Bundeshaus-Briefing #19
Strafvollzug, Gesundheitskosten, CO₂-Gesetz
Mitte-Präsident Gerhard Pfister am Dienstag vor den Medien. (Bild: Keystone)
Die wichtigsten drei Themen der kommenden Woche:
- eine Verschärfung des Strafvollzugs – vor allem für Verwahrte.
- ein Paket zur Dämpfung der Gesundheitskosten, das nicht viel bringt.
- ein neues CO₂-Gesetz, von dem einige viel und andere nichts erwarten.
Hinweis: Das Bundeshaus-Briefing gibt es auch als Podcast. In allen Podcast-Apps, oder jetzt hier reinhören.
Das gibt zu reden
Die Mitte, früher bekannt als CVP, hat am Dienstag ihren Wahlkampf gestartet. Sie sieht sich als einzige Alternative zur «Polarisierung» und Garantin des Zusammenhaltes im Land.
Warum das wichtig ist: Die Mitte bleibt die Politikmacherin im Land, vor allem im Ständerat. Aber auch im Nationalrat ist sie Mehrheitsbeschafferin – in dieser Legislatur oft für SP und Grüne. Das ist auch für den Bundesrat entscheidend.
Was die Bundesratswahlen angeht, verkündete Pfister am Dienstag drei Dogmen:
- Die heutige Zusammensetzung des Bundesrates widerspiegele das Parlament ungenügend. Vier Sitze für FDP und SVP seien zu viel – drei Sitze für links-grün allerdings auch.
- Die Mitte wähle niemanden ab (so tief sitzt das Trauma der Abwahl von Ruth Metzler 2003).
- Wahlen müssten Folgen haben.
Darauf angesprochen, dass sich diese Haltungen teilweise widersprechen, gab Pfister dem «Blick» zu Protokoll (Quelle):
«Es ist die Quadratur des Kreises, ja.»
Meine Beurteilung: Natürlich will sich Pfister alle Optionen offen halten. Seine Rechnung: Wenn beide Pole zu viele Bundesräte haben, braucht es mehr Sitze für die Mitte. Und etwas Druck auf die nur wenig grösseren Konkurrenten SP und (vor allem) FDP kann nicht schaden. Gleichzeitig weiss er: In der Position, einen Bundesratssitz zu fordern, ist er mitnichten. Und in den allermeisten Fällen passiert bei Bundesratswahlen gar nichts.
Was nächste Woche aktuell wird
Die Rechtskommission des Nationalrates diskutiert eine uralte Forderung des Parlamentes, dass Verwahrte keinen unbegleiteten Hafturlaub mehr erhalten. Jugendliche, die einen Mord begangen haben, sollen verwahrt werden, wenn ein Rückfall droht. Die Vorstösse zu dieser Gesetzesrevision stammen von der heutigen SVP-Regierungsrätin Natalie Rickli aus dem Jahr 2011 und 2013.
Warum das wichtig ist: Seit dem Mord am Zollikerberg (1993) debattiert die Schweiz über die Justiz. Wie viel Strafe, wie viel Reintegration und insbesondere wie viel Verwahrung es braucht, ist umstritten. Regelmässig geschehen Fälle, die nie hätten passieren dürfen.
Das Zitat: «Wir sprechen von Mördern.» (Ständerat Stefan Engler, GR, Mitte)
Der Kontext: Links und Grün wehrte sich (mit Unterstützung aus FDP und Mitte) im Ständerat sogar gegen unbestrittene Verschärfungen der Justizpraxis (zum Abstimmungsprotokoll).
Meine Beurteilung: Die Vorlage ist Ausdruck eines jahrzehntealten Misstrauens vieler Bürger gegenüber den Justiz – genährt durch regelmässiges Versagen der Behörden. Zwar gibt es keine absolute Sicherheit, aber was die Nationalräte bedenken müssen: Zweifel an der Justiz sind Zweifel am Staat und dessen Funktionsfähigkeit.
Nimmt bald den Hut: Bundesrat Alain Berset. (Bild: Keystone)
Die Gesundheitskommission des Nationalrates will die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen dämpfen. Das Massnahmenpaket kommt ursprünglich von Bundesrat Alain Berset. Er wollte die koordinierte Versorgung fördern – allerdings mit viel Zentralismus und ausufernder Bürokratie. Das ist vom Tisch. Die Vorlage enthält jetzt vor allem einige Detailverbesserungen, wie neue Preismodelle oder einen vereinfachten Zugang zu Arzneimitteln. Der grosse Wurf ist es nicht. Von der ersten Konzeption bis jetzt sind fünf Jahre vergangen.
Der Kontext: Die Stärkung der Zusammenarbeit von Leistungserbringern ist weitherum unbestritten. Der Vorschlag von Berset war dann allerdings ideologisch statt sachlich, was zu mehr Bürokratie und neuen Fehlanreizen führen würde. Das ruft (natürlich) die diversen Lobbygruppen auf den Plan. Am Schluss muss man froh sein, wenn der Berg überhaupt eine Maus gebärt. Die SP hat sich davon bereits verabschiedet: Sie will mehr Geld ins System pumpen oder (zum vierten Mal) eine Einheitskasse.
Meine Beurteilung: Die Vorlage zeigt exemplarisch, woran Fortschritte in der Gesundheitspolitik unter Bundesrat Alain Berset scheitern. Sein Nachfolger muss die Gesundheitspolitik neu denken – unabhängig von Parteiideologie. Vermutlich könnte das jemand besser, der aus einer anderen Partei stammt als der abtretende Bundesrat.
Zu achten ist auf:
- Die Mitte- und FDP-Nationalräte in der Rechtskommission: Bleiben sie bei den Verschärfungen des Justizvollzugs?
- Die Rechtspolitiker aus SP und Grüne: Lehnen Sie die Verschärfungen ab? Und mit welchen Argumenten?
- Die Gesundheitskommission des Nationalrates: Was bleibt, vom einst grossen «Massnahmenpaket» zur Kostendämpfung?
Was sonst noch läuft
Die Umweltkommission des Ständerates berät das nächste CO₂-Gesetz. Nach dem Ja zum Klimaschutzgesetz müsste es weitreichende Massnahmen enthalten, um die hochgesteckten Ziele zu erreichen. Die Ständeräte haben die Behandlung des Gesetzes hinausgezögert. Mitte und FDP (und die meisten Wirtschaftsverbände) haben sich mit ihrer Zustimmung zu den Zielen in politische Geiselhaft begeben. Ihr selbstverschuldetes Dilemma: Entweder harten Massnahmen zustimmen, oder von Links kritisiert werden, weil man die Ziele befürwortet, aber die Massnahmen ablehnt, die zu deren Erreichung nötig sind.
Die Rechtskommission des Nationalrates berät wieder die von verschiedenen Frauen eingereichten Vorstösse für einen neuen Strafrechtsparagrafen gegen Hassrede wegen des Geschlechts. Die Vorschläge gehen weit und gehen über Hass gegen Frauen hinaus. Es könnte ein umfassendes Zensur-Gesetz werden. Die Idee spiegel Debatten aus den USA wider, die bis jetzt noch nicht Eingang in die hiesige Politik gefunden haben. Auf das Resultat darf man gespannt sein. In der Herbstsession steht zudem ein Postulat zur «Verbesserung der Situation von nichtbinären Personen» auf dem Programm. Der Schweiz steht ein Kulturkampf-Herbst ins Haus.
Die Sicherheitskommission des Nationalrates bespricht die Armeebotschaft 2023. Darin ist auch eine minimale Erhöhung des Zahlungsrahmens 2021-2014 um 600 Millionen Franken vorgesehen. Ausser bei SP und Grünen ist sie unbestritten. Die Kommission hat von der Verwaltung weitere Abklärungen zur Verteidigungsfähigkeit der Schweiz eingeholt. Ob sich das auf die Beschlüsse auswirkt, ist allerdings unklar.
Hat Ihnen das Bundeshaus-Briefing gefallen? Dann abonnieren Sie es kostenlos und empfehlen Sie es weiter. Mit einem Klick auf den Button «Bundeshaus-Briefing abonnieren» können sich diese dann einschreiben.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und alles Gute!