Somms Memo
Trump mit Gitarre: Wie ein Musiker ausdrückt, warum so viele Amerikaner wieder Trump wählen werden
Oliver Anthony: Singer/Songwriter der zweiten Amerikanischen Revolution. (Bild: Screenshot Billboard)
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Die Fakten: Oliver Anthony, ein Country Singer/Songwriter, stürmt die Charts in Amerika. Er klagt das Establishment an. Noch vor wenigen Tagen kannte ihn kein Mensch.
Warum das wichtig ist: Hätte Anthony in den 1970er Jahren gesungen, er wäre ein Held der Linken gewesen. Heute ist er ein Trump mit Gitarre.
Im Hintergrund sieht man zwei Hunde, die am Boden sitzen und fast so traurig schauen, wie Oliver Anthony, ihr Besitzer, während dieser mit einer Stimme singt, die man so leicht nicht mehr vergisst. Als ob ein Löwe eine Krähe verschluckt hätte:
These rich men north of Richmond
Lord knows they all just want to have total control
Diese reichen Männer nördlich von Richmond
Gott weiss, dass sie alle nur die totale Kontrolle haben wollen
Wenn er von «den reichen Männern nördlich von Richmond» spricht – so auch der Titel seines Liedes –, meint Anthony die Chefbeamten, Lobbyisten, Journalisten und Politiker, die in der Agglomeration von Washington im nördlichen Virginia leben: in lauschigen, sicheren, geräumigen Häusern, weit weg vom Elend, das ihre Politik, so glaubt Anthony, an anderen Orten anrichtet.
Richmond ist die Hauptstadt des Staates Virginia, die weiter im Süden liegt. Der Alliteration von «rich men» und «Richmond» dürfte die Stadt verdanken, dass sie in dieses Lied geraten ist:
Wanna know what you think
Wanna know what you do
Sie wollen wissen, was du denkst
Sie wollen wissen, was du tust
Anthony trägt einen mächtigen roten Bart, wogegen seine Haare kurz geschnitten sind, er steckt in einem simplen T-Shirt, er ist der Typ, dem man an der Tankstelle begegnet, wenn er seinen Pickup Truck mit Waffen belädt.
Wenn Hillary Clinton anlässlich ihrer Präsidentschaftskampagne von 2016 – zu ihrem Schaden – von den «Deplorables»sprach, den Erbärmlichen, und sie dabei allesamt als «rassistisch, sexistisch, homophob und islamophob» bezeichnete, dann könnte sie genau solche Leute im Kopf gehabt haben wie Anthony.
Jedenfalls fühlten sich diese angesprochen – und wählten sie nicht. Anthony ist der «regular guy», der Durchschnittsamerikaner, ein Arbeiter, der mit seinen Händen sein Geld verdient, draussen, wenn es stürmt und schneit. Er ist der «forgotten man», den die Bürokraten in Washington vergessen haben, wenn sie Politik machen, ja, den sie inzwischen gar verachten:
And they don't think you know, but I know that you do
Cause your dollar ain't shit, and it's taxed to no end
Cause of rich men north of Richmond
Und sie glauben nicht, dass du es weisst, aber ich weiss, dass du das sehr wohl weisst
Weil dein Dollar nur noch Scheisse ist und er ohne Ende besteuert wird
weil die reichen Männer nördlich von Richmond das so wollen
Anthony ist wie ein Ausserirdischer in Amerika plötzlich gelandet. Niemand hatte ihn erwartet, aber er als er dann auftauchte, standen alle für ihn bereit.
Selten ist ein Musiker, den vorher kaum jemand gekannt hatte, in so kurzer Zeit so bekannt geworden. Sein Song zählt seit wenigen Tagen zu den am meisten heruntergeladenen Songs im Internet, und auf der Itunes-Hitparade belegt seine Musik gleich die ersten drei Ränge – vor Taylor Swift gar, dem Milliarden-Star. Hier, das spüren alle, hat einer den Nerv der Zeit getroffen.
The Big Picture:
Und worin liegt dieser Nerv?
In der Tatsache, dass Amerika für Leute wie Anthony so unwirtlich geworden ist wie eine Steppe in Zentralasien:
- Die realen Löhne der unteren Mittelschichten, der Arbeiter, der Handwerker, der Verkäuferinnen und Coiffeusen, legen seit Jahren kaum mehr zu – ob in Zeiten der Krise oder der Hochkonjunktur
- Gleichzeitig wuchsen die Steuern und Abgaben unablässig in den Himmel, die Vorschriften und Verbote ebenso, ohne dass sich die Qualität der öffentlichen Leistungen erhöht hätte, im Gegenteil, die staatlichen Schulen sind ruiniert, die Infrastruktur zerschlissen, Law & Order zusammengebrochen
- Es wird zwar viel Geld umverteilt, und die Zahl der Sozialprogramme steigert sich von Legislatur zu Legislatur, doch die «regular guys» – Leute, die in einfachen Berufen arbeiten und wenig verdienen, ob Weisse, Schwarze oder Hispanics – sie haben kaum etwas davon, weil das Geld eher an Leute geht, die nicht arbeiten, dafür aber der richtigen Minderheit angehören
Richtig – in den Augen der Demokraten, jener Partei, der einer wie Anthony noch vor wenigen Jahren wohl blind vertraut hätte. No more. Die Partei hat ihn im Stich gelassen. Statt ihm zu helfen, schreiben sie ihm vor, wie er zu denken und zu reden hat. Eine Elite der Stumpfsinnigen:
- «Lord knows they all just want to have total control» – und dabei ist doch schon das Wort «Lord» eigentlich verboten
- Welcher Höhlenbewohner glaubt denn noch an Gott?
Wenn man einen Sinn dafür bekommen möchte, warum einer wie Donald Trump, ein rechter Linkspopulist oder linker Rechtspopulist der gröberen Sorte, durchaus intakte Chancen hat, im 2024 wieder zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt zu werden, dann muss man sich Anthony anhören. Sein Erfolg ist Trumps Erfolg.
Mit dem Trump an der Gitarre ist zu rechnen.
«Lord, it's a damn shame
What the world’s gotten to
For people like me, and people like you
Wish I could just wake up, and it not be true
But it is, oh, it is»
Mein Gott, es ist eine verdammte Schande
Was aus der Welt geworden ist
Für Leute wie mich – und Leute wie dich
Ich wünschte, ich könnte einfach aufwachen, und es wäre nicht wahr
Aber es ist es, oh, es ist es
Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Tag
Markus Somm