Somms Memo
Sterben die Wale wegen der Windturbinen? Ein unangenehmer Verdacht
Gestrandeter Wal am Strand von Brigantine Beach, New Jersey, März 2023.
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Die Fakten: An der amerikanischen Ostküste sterben immer mehr Wale. Kritiker behaupten, Windturbinen seien dafür verantwortlich.
Warum das wichtig ist: Noch ist es nur ein Verdacht. Noch fehlt es an Beweisen. Doch es zeigt: jede Energieproduktion birgt Risiken.
Im Jahr 1962 erschien in den USA ein Buch, das die Welt verändern sollte: «Silent Spring», stummer Frühling, von Rachel Carson, einer Biologin, die überzeugt war, dass Pestizide, insbesondere das damals weitverbreitete DDT, die Welt zerstören würden, weil sie Mensch und Tier vergifteten:
- Das Buch wurde als «Sachbuch» verkauft
- Doch als am einflussreichsten erwies sich jenes Kapitel, wo Carson eine fiktive Kleinstadt schilderte, deren Bewohner alle starben, nachdem Pestizide zum Einsatz gekommen waren
Auch alle Hunde und Katzen verendeten, und die Vögel fielen tot von den Bäumen. Es wurde Frühling, und nichts mehr war zu hören: Silent Spring, der stumme Frühling. Totenstille
Die Geschichte, ich wiederhole mich, war frei erfunden. Es gab nirgendwo eine Stadt, wo es je ein solches Massensterben vorgefallen wäre. Einen stummen Frühling hatte kein Mensch je erlebt. Und doch fürchteten sich jetzt alle davor.
- Es war ein brillantes Buch, es war ein manipulatives Buch – und gilt heute noch als einer der Ur-Texte der internationalen Umweltbewegung
Wenn Fiktion je eine Realität vorwegnahm, die es so gar nicht gab, dann dieser Roman. Am Ende wurde DDT weltweit verbannt – obwohl die Beweise dafür, dass das nötig war, bis heute kontrovers bleiben.
Mit anderen Worten, früher reichte oft der Verdacht, um eine Technologie oder einen Wirkstoff in Verruf zu bringen. So gesehen müsste sich die Windindustrie grosse Sorgen machen.
Töten ihre Windturbinen die Wale?
Dieser Auffassung sind immer mehr Umweltexperten – wobei die meisten dem rechten Lager zuzuordnen sind. Am prominentesten unter ihnen ist der amerikanische Journalist und Umweltaktivist Michael Shellenberger, ein ehemaliger Linker, der als Bestsellerautor inzwischen beträchtlichen Einfluss auf die amerikanische Politik ausübt.
The Big Picture:
Seit 2016 wurden an der amerikanischen Ostküste mehrere Windturbinen im Meer aufgestellt. Lange handelte es sich bloss um kleine Testanlagen, inzwischen steht der erste vollausgebaute Windpark vor der Vollendung. Er liegt 25 km vor der Küste von Massachusetts und umfasst 62 Turbinen, die je eine Kapazität von 13 Megawatt aufweisen.
Jede Turbine ragt 260 m in den Himmel, es sollen die höchsten im Atlantik werden. 62 Eiffeltürme (300 m) im Ozean.
- Dass ein solches Bauprojekt nur bewältigt werden kann, wenn viele Transportschiffe und Helikopter zum Einsatz kommen, liegt auf der Hand. Seit Windturbinen gebaut werden, herrscht Hochbetrieb an der amerikanischen Ostküste
- Bevor allerdings auch nur eine Turbine errichtet werden konnte, hatten die Ingenieure monatelang den Meeresboden nach Orten abgesucht, die sich eigneten, um dort die Fundamente zu verankern
- Zu diesem Zweck setzten sie Sonarmessungsgeräte ein, die im Meer einen ungeheuren Lärm erzeugen. Es kracht, es donnert, es tost
Im gleichen Zeitraum, seit 2016, haben die Todesfälle von Walen und Delphinen in der Gegend deutlich zugenommen. Im letzten Jahr allein starben 71 Wale an der Ostküste – was einen aussergewöhnlichen Anstieg bedeutete.
Ist es Zufall oder gibt es einen kausalen Zusammenhang?
Umweltexperten vermuten, dass der dichtere Schiffsverkehr den Walen zusetzt. Vor allen Dingen soll die Sonarmessung den Orientierungssinn der grossen Säugetiere durcheinanderbringen. Statt ins offene Meer hinauszuschwimmen stranden sie an der Küste, wo sie jämmerlich eingehen.
Betroffen sind alle Wale, doch bei keinem Wal muss man sich mehr Sorgen machen als beim Atlantischen Nordkaper(North Atlantic Right Whale).
- Er ist vom Aussterben bedroht
Gemäss National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), einer Agentur der Bundesregierung in Washington, soll es im Atlantik höchstens noch 350 Tiere geben. Zu wenig, als dass die Art überleben könnte
Wenn man die Gründe studiert, die die NOAA nennt, um zu erklären, warum der Nordkaper gefährdet ist, dann lesen sich diese wie die Argumente der Windturbinen-Kritiker:
- Wale kollidieren zunehmend mit Schiffen aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens im Atlantik
- der Lärm im Meer nimmt laufend zu, was die Tiere desorientiert und unter Stress setzt
Könnte es also sein, dass Shellenberger und seine Kollegen recht haben?
Die Regierung dementiert. Man sehe dafür keine Evidenz. Was nicht ganz überraschend kommt, zumal der Ausbau der Windkraft zu den Prioritäten der Administration Biden gehört. Hunderte von zusätzlichen Windturbinen sind an der Ostküste geplant – einer Region, wo besonders günstige Windverhältnisse vorherrschen.
Noch weniger will Greenpeace etwas davon wissen. Der NGO, der einst gegründet wurde, um unter anderem den Walfang zu bekämpfen, ist inzwischen zu einem der glühendsten Anhänger von Windturbinen geworden.
Den Kritikern lässt Greenpeace ausrichten:
«Zurzeit ist der Beweis noch nicht erbracht, dass Offshore-Windanlagen die Wale schädigen, Deshalb bleibt Greenpeace der Auffassung, dass die Wale am besten geschützt werden, wenn wir Meeresschutzgebiete schaffen, den Verbrauch von Einwegplastik beseitigen und unsere Abhängigkeit von Öl und Gas stoppen».
Wale müssen da zurückstehen – besser: am Strand liegen – bis wir sicher sind, warum sie sterben.
Bei DDT reichte noch der Verdacht.
Ich wünsche Ihnen einen gelungenen Wochenstart
Markus Somm