«Public Eye-Files»

Wie die NGO «Public Eye» das Bundesamt für Justiz beeinflusste (Teil 1)

image 17. August 2023 um 04:00
Nicholas Turin (links), Michael Schöll und Karin Poggio vom Bundesamt für Justiz am 19. Juni 2019 im Nationalrat bei der Debatte über die Aktienrechtsreform. Alle drei standen in Kontakt mit «Public Eye». (Bild: Keystone)
Nicholas Turin (links), Michael Schöll und Karin Poggio vom Bundesamt für Justiz am 19. Juni 2019 im Nationalrat bei der Debatte über die Aktienrechtsreform. Alle drei standen in Kontakt mit «Public Eye». (Bild: Keystone)
Die Fakten: Von 2016 bis Ende 2019 gab es enge Kontakte zwischen «Public Eye» als Vertreter der Initianten der Konzernverantwortungsinitiative und dem Bundesamt für Justiz. Dabei wurden vertrauliche Informationen ausgetauscht.
Warum das wichtig ist: Die Initianten behaupteten im Abstimmungskampf und danach, die Bundesverwaltung und insbesondere die damals zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter habe sich vor allem für die Interessen der Wirtschaft eingesetzt.
Die Recherche zeigt das Gegenteil: Ein Bundesamt, das sich in gefährliche Abhängigkeit von Initianten begibt.
Das ist passiert: Knapp 600 Seiten lang ist der Mailverkehr zwischen der links-grünen Organisation «Public Eye» und dem Bundesamt für Justiz. Thema ist die Konzernverantwortungsinitiative. Die Botschaften zeigen, wie die Initianten an der zuständigen Bundesrätin Karin Keller-Sutter vorbei mithilfe des Bundesamtes die Politik beeinflussten. Der «Nebelspalter» hat sie dank eines Gesuchs nach dem Öffentlichkeitsgesetz erhalten.
Da tönt es etwa so: «Cher Monsieur Rybi, Je vous remercie beaucoup pour ce document (je ne recevons que très rarement les prises de positions adressées aux parlementaires). (...) Je vous souhaite une très belle journée. Nicholas»
image
Auszug aus einem Mailverkehrzwischen dem Bundesamt für Justiz und «Public Eye». (Screenshot: fi.)
Wer sich da so überschwänglich bedankt, ist Dr. Nicholas Turin. Turin ist Jurist und Chef des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister im Bundesamt für Justiz. Und er ist Dreh- und Angelpunkt der Ausarbeitung eines Gegenvorschlages zur Konzernverantwortungsinitiative.

Was wichtig ist:

  • Die Initianten der Konzernverantwortungsinitiative haben über das Bundesamt für Justiz Einfluss auf die Gesetzgebung genommen.
  • Dies zeigt der umfangreiche Mailverkehr zwischen dem Bundesamt und der linken NGO «Public Eye».
  • Das Bundesamt liess sich von den Initianten mit Insiderdokumenten beliefern und Rechtstexte auslegen.

«Nur für Sie»

Turins Dank geht an Urs Rybi. Er ist so etwas wie der Cheflobbyist bei Public Eye für die Konzernverantwortungsinitiative. Das Dokument, für das sich Turin bedankt, hat es in sich: Rybi liefert Turin am 4. Juni 2019 das vertrauliche Papier von Econmiesuisse zur Konzernverantwortungsinitiative – und zwar, wie er ausdrücklich betont, «nur für Sie». Rybi hat das Papier von einem Mitglied der Rechtskommission des Nationalrates. Dass dabei das Amtsgeheimnis verletzt wurde, liegt auf der Hand.
Der Zeitpunkt von Rybis Weiterleitung des Dokuments ist wichtig: Neun Tage später wird der Nationalrat über den Gegenentwurf entscheiden – und, gemäss Rybis Wunsch, daran festhalten.
Lobbying ist Interessenvertretung. Werkzeug dazu ist der Handel mit Insiderinformationen zum Zwecke des Herstellens von Vertrauen und Abhängigkeit bei einem wichtigen Player im politischen Prozess – zum Beispiel der Bundesverwaltung.

Handel mit Insiderwissen

Die «Public Eye-Files» zeigen: Rybi versteht sein Geschäft. Immer wieder bedient er den Chefbeamten und seine Kollegen im Bundesamt mit Informationen, die er eigentlich gar nicht haben dürfte. Geschweige denn weiterverbreiten.
Einen ersten Austausch gibt es bereits vor Einreichung der Initiative im September 2016. Die Initianten wollen das Bundesamt über internationale Entwicklungen informieren. Es fänden derzeit «interessante Entwicklungen» statt, schreiben sie am 16. November und man würde sich gerne «für einen baldigen nächsten Austausch» treffen.
Kurz vor der Beratung des Vorhabens in der Rechtskommission des Ständerates beginnen dann die Indiskretionen. So schreibt Rybi:
«Wie im September angekündigt: es gibt nun einen Text für einen Kompromissantrag aus der Mitte zum Einbezug des Handels mit Übergangsfrist. Ich sende Ihnen diesen – informell und vertraulich – anbei. Bis am 23.10. reichen die Kommissionsmitglieder ihre Anträge ein. Wenn Sie noch wichtige Rückmeldungen haben, werde ich versuchen dies in den nächsten Tagen den zuständigen Personen noch zu signalisieren.»

«Vielleicht telefonieren wir mal?»

Rybi offeriert in diesem Mail, dass er «Rückmeldungen» aus dem Bundesamt an die Parlamentarier weiterleiten würde. Und er verspricht, sich noch zu melden. «Vielleicht telefonieren wir am Mittwoch mal?»
Das zeigt: Die Kontakte von Public Eye gehen also weit über den dokumentierten Mailverkehr hinaus. Und das Mail enthält einen Hinweis, woher Rybi die vertraulichen Informationen von der bürgerlichen Seite bekommt: von der Mitte-Partei. Der «Kompromissantrag», den die Mitte-Vertreter einbringen, dürfte aus Rybis Feder stammen. Beweisen lässt sich das nicht. Mitte-Politiker sind die wichtigsten Ziele für Lobbyisten, weil sie Mehrheiten mit Links und Rechts schaffen können.
Lesen Sie morgen den zweiten Teil der Recherche – wenn Bundesrätin Karin Keller-Sutter eingreift.
Die Quellen:
  • MailverkehrBJPublicEye Teil1
  • MailverkehrBJPublicEye Teil2
  • MailverkehrBJPublicEye Teil3
  • MailverkehrBJPublicEye Teil4
  • MailverkehrBJPublicEye Teil5
  • MailverkehrBJPublicEye Teil6
  • MailverkehrBJPublicEye Teil7

#WEITERE THEMEN

image
Etwas Geduld

«Bern einfach» wird später aufgeschaltet

28.9.2023

#MEHR VON DIESEM AUTOR

image
Bern einfach

Spezial mit Nicola Forster: Mantelerlass, 1848, GLP, EU-Politik

27.9.2023