Somms Memo

Wie führe ich einen anständigen Bürgerkrieg? General Dufour als Vorbild.

image 16. November 2022 um 11:00
General Dufour (1787-1875). Sieger und Versöhner.
General Dufour (1787-1875). Sieger und Versöhner.
Die Fakten: Guillaume Henri Dufour, General der Eidgenossenschaft, entschied den Sonderbundskrieg rasch und effizient. Dauer: 25 Tage. 93 Tote, 510 Verwundete. Warum das wichtig ist: Der letzte Krieg in der Schweiz fand vor 175 Jahren statt. Der wichtigste – und mildeste. Das lag auch an Dufour. Ein Genie des Krieges und des Friedens. Am frühen Morgen des 24. November 1847, um 3 Uhr 45, beantwortete General Dufour in seinem Hauptquartier eine Depesche Luzerns, worin der Kanton um einen Waffenstillstand gebeten hatte. «Non!» schrieb der Genfer zurück, die Stadt Luzern solle sich ergeben, die Tore öffnen und auf ein paar Türmen die eidgenössische Fahne hissen, dann, das sichere er zu, würden die eidgenössischen Truppen friedlich einziehen. Schutz von Personen und Eigentum seien garantiert. Ansonsten beginne die Belagerung. Einen Tag zuvor waren die Truppen des Sonderbundes bei drei Gefechten in der Nähe von Luzern brutal geschlagen worden, es waren die Entscheidungsschlachten des Krieges, wie sich später herausstellen sollte.
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Wenn eine Schweizer Stadt je um ihr Überleben gefürchtet hat, dann jetzt Luzern: Panik brach aus, die Ordnung fiel auseinander, Frauen und Kinder verkrochen sich in ihren Häusern, Soldaten gehorchten keinem Befehl mehr, Offiziere setzten sich ab, und die wenigen Truppen, die noch zur Besammlung kamen, um die Stadt zu verteidigen, sahen aus, als wären sie schon gestorben. Chaos und Untergang. Luzern gab auf. Die Soldaten wurden entlassen, und man schickte Dufour eine «Erklärung unbedingter Unterwerfung». Selbst Franz von Elgger, der Generalstabschefs des Sonderbundes, ein tüchtiger Offizier, der noch im französischen Schweizerregiment gedient hatte, ergriff nun die Flucht über den See, Uri war das Ziel, das letzte Reduit des sonderbündischen Kriegsrates. Was aber sollte mit Elggers Frau und seinem vierzehnjährigen Sohn geschehen, ebenfalls ein Soldat, der im Bett lag? Er war bei Geltwil verwundet worden. Elgger konnte die beiden nicht mitnehmen – und wusste doch genau, wie siegreiche Truppen in einer Stadt zu wüten pflegten, wenn aller Druck, alle Todesangst und Menschlichkeit von ihnen abfiel. Plündern, Vergewaltigen, Töten. Ende der Zivilisation. Ende von Luzern. In grösster Not, unmittelbar vor der Abreise, wandte er sich an Dufour – vor dem Krieg ein Freund, man kannte sich aus der gemeinsamen Zeit an der eidgenössischen Militärschule in Thun – er hinterliess ihm einen Brief:
  • «Je recommande ma femme et mon fils blessé à mon ancien ami ».
  • «Ich vertraue meine Frau und meinen verwundeten Sohn meinem alten Freund an»

Das genügte. Nachdem die eidgenössischen Truppen Luzern besetzt hatten, wurde der Brief Dufour zugestellt.
  • Der General schickte umgehend Doktor Erismann, den Chefarzt der IV. Division, ins Haus der Elggers, um Karl, den verletzten Sohn, behandeln zu lassen. Karl von Elgger wurde bald gesund, später sollte er eine glänzende Karriere als Offizier in der schweizerischen Armee machen
  • und auf Antrag Dufours kaufte die Eidgenossenschaft Franz von Elgger für 200 Franken militärische Pläne ab, die er ausgearbeitet hatte. Damit wurde Frau von Elgger für das Unheil entschädigt, das sie erlitten hatte, als ihr Haus von eidgenössischen Soldaten geplündert worden war
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Wenn man den Sonderbundskrieg, einen Bürgerkrieg, ausgelöst von politischem Hass und religiöser Intoleranz, mit anderen Bürgerkriegen in Europa oder in Amerika vergleicht, dann muss man feststellen:
  • Das war ein Krieg – mit allem Schlimmen, was dazugehört
  • und gleichwohl brachten es die Schweizer fertig, schon während des Krieges an die Zeit nach dem Krieg zu denken
Dafür war zu einem grossen Teil Guillaume Henri Dufour (1787-1875) verantwortlich, dem die Tagsatzung die Aufgabe übertragen hatte, den Sonderbund aufzulösen, ein Separatbündnis von sieben katholisch-konservativen Kantonen, die sich gegen einen Bundesstaat wehrten. Geboren in Konstanz, als Kind von Genfer Eltern, die einst ihre Heimatstadt aus politischen Gründen hatten verlassen müssen, aber bald zurückkehrten, ein brillanter, vielleicht etwas menschenscheuer Offizier, der an den besten militärischen Schulen des napoleonischen Frankreichs ausgebildet worden war, und später die erste Militärschule der Schweiz in Thun mitbegründet und zum Blühen gebracht hatte, war ein General, dessen militärische Entschlossenheit allgemein bewundert wurde, der aber nichts weniger gern führte als einen Krieg. Er hatte davon abgeraten, den Sonderbund militärisch zu erledigen, als er aber widerwillig den Oberbefehl übernahm, erwies er sich als der richtige Mann zur richtigen Zeit, genau deswegen, weil er den Krieg für falsch gehalten hatte:
  • Seine Strategie war einfach, aber klug: Mit überwältigender Übermacht sollte der Gegner innert kürzester Zeit niedergeworfen werden,
  • um so Opfer auf beiden Seiten, wenn immer möglich, zu vermeiden. Denn Dufour wusste: Je länger ein Bürgerkrieg dauert, desto schwerer fällt es, sich danach irgendwann wieder zu versöhnen
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Schlacht bei Gisikon, 23. November 1847.
Es gibt zahllose Beispiele, wie Dufour dafür sorgte, dass die Gewalt nie in sinnlose Gewalt umschlug. Elggers Rettung war kein Einzelfall. Als am 22. November 1847, also vor 175 Jahren, die eidgenössische Armee zum vernichtenden Schlag gegen den Sonderbund ansetzte, erliess Dufour diesen Tagesbefehl: «Eidgenössische Wehrmänner Ihr werdet in den Kanton Luzern einrücken. Wie Ihr die Grenzen überschreitet, so lasst Euren Groll zurück und denkt nur an die Pflichten, welche das Vaterland Euch auferlegt. Zieht dem Feinde kühn entgegen, schlagt Euch tapfer und steht zu Eurer Fahne bis zum letzten Blutstropfen. Sobald aber der Sieg für uns entschieden ist, so vergesset jedes Rachegefühl, betragt Euch wie grossmütige Krieger, verschont die Überwundenen, denn dadurch beweist Ihr Euren wahren Mut.» Es war der letzte Bürgerkrieg. Nie mehr schossen sich die Schweizer seither tot, weil sie unterschiedlicher Meinung waren. Ich wünsche Ihnen einen friedfertigen Tag Markus Somm P.S. Vgl. auch mein Memo, das die Ursachen des Krieges beleuchtet. Es erschien vor einer Woche, Nummer 196.

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