Somms Memo
Tucker Carlson verliert seinen Job. Was steckt dahinter? Trump oder Murdoch oder Putin?
Tucker Carlson auf Fox News. Jeden Abend ein Spektakel, jeden Abend politisches Dynamit.
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Die Fakten: Fox News, der reichweitenstärkste Cable News-Sender in den USA, entlässt Tucker Carlson, einen ihrer bekanntesten Stars.
Warum das wichtig ist: Weil Carlson wichtig ist. Kaum ein Journalist nahm mehr Einfluss auf die Republikaner. Er stand Trump nahe und hasste Trump zugleich.
Sollte ich je entlassen werden (was unwahrscheinlich scheint, weil ich am Nebelspalter beteiligt bin) und die New York Times, der Bote der Urschweiz, das russische Staatsfernsehen und selbst Al Jazeera würden alle darüber berichten, dann hätte ich es wohl geschafft:
- Keine Angst, das wird nie geschehen, noch habe ich alle Tassen im Schrank
- Wenn aber Tucker Carlson (53), ein amerikanischer Journalist, seine Stelle aufgeben muss, dann ist das wirklich der Fall
- Es gibt wohl keinen Journalisten auf dieser Welt, dessen Entlassung fast auf der ganzen Welt in praktisch allen Medien vermeldet wurde. Der letzte Mann, der allein seiner Wortgewalt eine solche Aufmerksamkeit verdankte, war vielleicht Karl Marx, ein Journalist aus Trier
Das mag einen seismografischen Hinweis darauf geben, was für ein Erdbeben sich gestern an der Avenue of the Americas in New York zugetragen hat, wo sich der Sitz von Fox News befindet.
Rupert Murdoch, der mächtige und brillante Besitzer von Fox News (und vielen anderen Medien in den USA, Grossbritannien, Australien und so weiter), soll höchstpersönlich die Vertragsauflösung angeordnet haben, so berichtet die Los Angeles Times. Was wohl stimmt, und doch irritiert:
- Wenn Tucker Carlson jeden Wochentag jeweils um acht Uhr seine politische Show präsentierte, dann schauten rund 3, 25 Millionen Amerikaner zu (jüngste Zahlen, erstes Quartal 2023), die Sendung – eine Mischung aus Interview, Recherchen und Kommentar – gehörte als Nummer 2 zu den populärsten auf Cable News
- Mit anderen Worten, Murdoch und Fox News verzichten auf einen Superstar, der Quoten brachte, einen lustigen dazu, einen debattierfreudigen, einen blitzgescheiten, einen sehr gut informierten, einen einflussreichen – und einen konservativen Superstar, der politisch dennoch nicht immer so klar zu verorten war
Aufgewachsen in Kalifornien und Neuengland, wo er an einem uralten College Geschichte studiert hat, ist Carlson eine vielfältige und beeindruckende journalistische Karriere gelungen, vorwiegend im Fernsehen – mit Stationen bei CNN (links), MSNBC (noch linker) und seit 2009 bei Fox News (rechts). Wenn er deshalb auch das politische Streitgespräch mit jedem Andersdenkenden virtuos beherrschte, stand er doch stets auf der rechten Seite.
Zu Anfang bezeichnete er sich als libertär, dann fiel er als wirtschaftsliberal auf, bald als stockkonservativ, um zuweilen wieder wie ein Linker zu klingen, wenn er etwa die soziale Ungleichheit in Amerika geisselte und nach sozialpolitischen Interventionen des Staates rief, schliesslich kreiste er im Orbit von Trump, den er während dessen Präsidentschaft (2016 bis 2020) meistens unterstützte. Eloquent und loyal, wirkungsmächtig, manchmal erweckt, selten kritisch.
- Zur Abkühlung kam es nach der Wahlniederlage im November 2020, die Trump nie verwunden hat, was sich darin äusserte, dass er seither mit irrsinnigen Betrugsvorwürfen hantiert, die er allerdings nie zu beweisen vermochte
- Zuerst zeigte Carlson dafür noch Verständnis, dann forderte er am Sender Beweise, was er nicht erhielt, bis er intern SMS-Nachrichten herumschickte, die heute, nachdem sie bekannt geworden sind, auch ihn in einem zweifelhaften Licht erscheinen lassen
Als einen Dr. Jekyll und einen Mr. Hyde, einen gespaltenen Mann mit zwei Persönlichkeiten, einer guten und einer bösen:
Am Sender tat er so, als ob er Trumps Generalverdächtigungen weiterhin ernst nahm, unter Kollegen stellte er klar, dass er sie für Unsinn hielt.
Wenn etwas Carlsons Status als Helden der unbequemen Wahrheit zerstörte, dann diese Doppelzüngigkeit, die auch ich kaum nachzuvollziehen mag. Eine Art journalistischer Selbstmord, den er allerdings überlebte.
- «Ich hasse Trump von ganzem Herzen», schrieb er im Januar 2021, kurz bevor Trump-Anhänger das Capitol stürmten, was Carlson nie (und zu Recht) als geplanten Staatsstreich bewertete, sondern als eine «meistens friedfertige» Demo auffasste (was so auch wieder nicht zutrifft)
- «Ich kann es nicht erwarten, dass wir ihn am Sender endlich ignorieren können» textete er – und meinte damit Trump; öffentlich sagte er etwas anderes – wohl auch weil er keine Zuschauer verlieren wollte
Carlsons Fall kam unerwartet. Noch am Freitag moderierte er eine Show und verabschiedete sich ins Wochenende mit der Ankündigung, am Montag wieder am Bildschirm zu erscheinen: «In the meantime, have the best weekend with the ones that you love»
- Dann ging es Ruckzuck
- Die Entlassung glich einer Hinrichtung, deren Vollzug man anzusetzen vergessen hatte. Etwas überstürzt
Manche vermuten, es hätte mit dem Vergleich zu tun, den Fox News letzte Woche mit Dominion, einem Wahlcomputer-Hersteller, abzuschliessen sich gezwungen sah, um einen Verleumdungsprozess zu vermeiden. Carlson, aber vor allem andere prominente Anchors hatten auf Fox dauernd behauptet, Dominion sei die Firma, die für den «Wahlbetrug» verantwortlich gewesen war.
Offensichtlich konnten das weder Fox News noch Trump (von dem dieser Vorwurf stammte) je schlüssig beweisen – anders lässt sich nicht erklären, dass Fox den Rekordbetrag von fast 800 Millionen Dollar bezahlte.
Wenn etwas das Verhältnis zwischen Trump und Murdoch auf immer ruiniert hat (früher hatte Murdoch Trump gefördert), dann wohl dieser Vergleich.
- Niemand zahlt gerne so viel Geld, selbst ein Milliardär wie Murdoch nicht, oder gerade ein solcher nicht
- Verarmt ist er deswegen keinesfalls, allein Fox News spielte letztes Jahr einen Gewinn von 2,8 Milliarden Dollar ein
Warum Carlson gehen musste, wissen wir trotzdem nicht – zumal er ja die These eines Wahlbetrugs am Sender selbst in Frage gestellt hatte. Aus Sicht von Dominion war er wohl nicht der schlimmste Verleumder, eher ein halber. Wahrscheinlicher scheint daher ein anderes Szenario:
- Carlson war eben auch unberechenbar und konfliktfreudig, was das Verhältnis zu seinen Vorgesetzten anbelangt. Vielleicht hat er diese intern zu oft vor den Kopf gestossen – das mutmassen nun amerikanische Medien
- Zweitens könnte sein Niedergang auch durchaus politisch motiviert sein: Angesichts einer zweiten Präsidentschaftskandidatur von Trump, was Murdoch und damit seine Heerscharen von Journalisten ablehnen, war Carlson womöglich zu schwer unter Kontrolle zu bringen
- Wenn er auch Trump intern hasst, wer wusste denn schon, was er extern sagen würde?
Die Republikaner schliessen die Reihen. Carlson, der auch in der Ukraine-Frage manchmal klang, als wäre Putin sein Eigentümer und nicht mehr Murdoch, war ein zu bunter Hund.
Wie geht es weiter? Wir sind gespannt. Einer der besten Journalisten Amerikas – das nämlich bleibt er trotz alledem – wird bald wieder irgendwo auftauchen.
Vielleicht gar als Präsidentschaftskandidat der Republikaner? Noch will Carson davon nichts wissen.
«Never say never again», sagte James Bond, der britische Geheimagent, der ebenfalls einige Male vor der Entlassung gestanden hatte. Sag niemals nie.
Ich wünsche Ihnen einen fantastischen Tag
Markus Somm