Somms Memo
SP im taktischen Sturzflug. Oder wie man einen Bundesrat verliert.
Simonetta Sommaruga und Alain Berset: Wer geht? Keiner. Freiwillig.
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Die Fakten: Die SP verliert die Wahlen auch in Zug. Seit 2019 war das in so gut wie allen Kantonen der Fall. Hält der Trend an, muss sie um ihre zwei Sitze im Bundesrat fürchten.
Warum das wichtig ist: Aus taktischer Sicht sollte die SP einen ihrer Bundesräte dringend zum Rücktritt bewegen. Sie wird es nicht tun. Weil ihre Führung zu wenig Autorität besitzt.
Am Tag, an dem Ueli Maurer (SVP) das Ende seiner Zeit im Bundesrat angekündigt hatte, twitterte Cédric Wermuth, sicher kein Parteifreund, sondern Ko-Präsident der SP:
«Bundesrätin oder Bundesrat zu sein ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Alle, die das auf sich nehmen haben dafür Respekt verdient. Egal, wie selten wir mit ihnen einig sind. Deshalb meinen Dank an Ueli Maurer für die Zeit im Dienste der Republik. Und alles Gute für die Zukunft.»
Der Tweet ist aus drei Gründen bemerkenswert:
- Er ist fair
- Sobald einer das Amt des Bundesrates als schwer bezeichnet («kein Zuckerschlecken»), dann mag er das so meinen, und doch stellt sich eher der Verdacht ein: Er würde gerne dieses suboptimale Zuckerschlecken auf sich nehmen. Wermuth, der Kandidat (nicht jetzt, aber bald)
- Wenn ein SP-Parteipräsident so fair, ja staatsmännisch auftritt, dann liegt das entweder an Punkt 2 (weitergehende Ambitionen) oder er kann nicht anders, weil es ihm an Biss fehlt
Nun fehlt es Wermuth nicht unbedingt an Biss, auch nicht an der traditionellen Unverschämtheit eines SP-Präsidenten, was zum Jobprofil gehört, umso mehr erstaunen die leisen Töne.
Vielleicht liegt es daran, dass Wermuth nicht so recht weiss, was er will, wenn es um den Bundesrat geht.
Denn die Ausgangslage ist für die SP eigentlich klar:
- Entweder erinnert man sich an das alte Kerngeschäft der Linken: Wie wirft man die ungeliebte, da gefährliche, wenn nicht undemokratische SVP aus dem Bundesrat? Das würde heissen: Wermuth setzt sich jetzt mit Gerhard Pfister (Mitte) zusammen, dann mit Jürg Grossen (GLP) und Balthasar Glättli (Grüne), und man schmiedet Pläne, wie man Pfister, der das wohl will, doch noch in den Bundesrat wählen könnte – auf Kosten der SVP
- Oder Wermuth und seine Ko-Präsidentin Mattea Meyer drängen einer ihrer Bundesräte, Simonetta Sommaruga oder Alain Berset dazu, sich jetzt auch noch zurückzuziehen. Dies würde es der SP erlauben, den kommenden Nationalratswahlen mit Ruhe entgegenzublicken. Ihre zwei Sitze hätte sie auf sicher, ganz gleich, wie schlecht sie abschneidet. Dass das Parlament einen amtierenden Bundesrat abwählt, passiert nie, es sei denn, er heisst Christoph Blocher
Ich halte beide Szenarien für möglich – und beide für unwahrscheinlich, wenn auch das zweite noch unwahrscheinlicher ist.
Denn Wermuth, der staatsmännische Twitterer, und Meyer, die etwas weniger staatsmännische AHV-Verliererin, verfügen nie im Leben über die nötige Autorität in ihrer Partei, einen ihrer Bundesräte zum Karriereabschluss überreden zu können
- Simonetta Sommaruga hängt am Amt. Sie will unbedingt beweisen, dass sie die Energiestrategie doch noch zum Erfolg führen kann. Viel Glück. Sie wird dafür noch bis 2050 im Bundesrat verbleiben müssen. Sie ist 62 Jahre alt, 12 davon im Amt
- Alain Berset ist nur 50 – und das ist sein Problem. Was tut er, wenn er nicht mehr im Bundesrat sitzt? Er ist zu jung, um zurückzutreten, und zu alt, um doch noch einen normalen Beruf zu ergreifen. Zwar wurde er nicht gerade als Berufspolitiker geboren, aber so gut wie: Seit der Uni-Zeit hat er nicht anderes getan. Alain éternel, der ewige Bundesrat (seit 10 Jahren)
Mit anderen Worten, es sind ziemlich private Motive, die diese Bundesräte im Amt halten, an die SP, die ihnen diese Position erst ermöglicht hat, so macht es den Anschein, denken sie zuletzt.
Epoche des Narzissmus.
Wenn die privat-politischen Vorlieben der beiden Bundesräte das Parteiinteresse übersteuern, dann mag man daran erkennen, wie verzweifelt die Lage der SP ist:
- Seit 2019 verliert sie eine kantonale Wahl nach der andern. Meistens gehen die Sitze, die sie einbüsst, an die Grünen
- Und die SP geht jedes Mal unter, wenn sie eine wichtige Abstimmung gewinnen sollte: Konzernverantwortungsinitiative, Kampfflugzeuge, CO2-Gesetz, und vor zwei Wochen das höhere Frauenrentenalter in der AHV – die Königin der Niederlagen
Schätzte man die Grünen früher als niedliche, immer hilfreiche Assistenten – so betrachtet man sie heute in SP-Kreisen zusehends als Trittbrettfahrer (Hat die SP nicht viel mehr für die Umwelt getan?) – vor allem aber als unangenehme Rivalen, selbst wenn man sich das nur in dunklen Stunden eingesteht.
- Was den Wähleranteil anbelangt, rücken die Grünen der SP immer näher: 13,2 Prozent erreichten die Grünen 2019, während die SP auf 16,8 abrutschte
- Die Grünen müssten also nur 1,8 Prozent auf Kosten der SP zulegen und sie wären gleich stark wie die SP
Und trotzdem erhielte die SP mit 15 Prozent zwei Bundesratssitze – wogegen die Grünen mit 15 Prozent keinen bekämen?
Bitte verargumentieren Sie das einmal in einer Talkshow, Herr Wermuth und Frau Meyer!
Gewiss, sollte die FDP noch mehr einbrechen als die SP, würde man als SP den Grünen gerne einen freisinnigen Sitz zuhalten. Doch zurzeit sieht es nicht danach aus, dass die FDP die Wahlen verliert – eher, dass sie die SP sogar überholt.
Mit anderen Worten, wenn die SP jetzt ihre zwei Sitze nicht absichert, indem sie einen Bundesrat neu wählen lässt, dann weiss ich nicht mehr, wo Wermuth/Meyer ihre taktische Grundausbildung bezogen haben.
- Im Kommunistischen Manifest – aber auf Seiten der Bourgeoisie, die bekanntlich überwunden wird?
- Oder im Globi? «Mit Globi und Käpten Pum um die Welt»?
Karl Marx und Friedrich Engels, Politberater.
«Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern», schrieben Karl Marx und Friedrich Engels 1848, «Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten.»
Das ist in etwa die Situation der SP.
Ich wünsche Ihnen einen kämpferischen Tag
Markus Somm