Printausgabe
Spitäler schicken Frauen in die Wüste
Karsten Weyershausen
Liebe Leserinnen und Leser
Bestimmt erinnern Sie sich nicht mehr an Ihre eigene Geburt. Da Sie aber schon lesen können, gehe ich davon aus, Sie gehören zu der Generation, die mehrheitlich in einem Krankenhaus zur Welt gekommen ist. Ein Vorgang, der nicht mehr so selbstverständlich ist. Denn auch bei Geburten gilt: Die Zeiten ändern sich! Immer mehr Frauen gebären ihre Kinder heute in den eigenen vier Wänden, oder sogar in der freien Natur. Beim sogenannten «Freebirthing» wird bewusst auf medizinische Hilfe verzichtet.
Wehen in den Wellen
Vergangenen Sommer zum Beispiel stellte die deutsche Auswanderin Josy Peukert ein Video ihrer «freien Geburt» online – und ging damit viral. Die 37-Jährige brachte ihr Baby nicht im Spitalbett, sondern im Pazifischen Ozean zur Welt, am Strand von Majagual in Nicaragua.
«Die Wellen hatten denselben Rhythmus wie die Wehen, dieser sanfte Flow hatte mir ein richtig gutes Gefühl gegeben», wird Peukert von der britischen Zeitung «Daily Mail» zitiert. Sie brachte ihren Sohn mit dem Namen Bodhi Amor Ocean Cornelius nicht nur ohne jegliche medizinische Hilfe zur Welt, sondern war laut eigenen Aussagen während ihrer gesamten Schwangerschaft bei keinem Frauenarzt.
Frauen wie Josy Peukert gibt es unterdessen wie Sand am Meer. Schon 2018 sagte Barbara Stocker, Präsidentin des Schweizer Hebammenverbands: «Es kann sein, dass Alleingeburten zunehmen. Es ist ein Thema, vor allem in den sozialen Medien.»
Dort finden sich mittlerweile unter den Hashtags #freebirth oder #alleingeburt unzählige Fotos und privat gedrehte Videos solcher Geburten, die schon Millionen Mal angeschaut wurden. Gefilmt wird, was angeblich in der Natur jeder starken Frau liegt: gebären und auf den eigenen Körper vertrauen – im Wald, im eigenen Garten, im Schlafzimmer oder eben im Ozean.
Im Internet wimmelt es ausserdem von Diskussionsforen zu diesem Thema. Es existieren Bücher und Anleitungen, wie die einer deutschen Ärztin, die angeblich sechs Kinder alleine und ohne medizinische Unterstützung zur Welt gebracht haben soll.
Medizinisches Paradoxon
Doch warum interessieren sich Frauen für diese Art des Gebärens? Ist es nicht paradox, dass weltweit noch immer sehr viele Frauen keine medizinische Versorgung haben und diejenigen, die sie in Anspruch nehmen könnten, sich dagegen wehren?
Die Vereinten Nationen schätzten im Jahr 2019, dass weltweit jeden Tag 800 Frauen durch Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der Geburt sterben. Ein noch viel höheres Risiko tragen die Neugeborenen: 7000 Babys starben im Jahr 2018 täglich, noch bevor sie das Alter von einem Monat erreichten. Die Zeit vor und nach einer Geburt ist dabei für Mütter und ihre Babys besonders gefährlich. Es fällt mir also schwer zu glauben, dass sich Frauen grundlos für ein solch hohes Risiko entscheiden. Viel näher liegt der Verdacht, dass das Gesundheitswesen selbst hinter diesem Trend steckt!
Die Krise im Kreisssaal
In den Spitälern fehlt es bekanntlich an Personal – auch auf den Geburtenstationen. Schon 2014 kam eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zum Schluss, dass bis 2025 fast 60 Prozent mehr Hebammen benötigt werden.
Der einzige Ausweg für die Spitäler? So viele Frauen wie möglich loszuwerden! Gelingen tut dies wohl, indem man die Geburten so unangenehm wie möglich macht. Viele Gebärende sind Übergriffen oder Stress ausgesetzt – unter anderem aus rein ökonomischen Gründen. Oder wie «Das Magazin» aus einer Reportage zitierte: «Im Kreisssaal werden Frauen zu Gebärmaschinen, auf die keine Rücksicht genommen werden muss. Die Logik: Hauptsache das Kind kommt raus – sonst rechnet es sich nicht.»
Kein Wunder, wünschen sich viele Frauen eine natürliche Geburt. Wenn es sein muss, auf eigene Verantwortung. Der Plan geht auf, bravo!