Somms Memo
Wann geht Berset? Lehren aus dem Fall Kopp.
Bundesrätin Elisabeth Kopp erklärt vor den Medien ihren Rücktritt, 12. Dezember 1988. Eigentlich hatte sie nur zu lange geschwiegen.
Somms Memo gibt's auch als kostenlosen Newsletter. Täglich in Ihrer Mailbox.
Die Fakten: Peter Lauener, Sprecher von Alain Berset, stand 180-Mal mit Ringier im Kontakt. Dabei verletzte er regelmässig das Amtsgeheimnis.
Warum das wichtig ist: Was wusste Berset? Offiziell sagt er: nichts. Sollte sich das als unwahr herausstellen, muss er gehen. Elisabeth Kopp trat wegen weniger zurück.
Ein Vergleich zwischen der aktuellen Affäre um Bundespräsident Alain Berset und dem Rücktritt von Elisabeth Kopp vor 34 Jahren ist aufschlussreich.
- Er mag als Benchmark gelten: Wie macht sich ein Bundesrat untragbar?
- Was braucht es, dass eine Mehrheit des Parlaments und der Bevölkerung einem Bundesrat das Vertrauen entziehen?
Denn im Fall Kopp ging es genau darum: Um den beispiellosen Absturz einer Politikerin, die noch Ende September 1988 in einer Umfrage zur beliebtesten Bundesrätin erkoren worden war, um keine drei Monate später als Hexe der Nation ihren Schreibtisch fast fluchtartig räumen zu müssen.
Am 12. Dezember 1988 erklärte sie ihren Rücktritt – unfreiwillig. Ein sehr seltener Vorgang in der Schweiz.
Was war geschehen?
Als Elisabeth Kopp (FDP) 1984 als erste Frau überhaupt in die Landesregierung gewählt werden sollte, gab es bereits Stunk: Ihr Mann, Hans W. Kopp, war schweizweit bekannt als ein brillanter, wenn auch ruchloser Wirtschaftsanwalt
- mit geschäftlichen Verbindungen, die rochen
- und Führungsmethoden, die stanken,
- zumal sie mehr an eine frühe Version von «Shades of Grey», einem sadomasochistischen Klassiker, erinnerten als an den betriebsüblichen Umgang in eidgenössischen Büros. Kopp pflegte seine Sekretärin mit Füdlitätsch zu bestrafen. Deshalb ging der Fall als Füdlitätsch-Affäre in die Geschichte ein, womit genug angedeutet ist
Kurz, war Elisabeth Kopp angesichts eines solchen nahen Verwandten wählbar? Das Parlament entschied zu Recht, dass sie nicht für die Sünden ihres Mannes zuständig war. Kopp stieg in den Bundesrat auf.
Doch die Journalisten liess dieser sonderbare Gatte nicht mehr los. Es wurde recherchiert, es wurde gemutmasst, es wurde misstraut. Dieser Kontext ist wichtig, um zu verstehen, was vier Jahre später geschah.
Kopp wurde Justizministerin und regierte erfolgreich und effektiv, bis sie eines Morgens von ihrer Mitarbeiterin erfuhr, dass ihr Mann womöglich in einen Geldwäscherei-Fall verwickelt war. Die Firma, um die es ging, hiess schon so, dass man sich Sorgen machen musste: Shakarchi Trading AG. Das klang nach einem Haifisch.
- Unverzüglich nahm Kopp das Telefon in die Hand und rief ihn an: «Hans, Du musst dich aus diesem Verwaltungsrat zurückziehen. Sofort!»
- Was dieser am gleichen Tag tat
Wie immer kam die Sache aus, die Medien wussten mehr, als Kopp lieb sein konnte, dabei versäumte es Kopp lange, den Bundesrat und ihre Partei vollständig ins Bild zu setzen, insbesondere verschwieg sie das Telefonat an ihren Mann, das bald zum berühmtesten Telefonat der Schweizergeschichte werden sollte.
- Man warf ihr Amtsgeheimnisverletzung vor
- Man ging davon aus, dass Hans W. Kopp Geldwäscherei betrieben hatte. Lebte damit die Justizministerin nicht indirekt von kriminellen Machenschaften?
Das alles allerdings reichte nicht. Wenn Kopp am Ende nicht mehr anders konnte als zurückzutreten, dann lag das an diesem Telefonat, das zu verbergen sie sich bemüht hatte.
Es war ein tragischer Fall.
Hinterher stellte sich heraus, dass nichts stimmte.
- Zwar stammten die Informationen über den Geldwäscherei-Verdacht aus der Bundesanwaltschaft, dennoch sprach das Bundesstrafgericht Elisabeth Kopp 1990 vom Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung frei
- Und 1991 wurde auch das Ermittlungsverfahren gegen die Shakarchi Trading AG eingestellt. Die zuständige Bezirksanwaltschaft Zürich hatte nichts Anrüchiges gefunden. Der Tages-Anzeiger, der in dieser Sache führend recherchiert hatte, musste sich bei Shakarchi entschuldigen – in der eigenen Zeitung
Mit anderen Worten: Kopp ist ohne Grund zurückgetreten. Die Medien waren dafür verantwortlich, die als Fakten darstellten, was sich als Fake News erweisen sollte.
Sie dagegen hatte sich wenig vorzuwerfen. Wenn sie damals vor ihrem Rücktritt sagte, es treffe sie «weder rechtlich noch moralisch irgendeine Schuld», dann hatte sie Recht. Selbst wenn die Journalisten sie damals auslachten.
- Hätte Kopp von Anfang an über ihre telefonischen Gewohnheiten offen gesprochen – nie wäre sie zum Rücktritt gezwungen worden
- Ein Telefonat, das nicht illegal war, wo sie kein einziges Amtsgeheimnis gebrochen hatte, kostete sie das Amt
Alain Berset, Bundespräsident 2023. (Quelle: Keystone)
Was unterscheidet diese Geschichte von Bersets Fall?
- Hier sind unzählige, potenzielle Amtsgeheimnisverletzungen bereits bekannt geworden
- Noch gilt für Peter Lauener die Unschuldsvermutung, doch dessen E-Mail-Gewohnheiten deuten sehr klar darauf hin, dass er sich wohl strafbar gemacht hat
Offen bleibt: Was Berset davon wusste? Noch schweigt er grossflächig – oder gibt sich ahnungslos.
Wenn man allerdings die vielen E-Mails seines Sprechers an Marc Walder, den CEO von Ringier, liest – ich habe sie gestern zitiert – dann kann man sich schwer vorstellen, dass das alles ohne Wissen und Einverständnis von Berset geschehen konnte.
- Berset gilt in Bundesbern als autoritärer, starker Chef, dem kein Detail entgeht
- Seine Beziehung zu Peter Lauener war eng – und ist es wohl immer noch. Lauener, der inzwischen für eine Berner Kommunikationsagentur tätig ist, nahm im letzten Dezember an der Bundespräsidentenfeier von Berset teil
Kopp, und jetzt Berset?
Ich weiss es nicht. Was ich aber weiss: Kopp ist wegen viel weniger zurückgetreten.
Oder wie es der grosse und düstere Schriftsteller Franz Kafka einmal sagte:
«Der Grundsatz, nach dem ich entscheide, ist: Die Schuld ist immer zweifellos.»
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag
Markus Somm