Leitartikel zur Energiekrise
Teure Symbolpolitik statt echte Lösungen
«Jede Kilowattstunde zählt» – oder doch nicht: Die Bundesräte Simonetta Sommaruga und Guy Parmelin am Mittwoch vor den Medien. (Bild: Keystone)
Der demokratische Staat beruht – mehr, als seine Exponenten manchmal meinen – auf dem Wohlwollen seiner Bürgerinnnen und Bürger. Gesetze, Verordnungen oder Massnahmen müssen logisch und kohärent sein, um von den Menschen verstanden zu werden. Dann werden sie auch befolgt. Wenn nicht, sind sie blosser Zwang. Dieser Grundsatz scheint im Bundesrat vergessen gegangen zu sein.
Millionen für Pfannendeckel
Allein die Vorbereitungsarbeiten für die am Mittwoch lancierte Energiesparkampagne wurden nach Angaben des Bundes 2,5 Millionen Franken ausgegeben. Definierte Ziele hat die Kampagne trotzdem keine. Wie teuer das Ganze wird, sei noch nicht bekannt, sagte der Vertreter des Bundesamtes für Energie. Man richte sich dabei «nach dem Bedarf». Es ist im Umfeld des Bundesrates von zehn Millionen Franken die Rede. Und das alles, damit wir beim Kochen die Pfanne mit einem Deckel schliessen?
«Jede Kilowattstunde zählt», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga am Mittwoch vor den Medien ohne Unterlass. Und Bundesrat Guy Parmelin repetierte es brav. Die Realität ihrer Energiepolitik sieht anders aus:
- Wir sollen mit Umluft backen, aber unsere Ölheizung mit einer Wärmepumpe ersetzen.
- Wir sollen die Lichter löschen – aber Elektroautos kaufen.
- E-Velos boomen, doch Elektroöfen sind des Teufels und sollen verboten werden.
Fehlende Kohärenz
Und eigentlich sollten wir ja weniger Kohlendioxid ausstossen, um das Klima zu retten. Aber jetzt müssen alle, die irgendwie können, auf Öl umstellen. Die Klimabundesrätin Simonetta Sommaruga hat gerade Reservekraftwerke bestellt, die mit Tausenden von Litern Öl betreiben werden. Noch im März überlegte man, Gas aus Russland boykottieren. Jetzt sind die Füllstände der Gasreserven umgekehrt proportional zum Blutdruck des Bundesrates. Kohärenz sieht anders aus.
Die Energiesparmassnahmen bringen tatsächlich nur einzelne Kilowattstunden – wenn überhaupt. Die allermeisten Vorschläge sind Jahrzehnte alt und wir haben uns längst an sie gewöhnt. Wir haben schon mit Adolf Ogi Eier kochen gelernt und duschen seit Doris Leuthard sparsam. Wir lüften alle schon «stossweise». Nur dass es «wärmende Teppiche» zur «stilvollen Bodenisolation» braucht, das ist neu. Wer kauft sich jetzt einen Teppich – und wie viele Kilowattstunden spart das wohl? In Abwandlung eines Zitates von Montesquieu muss gesagt werden: Wenn es nicht notwendig ist, eine Kampagne zu machen, dann ist es notwendig, keine Kampagne zu machen.
Was wirklich helfen würde
Gleichzeitig mit diesen symbolischen Tipps aus der Mottenkiste links-grüner Verzichtsideologie bleiben die Massnahmen auf der Strecke, die mehr als nur einzelne Kilowattstunden bringen würden. Die Senkung der Restwassermengen bei den Stauseen könnte Simonetta Sommaruga auf dem Verordnungsweg dem Bundesrat vorschlagen. Damit würden die heute relativ tiefen Pegel der Stauseen rasch ansteigen. Im Winter stünden gemäss Experten rund 600 Gigawattstunden Strom zusätzlich zur Verfügung. Das sind 600 Millionen von diesen einzelnen Kilowattstunden, die Bundesrätin Sommaruga so wichtig sind.
Oder die bereits installierten Notstromaggregate der Rechenzentren in der Schweiz: Sie könnten rund 500 Millionen Kilowattstunden Strom produzieren, wenn man sie nur liesse. Auch das könnte Simonetta Sommaruga dem Bundesrat beantragen.
Appell statt Politik
Sie empfiehlt lieber, zu zweit zu duschen und im Winter heissen Tee zu trinken, wenn es kalt ist im Büro. Der lustig-frivole Appell scheint ihr wichtiger als der Einsatz für ernsthafte Lösungen. Und wenn, dann müssen andere ran: Am Donnerstag sagte Sommaruga vor dem Dachverband der Subventionsempfänger im Energiebereich, die Schweiz müsse mehr einheimischen Strom produzieren. «Wer noch nicht angefangen hat, muss jetzt ran, aber subito.»
Wo bleiben die Kraftwerke?
Nicht angefangen hat vor allem sie selbst. Die von ihr unterstützte Energiestrategie 2050 sah nämlich Grosskraftwerke vor. Weder sie noch ihre Vorgängerin Doris Leuthard haben aber etwas unternommen, diese auch zu bauen. Hätte Sommaruga bei ihrem Amtsantritt 2019 «subito» damit begonnen, die Kapazitäten könnten uns zur Verfügung stehen. Und diesen Februar, vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, informierte sie bereits, dass es bald wirklich problematisch werden könnte mit der Stromversorgung. Aber schon damals forderte Sommaruga lieber mehr Effizienz und Stromsparen statt mehr Produktion.
Die «Tipps» zum Energiesparen erinnern an einige Massnahmen gegen die Pandemie. Zur Erinnerung: Wir durften in den Winterferien vor den Skihütten nicht an Tische sitzen – stehend oder im Schnee war das Virus aber harmlos. Wir durften selbst mit Masken nicht in Restaurants, aber in überfüllte Busse und Züge, das ging. Eine Person zu viel in einem Kleiderladen und es drohte der Tod. Wir durften nicht mit der Familie in einem Restaurant essen, ausser man hatte auch Zimmer gebucht.
Es droht der Energie-Sozialismus
Das staatliche Mikromanagement mit all seinen Absurditäten und Widersprüchen scheint mit der Energiekrise zurückzukehren – zusammen mit dem bundesrätlichen Paternalismus und den Forderungen von Wirtschaftsverbänden und Branchenlobbies nach staatlicher Unterstützung. Es scheint so, dass auf den «Seuchen-Sozialismus» (Eric Gujer, Chefredaktor «NZZ») der Energie-Sozialismus folgt. Und wer nicht mitmacht, wer dieser in manchen Augen vielleicht sauglatten, im Kern jedoch kalten und kollektivistischen Symbolpolitik harte Fragen und Fakten entgegenstellt, wird (wieder) zum Nestbeschmutzer.
Der demokratische Staat beruht darauf, dass die Bürger nachvollziehen können, was Politiker von ihnen verlangen. Tun sie es nicht, wenden sie sich irgendwann angewidert ab. Da hilft auch keine Kampagne ohne konkrete Ziele und ohne Budgetobergrenze.
Einer direkten Demokratie wie der Schweiz kann nichts Schlimmeres passieren.