Das ist passiert: Bundesrat Beat Jans versucht in einem Gastkommentar in der «NZZ» Stimmung für die Rahmenverträge mit der EU zu machen.
Der Löli-Faktor: In seinem Versuch, das noch in Verhandlung befindliche Vertragspaket aus der Defensive zu bringen, verdreht der Justizminister längst bekannte Tatsachen und verletzt damit möglicherweise das Kollegialitätsprinzip des Bundesrates.
- Erstens verwendet Jans durchgehend den Begriff «Bilaterale III», obwohl der Bundesrat dem Vertragspaket noch keinen Namen gegeben hat – man spricht vom «Paketansatz». Zudem lehnt die EU die Bezeichnung «Bilaterale» für die Rahmenverträge ab, da sie den bilateralen Weg explizit nicht weiterführen will, sondern von der Schweiz eine institutionelle Anbindung erwartet. Für die EU handelt es sich rechtlich um eine Assoziierung.
- Jans schreibt, es stimme nicht, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) künftig bei Streitfragen das letzte Wort haben würde: «Das ist schlicht falsch und wird nicht wahrer, nur weil es immer wieder behauptet wird. Der EuGH legt das europäische Recht aus, wie das Bundesgericht das Schweizer Recht auslegt. Über Streitigkeiten würde aber weder das eine noch das andere Gericht entscheiden, sondern ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht.»
- Dies wurde sogleich vom ehemaligen Präsidenten des EFTA-Gerichtes, Prof. Dr. Carl Baudenbacher, als «Fake News» entlarvt: «Es ist diese Behauptung des Justizministers, die ‹schlicht falsch› ist. Der EuGH hätte das Auslegungsmonopol über die bilateralen Verträge, das Bundesgericht wäre nicht nur ausgeschaltet, sondern dem EuGH unterstellt, und das ‹Schiedsgericht› wäre an die Auslegung des EuGH gebunden. Es ist das Modell der EU für die postsowjetischen Republiken Ukraine, Georgien, Moldawien und Armenien. Das ‹Schiedsgericht› ist reine Tarnung.»
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Jans schreibt weiter, die Schweiz sei Nadelstichen der EU zurzeit schutzlos ausgeliefert: «Die Massnahmen der EU gegen die Schweizer Börse, den Schweizer Medtech-Standort und die Schweizer Forschung sind in schlechter Erinnerung.» Deshalb brauche es jetzt Rechtssicherheit. Jans verkennt dabei, dass diese Nadelstiche der EU auch bei unterzeichneten Rahmenverträgen Realität bleiben werden (siehe «Ausgleichsmassnahmen»), ja sogar durch das Vertragspaket legitimiert werden.
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«Mit einer Einigung stärken wir also unsere Souveränität und definieren klare Regeln, die uns schützen. Wir schaffen Rechtssicherheit. Damit Schweizer Wissenschafter mit ihren Kollegen in der EU forschen und unsere KMU mit ihren europäischen Partnern wirtschaften können.» Diese Aussage zeigt, auf welch wackeligen Füssen das Vertragspaket steht. Da unsere KMU dank unserem Freihandelsabkommen und auch dank den WTO-Richtlinien bereits bestens mit der EU Handel treiben können – diese Aussage sei auch unterstrichen, da die USA mittlerweile unser wichtigster Handelspartner ist, notabene ohne Freihandels- oder Rahmenabkommen – bleiben Forschungsprogramme wie «Horizon» der einzige Trumpf, den die EU gegen unsere Zuwanderung knallhart ausspielt.
- Dann relativiert er die dynamische Rechtsübernahme: «‹Dynamisch› heisst nicht ‹automatisch›, und die dynamische Rechtsübernahme käme nur bei neuen EU-Regeln zur Anwendung, die den Zugang zum EU-Binnenmarkt betreffen», schreibt Jans. Das Problem dabei: Wenn die Übernahme nicht so verläuft, wie es sich die EU wünscht, ermächtigen diese Verträge die EU zu den von Beat Jans unerwünschten Nadelstichen.
- Er hat aber Recht, wenn er schreibt: «Die dynamische Rechtsübernahme wäre beunruhigend, wenn sie ein Blankocheck für jegliche erdenkliche Neuregelung wäre.» Die dynamische Rechtsübernahme, wie sie in den Verträgen vorgesehen ist, ist genau ein solcher Blankoscheck, denn was genau binnenmarktrelevant ist, entscheidet wiederum das Gericht der Gegenseite, der EuGH, und nicht, wie von Jans behauptet, das Schiedsgericht. Die EU schreibt in einem Dokument zu den Verhandlungen, Schweizer Unternehmen müssten sich in Zukunft «an die gleichen Regeln und Verpflichtungen halten wie Unternehmen aus der EU».
- Dann argumentiert er, dass ohne Zuwanderung der Wohlstand in der Schweiz nicht möglich wäre und die Wirtschaft nicht wachsen würde und führt als Beispiel den Fachkräftemangel als Beweis an. Dass die Schweiz mit weniger Zuwanderung nicht wachsen könne, ist nachweislich falsch. Die Schweiz schrumpft pro Kopf (-0,13 Prozent im Jahr 2023), während andere Länder wie Polen (+0,53 Prozent), Island (+1 Prozent), Dänemark (+1,14 Prozent) oder Italien (+1,23 Prozent) pro Kopf wachsen. Die Schweizer Wirtschaft würde ohne die starke Zuwanderung aus der EU effizienter wachsen, nicht weniger. Dass die Zuwanderung selbst den Fachkräftemangel antreibt, verschweigt Jans natürlich.
- Sein letztes Argument ist ein Plädoyer für die Schweiz als europäisches Land, das er mit einem Zitat aus der Literatur untermauert: «Wo ist die Heimat der Schweiz? Der Schriftsteller Peter von Matt sagte dazu einmal: ‹Die Heimat der Schweiz ist Europa.›». Europa sei mehr als nur ein Kontinent: «Europa ist ein Friedensprojekt, ein Garant für Stabilität und Prosperität, eine Wertegemeinschaft.» Dass dies aber nichts mit der Sache an sich zu tun hat, gibt er gleich selbst zu: «Natürlich reicht das nicht als alleinige Begründung für ein neues Vertragswerk mit der EU.» Welche Begründungen bleiben dann noch?
- Ohnehin wirft dieser Gastbeitrag die Frage auf, ob er mit seinen Regierungskollegen abgesprochen war. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, stellt dieser Beitrag ein eklatantes Beispiel für eine Verletzung des Kollegialitätsprinzips dar. Man stelle sich nur vor, der 2004 neu gewählte Bundesrat Blocher hätte in seinem ersten Amtsjahr in dieser scharfen Form gegen die Ausdehnung des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit geschrieben, über das die Schweiz am 25. September 2005 abgestimmt hat. Die Schweiz wäre aus den Fugen geraten. Die Kommentare unter dem Gastbeitrag von Beat Jans lassen Ähnliches vermuten.
Wie er es wieder gut machen könnte: Wir erwarten von Bundesrat Jans, aber grundsätzlich vom ganzen Gremium, dass uns endlich reiner Wein eingeschenkt wird. Der Demokratie-Aktivist Daniel Graf hat dies eindrücklich vorgelebt. Die Schweiz ist bereit, über die heiklen Punkte des Vertragspakets zu diskutieren. Sie will sich aber nicht weiter über den Tisch ziehen lassen.