Printausgabe
Verkehrsregeln all'italiana
Sobe (Peter Zimmer)
Die Staumeldungen vom Gotthard beweisen es: Die Zeit des grossen automobilen Aufbruchs in den Süden ist wieder gekommen. Verkehrsverbände und Experten machen die Automobilisten darauf aufmerksam, dass auf ausländischen Strassen zum Teil andere Verkehrsregeln und -gewohnheiten gelten. Als versierter Italienfahrer trage ich gerne zur Verkehrs Sittenlehre im Bel Paese bei.
Achtung, Einbahnstrasse
Meine erste Erfahrung in der Regelkunde machte ich vor vielen Jahren, als ich in einer kleineren Stadt eine Adresse suchte, zu der ich einfach keinen Weg fand. Nach dreimaligem Umkurven des Städtchens hielt ich an und fragte einen Polizisten, wie ich denn dahinkäme. «Da fahren Sie jetzt einfach geradeaus weiter und schwenken bei der zweiten Abzweigung rechts rein. Aber Achtung! Seien Sie vorsichtig, es ist eine Einbahnstrasse,» sagte der hilfsbereite Uniformierte.
Nun gut, Einbahnstrassen gibt’s ja schliesslich auch bei uns, dachte ich und fuhr los. Bei der zweiten Abzweigung wurde mir die tiefere Bedeutung der Warnung klar: Die Einbahnstrasse durfte nur von der Gegenseite her befahren werden. Doch die kreative Regelauslegung all’italiana hat den tröstlichen Nachsatz «… wenn aber nichts kommt, darf sie auch von der Gegenseite vorsichtig befahren werden.»
Achte auf den anderen!
Voraussetzung für eine etwas kreativere Regelauslegung als diesseits der Alpen ist allerdings, dass die Verkehrsteilnehmer äusserst aufmerksam aufeinander achten. Und auf die nördliche Sitte, stur auf seinem Recht zu beharren, verzichten. Da hätte mancher Deutschschweizer oder teutonische Autolenker noch dazuzulernen. Was ja nicht unbedingt von Nachteil wäre.
Es gibt allerdings auch südliche Gewohnheiten, an die man sich schwerer gewöhnt. Eine liebe Freundin, die seit vielen Jahren in Italien lebt, kann sich bis heute nicht damit abfinden, dass der hinter ihr fahrende Verkehrsteilnehmer regelmässig bis auf einen Meter (oder noch weniger) Abstand zu ihr aufschliesst. Und zwar nicht nur im Schritttempo, sondern auch bei schneller Fahrt, sogar auf der Autobahn. Das erklärt sich wohl daraus, dass der Platz auf Italiens Verkehrswegen knapp ist, besitzt doch praktisch jeder erwachsene Italiener einen vierrädrigen Untersatz (40 Millionen PW). Und wer der Vorfahrerin auf die Pelle rückt wie in einem Formel-1-Rennen, will ihr vielleicht ja auch nur bedeuten: «Du bist ein ebenso toller Fahrer wie ich, Kompliment!»
Sache mit den Mittelstreifen
Zum Schluss noch die Sache mit den weissen Mittellinien auf Überlandstrassen, deren Bedeutung mir mein Freund Marco eines Nachts an der Bar erklärte. «Ein ausgezogener Strich in der Mitte der Strasse bedeutet: Vorsicht beim Überholen! Ein doppelter Mittelstreifen bedeutet: Sehr grosse Vorsicht beim Überholen! Aber eine gestrichelte Mittellinie heisst: Allergrösste Gefahr! Hier überholen Ausländer!»
Mit diesen elementaren Kenntnissen ausgerüstet, kann nichts mehr schiefgehen, und ich kann Ihnen nur noch zurufen: Buon giro! Gute Fahrt!