EU-Abstimmung ohne Ständemehr

Beat Jans stellt den Föderalismus in Frage

«Das Vertragspaket mit der EU ändert unsere Institutionen nicht», sagt Bundesrat und Justizminister an einer Live-Veranstaltung von Tamedia. Bild: Keystone
«Das Vertragspaket mit der EU ändert unsere Institutionen nicht», sagt Bundesrat und Justizminister an einer Live-Veranstaltung von Tamedia. Bild: Keystone

Die Fakten: An einer Live-Veranstaltung von Tamedia rechtfertigte Bundesrat Beat Jans die Empfehlung des Bundesrats, das EU-Vertragspaket nur dem Volksmehr zu unterstellen.

  • Dieses stelle lediglich eine Weiterführung der bisherigen Zusammenarbeit dar und verändere weder Institutionen noch das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen.
  • Ein obligatorisches Referendum mit Ständemehr sei deshalb nicht gerechtfertigt. Zudem verwies er auf die klare Ablehnung der Initiative «Staatsverträge vors Volk» von 2012.
     

Warum das wichtig ist: Jans stellt das Ständemehr als potenzielles Hindernis dar und wertet es indirekt als undemokratisch, weil es eine Mehrheit der Bevölkerung blockieren könne. Damit relativiert er ein zentrales Element des Föderalismus.

  • Dass ausgerechnet bei Verträgen mit dynamischer Rechtsübernahme und fremder Gerichtsbarkeit das Ständemehr ausgeschlossen werden soll, ist politisch brisant.

 

Der «Nebelspalter» zeigt die wichtigsten Aussagen von Bundesrat Beat Jans und ordnet sie ein.

O-Ton Jans: «Das Vertragspaket mit der EU ändert unsere Institutionen nicht. Es stellt auch unsere Aussenpolitik nicht grundsätzlich auf den Kopf. Und es verändert auch das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen nicht. Es ist eine Weiterführung von dem, was wir seit Jahrzehnten mit der EU zusammen gemacht haben. Darum kann es nicht dem obligatorischen Referendum unterstellt werden.»

Einordnung: Wenn Bundesrat Jans das EU-Vertragspaket als blosse «Weiterführung» bestehender Beziehungen verharmlost, betreibt er politische Kosmetik statt Klartext zu sprechen. Die geplante dynamische Rechtsübernahme und die künftige Rolle des Europäischen Gerichtshofs entsprechen nicht einer Fortsetzung des Bisherigen – sie markieren einen Paradigmenwechsel schweizerischer Souveränität. Wer dies als institutionell folgenlos bezeichnet, verkauft die Bürger für dumm.

O-Ton Jans: «Wenn man das doppelte Mehr verlangt – also auch das Ständemehr – dann erlaubt man unter Umständen einer Minderheit der Bevölkerung, eine Mehrheit zu überstimmen. Das wäre zum Beispiel im Falle der Bilateralen II passiert. Die hat man auch dem einfachen Mehr unterstellt. Diese Verträge wären am Ständemehr gescheitert.»

Einordnung: Die Bilateralen II wären am Ständemehr gescheitert? Dann hatten die Kantone offensichtlich gewichtige Bedenken! Warum? Weil wir uns mit dem Abkommen zu Schengen/Dublin bereits zur dynamischen Weiterentwicklung von EU-Recht verpflichtet haben. Für wichtige Staatsverträge, also solche, die einer Verfassungsänderung gleichkommen, existiert ja genau das obligatorische Staatsvertragsreferendum sui generis.

O-Ton Jans: «Darum muss man sich diese Frage wirklich gut überlegen. Es ist richtig, sich in dieser Frage an der Verfassung zu orientieren.»

Einordnung: Jans' Kritik am Ständemehr zeigt, dass er Verfassungsprinzipien eher als Mittel zum Zweck betrachtet – und nicht als feste Grundlage der Demokratie. Heute stört ihn der Föderalismus, weil er den EU-Plänen im Weg steht – was gestern noch Schutzmechanismus für die Kantone war, wird heute zur unbequemen Hürde erklärt.

O-Ton Jans: «Der Bundesrat hat nicht gesagt, dass es das unter keinen Umständen geben darf – dass es nie sein darf, dass das Parlament bei völkerrechtlichen Verträgen ein obligatorisches Referendum sui generis bringt. Aber in diesem Fall hat der Bundesrat gesagt: Es ist nicht richtig.»

Einordnung: Wenn das obligatorische Staatsvertragsreferendum sui generis bei den vorliegenden EU-Verträgen nicht zum Tragen kommt, wann dann? Wir würden uns unter die Zuständigkeit eines Gerichts stellen, wo wir nicht einmal mit einem Richter vertreten sind. Dass diese Verträge Verfassungsrang haben – ja sogar über unserer Verfassung stehen – hat SRF Journalistin Natalie Christen an der Pressekonferenz mit ihrer Frage an den Bundesrat eindeutig aufgezeigt:

O-Ton Jans: «Man darf auch nicht vergessen: Es gab dazu eine Volksabstimmung, 2012. Die wollte, dass jeder völkerrechtliche Vertrag dem obligatorischen Referendum – also dem doppelten Mehr – unterstellt wird. Diese Initiative ist mit 75 Prozent Nein abgelehnt worden. Es ist von dem her nicht unproblematisch, wenn man es trotzdem macht.»

Einordnung: Diesen Vergleich zu ziehen, ist wie Äpfel mit EU-Bürokraten zu vergleichen. Damals ging es um ausnahmslos ALLE völkerrechtlichen Verträge – heute um ein spezifisches Vertragswerk von historischer Tragweite. Ausserdem hielten Bundesrat wie Parlament in der Diskussion um die damalige Initiative klar fest: Staatsverträge mit Verfassungsrang unterstehen dem obligatorischen Referendum. Diese rhetorische Nebelkerze von Jans soll offensichtlich von der eigentlichen Debatte ablenken.

Meine Einschätzung: Der wahre Kern von Jans' Position scheint simpel: Man fürchtet das Ständemehr als Stolperstein für die EU-Pläne und kleidet diese politische Sorge in verfassungsrechtliche Bedenken. Diese Instrumentalisierung des Rechts für politische Zwecke untergräbt aber genau jene demokratischen Grundprinzipien, deren Verteidigung Jans vorgibt. Die Schweiz hat ihr föderales System nicht als Schönwetterdemokratie konzipiert, die man bei Gegenwind einfach aussetzen kann. Wer bei einem so fundamentalen Vertragswerk den Kantonen ihre verfassungsmässige Stimme verwehren will, sollte zumindest den Mut haben, dies als das zu bezeichnen, was es ist: politisches Kalkül.

Fehler gefunden? Jetzt melden.

Konversation wird geladen