspricht Murat Yakin. Ich werde zuschauen und hoffen, dass es gelingt, dass die 26 mir (wieder) grosse Momente schenken. Und ich werde stolz sein. Stolz auf dieses Land und seine Vielfalt.