Somms Memo
Warum geht uns der Strom aus? Weil wir Politiker haben

Das Atomkraftwerk Leibstadt im Kanton Aargau. Monument des Elektro-Patriotismus.
Die Fakten: Die Strompreise steigen in Europa unaufhörlich, je nach Tag und Region zahlt man bis zu zehn Mal mehr als vor einem Jahr – auch in der Schweiz.
Warum das wichtig ist: Das liegt nicht allein am Ukraine-Krieg, wie viele Politiker beteuern. Sondern an ihnen. Es rächen sich 30 Jahre einer falschen Politik.
An der europäischen Strombörse EPEX SPOT in Paris wird mit Strom gehandelt, den man kurzfristig beziehen kann, sofort oder einen Tag später (Intraday- bzw. Day-Ahead-Handel).
Je nach Tageszeit und Saison, aber auch je nach Land, schwanken die Preise natürlich dauernd, wie das an jeder Börse der Fall ist. Allerdings blieb das Preisniveau für lange Zeit immer etwa gleich.
Bis vor gut einem Jahr die Preise plötzlich abzuheben begannen:
- Im Juli 2021 kostete eine Megawattstunde etwa 60 Euro
- Ein Jahr später zahlt man über 565 Euro, manchmal steigt der Preis gar auf über 700 Euro, je nach Tagesform
Das ist nahezu eine Verzehnfachung. Betrachtet man die Preise an der Strombörse EEX in Leipzig, einem Terminmarkt, wo Strommengen verkauft werden, die dann in vielleicht in fünf oder sechs Monaten geliefert werden, dann erweist sich die Entwicklung als noch spektakulärer:
- Wer jetzt Strom kauft, den er im Januar 2023 beziehen will, zahlt für eine Megawattstunde über 1000 Euro
Angesichts der Tatsache, dass Strom unverzichtbar geworden ist, kann man ermessen, wie hart diese Preissteigerung die Menschen treffen wird. Niemand kann ohne Strom leben – also wird man zahlen, was immer man muss.
Gewiss, wir können auch sparen – wozu uns die Politiker nun auffordern. Oft sind es die gleichen Politiker, die noch gestern
- mehr Elektromobilität verlangten
- uns mit Strom betriebene Wärmepumpen vorschreiben wollten
- und auch sonst in jeder Rede das hohe Lied auf die Digitalisierung anstimmten, die wir ja nicht versäumen sollten, was ebenfalls immer mehr Strom verschlingt
Tatsächlich hat der Stromverbrauch seit gut hundert Jahren ständig zugenommen, in einem Ausmass, das wir uns kaum mehr vorstellen können
- 1907 lag der Stromverbrauch pro Kopf in der Schweiz bei rund 165 Kilowattstunden (kWh), das war der höchste in der ganzen Welt. Das Land besass auch eines der modernsten Stromversorgungsnetze der Welt, nur die USA wiesen ähnliche Werte auf
- Bis 1950 hatte sich dieser Verbrauch pro Kopf auf rund 2000 kWh erhöht
- 1970: 4000 kWh
- 1990: 7000 kWh
- 2011 wurde mit 7600 kWh ein Rekordwert erreicht
Seither fiel der Verbrauch leicht zurück. Heute sind es 6770 kWh pro Kopf, also zurück auf den Stand der 1990er Jahre.
Da die Schweiz aber seither rund 2 Millionen Einwohner mehr zählt, hat sich der Strombedarf des Landes noch einmal stark erhöht. Und er wird weiter steigen – weil die Zuwanderung wohl nicht abreisst.
Mit anderen Worten, auch wenn wir am Abend das Licht früher löschen und den Kühlschrank weniger kalt einstellen: Am hohen Strombezug wird das wenig ändern.
Ohne Strom keine Spitäler, keine Industrie, keine Haushaltgeräte, kein modernes Leben.
Die Staumauer Grande Dixence wurde zwischen 1951 und 1965 gebaut. Sie ist noch heute die vierthöchste Staumauer der Welt.
Früher war das jedem Politiker bewusst, ob er nun bürgerlich oder links stand. Ob FDP, CVP, SVP oder SP: Alle liebten den Strom. Der einzige «heimische Rohstoff», hiess es, «unser Strom», sagte man mit Ehrfurcht und Genugtuung, als hätte jeder Schweizer in seinem Garten ein eigenes kleines Kraftwerk.
Und dementsprechend eifrig baute man die Stromproduktion aus. Jahr für Jahr hat die Schweiz seit den 1890er Jahren neue Kraftwerke, Staumauern und Hochspannungsleitungen in die Landschaft gestellt. Das Elektro-Land und seine Elektro-Bürger.
Wenn es einen physischen Ausdruck des schweizerischen Patriotismus gab, dann lag er in diesen gigantischen Anlagen, diesen Kathedralen des Elektro-Zeitalters. Schulklassen fuhren hin, WK-Truppen, Turnvereine, ja selbst der Bundesrat besichtigte sie gerne, wenn er seine Schulreise vornahm.
Kaiseraugst änderte das alles. Wenn es einen Tag gab, da die Elektro-Schweiz unterging, dann war das der Tag, da die Bürgerlichen dieses AKW selber aus der Welt schafften. Aus Einsicht? Aus Vernunft?
Jahrelang hatte die Linke (zuerst auch gegen den Widerstand der SP) den Bau dieses Atomkraftwerkes mit zweifelhaften Methoden hintertrieben. Zweifelhaft, indem man etwa das Baugelände widerrechtlich besetzt hatte. Jahrelang hatte die Linke aber auch jede Abstimmung verloren, wenn die Schweizer gefragt wurden, ob sie auf die Atomkraft verzichten wollten, – trotzdem gewann die Linke am Ende.
Den Bürgerlichen war es zu dumm geworden. Es war eine Art Erschöpfungs-Bruch.
Dabei meinte man, der Linken den kleinen Finger gegeben zu haben, tatsächlich war es der ganze Arm.
Denn seither hat die Schweiz kaum mehr neue Anlagen zur Stromproduktion errichtet, obwohl der Bedarf laufend wuchs. Stattdessen liessen die Politiker den fehlenden Strom importieren, ironischerweise vor allem aus französischen Atomkraftwerken.
Man hatte Kaiseraugst sozusagen in Frankreich entsorgt.
Was die Schweizer Politiker taten, machten auch ihre Kollegen in Europa. Weil grosse Anlagen überall auf Widerstand stiessen, lagerte man die Energieproduktion kurzerhand aus, in ärmere Länder, wo weniger Grüne vorkamen.
Gewiss, Putin hat vieles verkompliziert. Aber es führt nichts an dieser Einsicht vorbei:
Hätte die Schweiz, hätte Westeuropa den Bau von Kraftwerken, die im Gegensatz zu Wind– oder Solaranlagen zuverlässig Strom produzieren können, nicht vernachlässigt: Wir müssten uns nie auf einen Blackout einstellen.
Und die Strompreise hätten sich kaum verzehnfacht.
Nikola Tesla (1856 – 1943). Elektro-Genie.
Nikola Tesla, einer der grossen Elektropioniere der Technikgeschichte, sagte das schon im 19. Jahrhundert voraus:
«Elektrischer Strom ist überall in unbegrenzten Mengen vorhanden und kann die Maschinen der Welt ohne Kohle, Öl, Gas oder andere der üblichen Brennstoffe antreiben.»
Stimmt. Er hat bloss vergessen anzufügen: Falls man die dazu nötigen Kraftwerke baut.
Ich wünsche Ihnen einen Tag ohne Stromunterbruch
Markus Somm