Somms Memo
Was geschieht, wenn Alain Berset zurückgetreten ist? Beat Jans wäre der beste Nachfolger
Beat Jans, Regierungspräsident von Basel-Stadt. Oder Bundesrat?
Die Fakten: Alain Berset ist nach wie vor im Amt. So oder so muss die SP ihn aber ersetzen. Jetzt oder in einem Jahr. Noch halten sich Kandidaten zurück.
Warum das wichtig ist: Der nächste SP-Bundesrat dürfte ein Deutschschweizer Mann sein. Am besten wäre Beat Jans.
Gewiss, ich bewege mich auf dem Feld der Spekulation. Noch ist Alain Berset (SP) Bundespräsident – und trotz offensichtlicher Verfehlungen seines Kommunikationschefs und wohl auch von ihm selbst – klammert er sich an sein Amt, als hinge sein Leben davon ab:
- Konkret, d.h. finanziell und karrieremässig, ist das auch der Fall
- Der Mann ist 50 und zu jung für den Ruhestand. Selbst wenn er als alt Bundesrat eine gute Rente erhielte – er bleibt auf ein höheres Einkommen angewiesen, er hat drei Kinder, für deren Ausbildung er noch besorgt sein muss
- Doch Bundesräte gelten als schwer vermittelbar. Was soll Berset nach seiner Zeit an der Macht noch tun? Bundesräte gewöhnen sich daran, dass sie überall behandelt werden, als seien sie Jesus: Herr Bundesrat, können wir Sie anbeten? Darf ich Sie auf Händen tragen?
- Solchen Leuten fehlt es am nötigen, säkularisierten Ehrgeiz. Dem Vernehmen nach gibt es in Bern Ämter und Beamten, die angestrengt nach einem internationalen Job suchen – für den angezählten Bundespräsidenten. Bislang ohne Ergebnis
Wie dem auch sei, ob Berset bald geht, weil neueste Erkenntnisse der Medien oder der GPK beweisen, dass er über die Umtriebe seines Peter Lauener im Bild war oder ob er sich nach den kommenden Nationalratswahlen im Herbst zurückzieht – allzu lange dürfte er sich nicht mehr halten können. Politisch ist er ohnehin verbraucht.
Als dritter und amtsältester Welscher gilt er als überzählig, wie die meisten im Parlament finden. Wenn es darum geht, die aktuelle lateinische Übervertretung (drei Welsche, ein Tessiner) im Bundesrat zu korrigieren,
- dann soll das erstens innert nützlicher Frist geschehen
- und zweitens erwartet man das von der SP, wie insbesondere FDP-Präsident Thierry Burkart das bereits im Dezember klargestellt hatte.
Was Berset sich derzeit überlegt, wissen nur die Götter oder allenfalls Berset, was die SP sich erwünscht, ist dagegen noch schwerer zu bestimmen.
Sie steckt im Dilemma. Zwar haben manche in der Partei Berset satt – seine Affären, seine Arroganz, ja, auch sein Charisma, das ihn dazu verführt – doch gleichzeitig ist allen bewusst, wie populär der Freiburger vorderhand noch ist.
- Eine Umfrage, die das Sotomo-Institut für die NZZ am Sonntag Ende Januar vorgenommen hat, belegt, dass die Sympathie für Berset in der Bevölkerung ungebrochen hoch ist – Corona-Leaks hin oder her. Wenn er morgen über Wasser gehen würde, wäre also niemand überrascht
- Dennoch bedeutet Berset je länger desto mehr eine Hypothek, zumal selbst in der SP niemand weiss, was in den Tiefen der Corona-Leaks-Affäre noch verborgen liegt. Ist das Gröbste bekannt oder tauchen weitere Zumutungen auf? Abgesehen davon, dass jederzeit ein neuer Skandal denkbar ist – wie nicht bloss Zyniker und Berset-Routiniers befürchten
Kurz: Wer wie Berset aus Teflon zu bestehen scheint, zieht auch jedes Spiegelei an.
Am 22. Oktober 2023 finden die Nationalratswahlen statt. Das ist in knapp neun Monaten. Einen Wahlkampf unter solch objektiv erschwerten Bedingungen zu führen, ist bestimmt nicht das, was sich die ohnehin verunsicherte SP-Führung erträumt hat. Müsste sie Berset demnach zum Rücktritt drängen?
Was kurzfristig womöglich eine gewisse Entlastung brächte, wäre langfristig wohl ein Desaster. Der Freisinn hat sich vom erzwungenen Rücktritt von Elisabeth Kopp eigentlich bis heute nicht richtig erholt. Das war im Dezember 1988, also vor gut 34 Jahren.
Denn Rücktritte von Bundesräten unter unehrenhaften Umständen kommen in der Schweiz sehr selten vor. Merkwürdigerweise etwa alle dreissig Jahre, als handelte es sich um eine Tragödie, wie sie eine Generation nur einmal erleben möchte. Wenn die Schweizer etwas hassen, dann zu viel Unruhe im Bundeshaus:
- 1917 wurde Arthur Hoffmann (SG, FDP) zum Rücktritt gezwungen – er hatte neutralitätswidrig einen Separatfrieden zwischen Deutschland und Russland aushandeln wollen
- 1944, eine Generation später, war es an Marcel Pilet-Golaz (VD, FDP) die Konsequenzen aus seinen anhaltenden aussenpolitischen Misserfolgen zu ziehen. Es war ihm nicht gelungen, mit der Sowjetunion diplomatische Beziehungen aufzunehmen
- EMD-Chef Paul Chaudet (VD, FDP) musste 1966 gehen, weil es bei der Beschaffung von neuen Mirage-Kampfflugzeugen zu ungeheuren Kostenüberschreitungen gekommen war. Seine Partei verlor das Vertrauen in ihn – zumal Wahlen bevorstanden. Beleidigt trat er per sofort zurück
- 1988 gab Elisabeth Kopp (ZH, FDP) ihr Amt auf. Sie hatte ein Telefonat verschwiegen, in dem sie ihren Gatten vor einer Ermittlung der Bundesanwaltschaft warnen wollte. Man warf ihr Amtsgeheimnisverletzung vor – (wovon sie das Bundesgericht später freisprach)
Karikatur zur Mirage-Affäre, Nebelspalter 1964.
Das trug sich vor einer Generation zu. So gesehen, wären die Schweizer vielleicht wieder imstande, einen unfreiwilligen Rücktritt zu ertragen. Ob die SP das erträgt, ist allerdings eine andere Frage.
Hinzu kommt ein zweites Problem. Wer folgt auf Berset? Angesichts der vielen Quoten, die die SP zu beachten hat, dürften Deutschschweizer Männer für einmal intakte Chancen haben. Was auf den ersten Blick für die SP die Sache einfacher zu machen scheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als weniger ideal:
- Daniel Jositsch, wohl der aussichtsreichste Kandidat, will die SP auch jetzt nicht – zumal er sich bei den vergangenen Bundesratswahlen im Dezember nicht so loyal verhalten hat wie erwünscht
- Die übrigen Männer mit Aufstiegsorientierung sind entweder zu jung (Cédric Wermuth, Jon Pult) oder stammen aus dem Kanton Bern (Matthias Aebischer), was ungünstig ist, solange Albert Rösti (SVP) diesen Sitz innehat
- Alle haben im Übrigen kaum Exekutiverfahrung
Aus diesem Grund empfehle ich der SP – auch wenn sie sicher nicht auf mich hört, was ich bedaure – den Regierungspräsidenten von Basel-Stadt, Beat Jans, ein ehemaliger Nationalrat, der Bern kennt, und sich inzwischen einen guten Namen als Exekutivpolitiker gemacht hat.
- Er gilt als fähig und durchsetzungsstark
- Kompromissbereit (im Rahmen dessen, was man bei der SP erwarten darf)
- Er repräsentiert klug und souverän
Selbstverständlich teile ich die meisten seiner politischen Ansichten nicht, aber das Parlament hat einen Sozialdemokraten zu wählen – nicht einen Liberalen.
Sollte die SP wie erwartet nicht auf mich hören, dann erinnert sie sich vielleicht an Karl Kraus, den österreichischen Autor, der einmal sagte:
«Künstler ist einer, der aus einer Lösung ein Rätsel machen kann.»
Das gleiche gilt für Politiker.
Ich wünsche Ihnen ein wunderbares Wochenende
Markus Somm