«Public Eye-Files»
Wie die NGO «Public Eye» das Bundesamt für Justiz steuerte (Teil 2)
Bundesrätin Karin Keller-Sutter spricht in der entscheidenden Debatte vom Dezember 2019 mit dem Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder. Rieder wollte den Initianten viel mehr entgegenkommen als die Bundesrätin. (Bild. Keystone)
2019 wähnen sich die Initianten am Ziel: Es liegt ein Gegenvorschlag auf dem Tisch, der ihnen den Abstimmungskampf ersparen würde. Bundesrätin Keller-Sutter will jedoch etwas anderes. Das Bundesamt für Justiz kommt in eine Zwickmühle.
Die Fakten: Bundesrätin Karin Keller-Sutter überzeugte im Sommer 2019 den Bundesrat, doch noch einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Dieser sollte statt die Inhalte Initiative, die internationalen Entwicklungen abbilden. Das Parlament folgt Ende 2019 der Bundesrätin.
Warum das wichtig ist: Der Vorgang zeigt, wie Gegenvorschläge verhindert werden können, die eine Umsetzung einer Volksinitiative sind, ohne dass je darüber abgestimmt wurde.
Das ist passiert: Das «Anfüttern» des Bundesbeamten Nicholas Turin durch den Public Eye-Lobbsisten Urs Rybi (siehe Teil 1) nimmt über die Jahre immer grössere Ausmasse an – und es funktioniert. Turin entwickelt so etwas wie eine Freundschaft zum Lobbyisten der links-grünen NGO, die etwas ganz Anderes will, als Turins oberste Chefin, Bundesrätin Keller-Sutter (FDP). Sie hat Anfang 2019 von Simonetta Sommaruga (SP) das Justizdepartement übernommen und ist damit zuständig für die Konzernverantwortungsinitiative. Der Bundesrat hat die Initiative, wie auch einen Gegenvorschlag, abgelehnt. Mehrfach bedankt sich Turin «unendlich» bei Rybi für Informationen und Unterlagen, weil diese «von grossem Nutzen» seien und, so Turin, «die parlamentarische Debatte beeinflussen könnten.»
«Cher Monsieur Rybi, Je vous remercie infiniment pour votre message qui nous sera d’une très grande utilité. Je vous souhaite une très belle fin de journée.» So bedankt sich Nicholas Turin am 8. Juli 2019 für mehrere rechtsvergleichende Aufsätze, die alle darlegen, dass die Schweiz unbedingt einen Gegenentwurf zur Konzernverantwortungsinitiative ausarbeiten müsse, bei der die Firmen in der Schweiz vor den Richter gezogen und haftbar gemacht werden können, weil dies in zahlreichen anderen Ländern bereits der Fall sei oder bald eingeführt werde. Die Schweiz gerate sonst in Rückstand. Damit wollen die Initianten einen möglichst scharfen Gegenvorschlag erzielen. Das Argument wird die Auseinandersetzung über die Konzernverantwortungsinitiative bis zum Abstimmungstag im November 2020 begleiten, tatsächlich eingetroffen ist der behauptete «Rückstand» bis heute nicht.
«Ich bin Ihnen sehr dankbar»
Ist die Zielperson vom Lobbyisten angefüttert, muss die Beziehung gepflegt werden. Neun Tage nach dem überschwänglichen Dank von Turin bedient Rybi seinen Kontakt im Bundesamt für Justiz mit «weiterer relevanter Literatur». «Somit haben Sie nun (...) gleich alle Artikel zur Hand.» Und Turin schreibt euphorisch zurück: «Fantastisch! Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Quellen. Es ist eine Erleichterung, von Ihrer Forschung profitieren zu können.» Turin freut sich, dass ihm Rybi die Arbeit abnimmt. Damit ist die Abhängigkeit perfekt.
Ausschnittr aus dem Mailverkehr des Bundesamtes für Justiz mit dem Vertreter der Initiative. (Screenshot: fi.)
Auch dieser Zeitpunkt ist politisch wichtig: Die Mitte-Ständeräte wollen im Juli 2019 nämlich einen Kompromiss einfädeln, welcher der Initiative entgegenkommt. Noch in der Frühlingssession hatte die kleine Kammer einen Gegenvorschlag abgelehnt, weil er kein Kompromiss, sondern bereits die Umsetzung der extremen Initiative sei. Doch das Bundesamt arbeitet unverdrossen an einem Gegenvorschlag: Philipp Weber, Stellvertretender Leiter des Fachbereichs Zivilrecht und Zivilprozessrecht geht Ende Juni die Initianten sogar aktiv um einen Termin an, um ihre «Vorstellungen» zu erfahren. Rybi findet das «perfekt» und man findet schnell einen Termin.
Bundesrätin Keller-Sutter greift ein
Und noch etwas passiert im Sommer 2019: Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) nimmt sich der Angelegenheit an. Sie überzeugt im August den Bundesrat davon, seine Meinung zu ändern und einen Gegenvorschlag zu befürworten. Ziel ist ein auf die internationale Entwicklung abgestimmte Regelung – ohne Haftung. Damit engagiert sich Keller-Sutter für etwas anderes als die Wirtschaftsverbände: Diese wollten die Initiative ohne Gegenvorschlag vors Volk bringen.
Gleichentags stimmt die Rechtskommission des Ständerates im Grundsatz einem Gegenentwurf zu. Der enthält nach der Sitzung im September auf Drängen der Mitte-Ständeräte allerdings wie in der Version des Nationalrates eine Haftung für Schweizer Unternehmen vor Schweizer Gerichten inklusive Beweislastumkehr – und das für Angelegenheiten, die irgendwo auf der Welt passiert sind.
Fast am Ziel
Rybi und Public Eye wären damit am Ziel. So ein Gegenvorschlag würde die Initiative faktisch auf gesetzesstufe umsetzen – und dies ohne einen teuren Wahlkampf über ihre Initiative führen und gewinnen zu müssen. Der Lobbyist gibt sich kurz vor der Debatte im Ständerat gegenüber Turin mit dem Gegenvorschlag zufrieden und signalisiert den Rückzug der Initiative – wenn der Ständerat seiner Rechtskommission folgt. Er bedient deshalb Turin mit dem vertraulichen Dokument mit den Anträgen aus der Rechtskommission.
Zum Showdown kommt es am 18. Dezember 2019 im Ständerat. Die Haftung fällt nach einer langen Debatte weg. Der Rat übernimmt die Linie des Bundesrates: ein auf die internationale Rechtsentwicklung abgestimmtes Vorgehen – ohne Haftung. Kurz darauf bricht der Mailverkehr zwischen Public Eye und dem Bundesamt komplett ab. Warum ist unklar, denn das Parlament arbeitet noch bis im Sommer 2020 am Gegenvorschlag. Womöglich hat man im Bundesamt gemerkt, dass Mailkontakte dem Öffentlichkeitsgesetz unterstehen und somit von der Bevölkerung eingesehen werden können.
Am 24. Dezember schickt Urs Rybi Nicholas Turin einen Leserbrief aus der NZZ. Turin bedankt sich umgehend, findet den Hinweis «interessant» und wünscht schöne Festtage.
Es ist der letzte Kontakt via Mail. Elf Monate später wird die Konzernverantwortungsinitiative von den Ständen abgelehnt – von der Bevölkerung wäre sie angenommen worden.
Bundesamt bittet um Auskunft
Zusätzlich zu fast 600 Seiten Mailverkehr zwischen dem Bundesamt für Justiz (BJ) und Public Eye gab es enge telefonische Kontakte und mehrere Treffen. Dies geht aus dem Mailverkehr hervor. Die Beziehung geht so weit, dass sich das Bundesamt bei den Initianten Rechtsauskünfte holt, die über die Interpretation der Initiative hinausgehen. Am 16. August 2018 fragt Adrian Tagmann, Mitarbeiter von Nicholas Turin, bei Urs Rybi nach, wie denn eine Regelung des Gegenvorschlages zu verstehen sei. Rybi gibt darauf eine für die Initianten günstige Einschätzung ab und bedankt sich besonders, weil er nun in einer Anhörung in der Woche darauf diese Themen präsentieren könne.
Am 8. April 2018 wendet sich Rybi an das BJ mit einer Auslegungsfrage, die ihm umfangreich beantwortet wird. Rybi benutzt die Gelegenheit, einen Einschub im Sinne der Initianten einzubringen. Insgesamt bittet das Bundesamt die Initianten viermal schriftlich um eine Rechtsauslegung. (fi.)
Bundesamt für Justiz: Diskussionen «nicht unüblich»
In einer Stellungnahme schreibt das Bundesamt für Justiz, dass es nicht unüblich sei, «technische Fragen auf Fachebene» zwischen den Initianten und dem zuständigen Bundesamt zu diskutieren. Man stehe der Öffentlichkeit als «Auskunftsstelle» zur Verfügung. Das gelte auch für die Ausarbeitung von Gegenvorschlägen. Dass der Mailverkehr über technische Fragen hinaus in politische und taktische Themen ging und das Bundesamt nicht Auskunftsstelle war, sondern selber um Auskunft bat, dazu nimmt das Bundesamt keine Stellung. Das Bundesamt habe sich auch regelmässig mit den Wirtschaftsverbänden besprochen. Auch diese Gespräche hätten in einem «freundlichem Tonfall» stattgefunden.
Die Quellen: