Somms Memo: Wer regiert in Deutschland? Scholz oder Baerbock?
Wie eine Kanzlerin: Annalena Baerbock. Bild: Keystone-SDA
Die Fakten: Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock erweist sich als harter Hund, wenn es um die Ukraine geht. Derweil rutscht ihr Chef, Olaf Scholz, in den Umfragen immer mehr ab.
Warum das wichtig ist: Der Ukraine-Krieg legt Anarchie in der deutschen Regierung bloss. Wer ist eigentlich Kanzler?
In einem Interview mit der Bild am Sonntag, einer grossen deutschen Zeitung, hat Annalena Baerbock, die grüne Aussenministerin, bemerkenswerte Aussagen zum Ukraine-Krieg gemacht, wenn nicht geradezu gefährliche. Auf die Frage, wie ein Frieden zu erreichen sei, sagte sie:
«Ein Waffenstillstand kann nur ein erster Schritt sein. Für uns ist klar: Eine Aufhebung der Sanktionen gibt es nur, wenn Russland seine Truppen abzieht.»
Was wie eine vernünftige, ja moderate Forderung wirkt, enthält tatsächlich TNT der höchsten Sprengkraft – zumal Baerbock offenlässt, hinter welche Grenzen sich Russland denn zurückzuziehen hat.
- Meint Baerbock damit, dass Russland den ganzen Donbass räumt, also jene russischsprachigen Gebiete im Osten der Ukraine, die es zurzeit besetzt hält?
- Oder erwartet die Grüne gar, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Krim aufgibt, die er 2014 widerrechtlich annektiert hat?
Wäre das der Fall, dann hätte Baerbock der deutschen Aussenpolitik eine Betonhärte gegenüber Putin verliehen, wie wir sie bisher nicht gesehen haben.
Zwar sprach Olaf Scholz, der deutsche Kanzler von der SPD, kurz nach Kriegsausbruch von einer «Zeitenwende» und kündigte die deutsche Wiederaufrüstung an. Doch auf das Donnerwetter folgten nur Tage der schwülen Luft.
Scholz wirkte wie einer, der von einer Wende redete, wenn er damit meinte, dass er sich im Schlaf von der einen Seite auf die andere gewendet hatte.
Baerbock dagegen, die junge Frau, der man nie und nimmer zugetraut hatte, als Kanzlerin zu amtieren, Baerbock tritt nun wie eine Kanzlerin auf: entschlossen, mutig, klar – während der gewählte Kanzler sich nur mehr gewählt ausdrückt.
Baerbocks Aussagen, so sehr ich sie teile, sind allerdings auch gefährlich. Denn Putin bleibt somit keine andere Wahl mehr, als den Krieg um jeden Preis zu gewinnen. Sollte Baerbocks Worte die westliche Politik insgesamt wiedergeben, dann weiss Putin jetzt:
- Wenn er nicht siegt, dann büsst er alle Gebiete ein, die er schon erobert hat
- jeder territoriale Kompromiss ist ausgeschlossen
Hinzu kommt: Russland hat sich in seiner langen Geschichte noch so gut wie nie aus einem Gebiet zurückgezogen, das es mit seinen Soldaten besetzt gehalten hatte. Österreich etwa war eine der wenigen Ausnahmen.
Dass man mich nicht missversteht: Ich halte Baerbocks Position für richtig. Nachdem Putin ein Land mir nichts, dir nichts überfallen hat, darf er auf gar keinen Fall dafür belohnt werden. Putin muss verlieren und darf nichts gewinnen. Doch ich bin nicht der deutsche Aussenminister.
Denn Baerbock ging noch weiter:
«Die Friedensordnung, die wir in Europa kannten, hat Putin unwiederbringlich zertrümmert. So sehr wir uns das wünschen mögen: Einen Weg zurück zu der Zeit vor dem 24. Februar gibt es nicht. Auf Putins Zusagen allein können wir uns nie wieder verlassen.»
Was heisst das? Wenn Baerbock das ernst meint, dann deutet sie an, dass ein Frieden mit Putin nicht mehr denkbar ist. Mit diesem Mann, so sagt sie, kann man nämlich keine Verträge schliessen, weil «wir uns nie wieder auf ihn verlassen können.» Kurz, Putin muss weg.
Starker Tobak. Und was raucht Scholz?
In Deutschland hat sich der Kanzler bereits den Ruf eines «Umfallers» erworben, inzwischen sinken seine Umfragewerte fast stündlich, und als er gestern an einer 1. Mai-Kundgebung in Düsseldorf vor den eigenen Leuten versuchte, seine Waffenlieferungen an die Ukraine zu verteidigen, die er vor wenigen Tagen noch selbst abgelehnt hatte, wurde er ausgepfiffen.
Die Menschen spüren, wenn einer fällt. Die Menschen sind grausam, wenn sie ihre eigene Schwäche bei einem anderen entdecken.
Der Vorfall hatte etwas Surreales, aber auch Schrilles. Ein sozialdemokratischer Kanzler am 1. Mai, den man kaum mehr hören konnte vor lauter Protest und Verachtung, und der deswegen schrie wie ein Demagoge des 20. Jahrhunderts, dabei war es nur Scholz, der graue, rechtschaffene Mann aus Hamburg. Nichts passte mehr zusammen. Finis Scholz.
Olaf Scholz wurde nicht Kanzler, weil er der beste Kandidat war, sondern weil alle anderen schlechter abschnitten. Mit 25,7 Prozent Wähleranteil geriet die SPD unerwartet in die Lage, den Kanzler stellen zu dürfen. Scholz ist ein Viertel-Kanzler.
Wenn Baerbock so weiter macht, dürfte er bald ein Ex-Kanzler sein.
«Die SPD ist wieder da!»
Hatte Kevin Kühnert, der junge, charismatische Generalsekretär der Partei, nach den Wahlen im September 2021 frohlockt.
Doch wo genau? Im Kanzleramt oder im Nirwana?
Ich wünsche Ihnen einen freudigen Wochenbeginn
Markus Somm