Somms Memo

Putin droht mit dem Atomkrieg. Was tun? Zurückschlagen.

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01.03.2024
Wladimir Putin, Präsident von Russland, Realpolitiker. Bild: Keystone
Wladimir Putin, Präsident von Russland, Realpolitiker. Bild: Keystone

Die Fakten: Putin warnt die Nato: Wenn sie in der Ukraine eingreife, müsse man mit dem Schlimmsten rechnen.
 
Warum das wichtig ist: Wenn jemand den Westen durchschaut, dann dieser Russe. Unsere Schwäche ist seine Stärke.
 
 
 
In einer Rede an die Nation, die Wladimir Putin, der Präsident von Russland, gestern in Moskau gehalten hatte, sprach er auch über den Westen:

  • Sollten die Nato-Staaten noch mehr Waffen in die Ukraine liefern, nähmen sie das Risiko eines Atomkrieges in Kauf, «was die Zerstörung der ganzen Zivilisation» nach sich ziehe. Zu Deutsch: Er drohte, selber die Atombombe einzusetzen
     
  • Ebenso ging er darauf ein, was geschehen würde, wenn die Nato beschlösse, mit eigenen Bodentruppen der Ukraine beizuspringen: Dann würden sich die Russen an «das Schicksal derer erinnern, die einst ihre Armeen in unser Land geschickt haben»

Kurz, wer jetzt mit den Russen ins Gehege gerät, wird am Ende zum zweiten Napoleon oder Hitler. Das meinte Putin, der belesene History Buff. Am Russlandfeldzug des grossen Franzosen im Jahr 1812 nahmen übrigens auch die Schweizer teil. Ihre Erfahrungen waren negativ, wie man hört, sie entsprachen in etwa der Darstellung von Putin.

    «Unser Leben gleicht der Reise
     eines Wandrers in der Nacht»,  

sangen die Schweizer Soldaten an der Beresina, als sie den Rückzug der Grande Armée aus Russland deckten. Sie taten das vorbildlich. Allerdings starben sie bis fast auf den letzten Mann. Immerhin: Napoleon lobte die Toten – bevor er neue Truppen aushob.

     «Jeder hat in seinem Gleise,
      etwas, das ihm Kummer macht» 

Wenn auch dieses inzwischen berühmte Beresinalied bis heute für eine besonders harte Prüfung steht (mein Sohn Max stimmte es mit seinen Kameraden auf dem 100-km-Marsch in der Offiziersschule an), fragt sich:

  • Hat Putin recht
  • Oder blufft er?


Natürlich kann das niemand wissen – ausser er selbst, und doch gibt es Indizien, dass er es nicht so meinen dürfte. Er gilt als intelligent – und wer sich das bemerkenswerte Interview, das der amerikanische Journalist Tucker Carlson unlängst mit ihm geführt hatte, in seiner ganzen, mitunter qualvollen Länge angesehen hat, dürfte sich dessen vergewissert haben. Klug und ruchlos.

Folgende Indizien:

  • Die Überlegenheit der Nato ist so erdrückend, dass ein Krieg mit der Nato Putin selbst zu einem Napoleon oder Hitler machen würde. Das muss er wissen. Das weiss er
     
  • Zweitens, Putin kennt den Westen, besser: die westlichen Politiker. Seit Jahrzehnten hat er mit ihnen zu tun, und sein Befund dürfte lauten: Das sind überwiegend Männer und Frauen, die eher an eine Art therapeutische Globalpolitik glauben
     
  • Sie sind Abkömmlinge einer Generation, die es nicht einmal fertigbringt, ihre eigenen Kinder zur Zeit ins Bett zu bringen. Nein zu sagen, tut ihnen physisch weh.


Wie sollten sie einem Putin je Nein sagen? Wenn Wladimir die Luft anhält und tobt, dann geben sie nach, und schauen mit ihm bis 23 Uhr Netflix.
 
Auch das weiss er.

Deshalb sollte der Westen sich keine Sorgen machen, sondern noch mehr Waffen schicken, zumal bessere und brutalere. Und wenn der französische Präsident Emmanuel Macron laut darüber nachdenkt, Nato-Truppen gegen die Russen in Marsch zu setzen, wobei er anders als sein Vorgänger Napoleon eine französische Beteiligung offenlässt, dann ist das genau der richtige Ansatz. Am vergangenen Montag äusserte sich Macron in diesem Sinne.
 
Das ist die einzige Sprache, die Putin, wohl einer der besten und brutalsten Geopolitiker der Gegenwart, wirklich versteht.
 
Dass Putin nämlich so beleidigt, so aggressiv reagiert, ist ein gutes Zeichen. Nichts fürchtet er mehr als eine Eskalation. Weil er aber nicht zur Generation Latte Macchiato zählt, versteht er es, andere das Fürchten zu lehren, indem er droht, tobt, prahlt, protzt, kurz, das Testosteron schäumen lässt, womit er seine westlichen Widersacher zuverlässig in Panik versetzt.

  • Toxische Männlichkeit!
     
  • Im Westen glaubt man, sie mit Ritalin längst besiegt zu haben

Aber hat es der Westen überhaupt nötig, sich diesem Gorilla entgegenzustellen?
 
Tatsächlich geht es um mehr als einem Kampf unter Alphatieren.
 
In diesen Tagen hat das Wall Street Journal, eine amerikanische Zeitung, den Inhalt jenes Friedensabkommens zugespielt bekommen, das kurz nach dem Überfall zwischen Russen und Ukrainern ausgehandelt worden war, dann aber daran scheiterte, dass die Ukrainer, insbesondere deren Präsident Wolodimir Selenski, einen Rückzieher machten. Das geschah im April 2022.
 
Seither war da und dort der Vorwurf aufgekommen, damit habe er (unter Druck der USA) eine einzigartige Chance verspielt. Wenn man jetzt allerdings die Bedingungen kennt, die Putin ihm gestellt hat, dann muss man sagen: Selenski hatte recht. Kein souveränes Land hätte so etwas je akzeptiert. Selbst Liechtenstein nicht.
 
Der Entwurf sah unter anderem vor:

  • Zwar hätte die Ukraine sich der EU anschliessen dürfen, aber nie der Nato
     
  • Die Krim wäre russisch geworden, die Zukunft des Donbass wäre offen geblieben
     
  • Vor allen Dingen schrieben die Russen den Ukrainern im Detail vor, welchen Umfang deren Armee zu haben hatte:

    85 000 Soldaten (heute verfügt die Ukraine über 2,2 Mio.; Russland 3,5 Mio.)
    342 Panzer (Russland gegenwärtig: 14 777)
    519 Artilleriegeschütze (Russland: 14 000)
    Raketen nur bis zu einer Reichweite von 40 km

Gewiss, den Deutschen hatten die Alliierten seinerzeit ebenfalls vorgeschrieben, wie gross ihre Armee noch sein durfte. Maximal 100 000 Mann, nur 4000 Offiziere, keine Flugzeuge, keine Panzer, keine U-Boote, etc.
 
Doch Deutschland hatte damals, 1919, einen Weltkrieg verloren, für dessen Ausbruch es massgeblich die Verantwortung trug. Die Ukraine dagegen war, soviel ich weiss, von den Russen überfallen worden, und hatte damals, im Frühling 2022, gerade den härtesten Angriff überstanden.
 
Wer verhandelt, so sagte mir einmal ein Unternehmer, muss immer mit unverschämten Forderungen einsteigen, – so unverschämt, dass der Gegenpart die Fassung verliert.
 
Auch das beherrscht Putin.
 
Oder um es mit Peter dem Grossen, einem anderen seiner Vorbilder, zu sagen:
 
«Ich bin hier, um die Welt Schritt für Schritt zu verändern.»
 
Wer das übersieht, sollte weniger Latte Macchiato zu sich nehmen.
 
 
 
Ich wünsche Ihnen ein geruhsames Wochenende
 
Markus Somm
 
 
 
PS. Friedensvertrag Ukraine-Russland, April 2022, siehe The Wall Street Journal:
https://www.wsj.com/world/russia-ukraine-peace-deal-2022-document-6e12e093?mod=hp_lead_pos1
 
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