Somms Memo: Wenn China Menschenrechte verletzt, dann schweigt die Uno. Bachelets skandalöse Reise ins Reich der Mitte
Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin der Uno für Menschenrechte.
Die Fakten: Michelle Bachelet, die Hohe Kommissarin der Uno für Menschenrechte, ist nach China gereist, um die Menschenrechtslage zu untersuchen. Sie hat nichts Anstössiges gefunden.
Warum das wichtig ist: China verfolgt seit Jahren Minderheiten und politische Dissidenten. Trotzdem schweigt die Uno. Warum kümmert sie sich überhaupt noch um Menschenrechte?
Wenn es um Menschenrechte ging, erfreute sich Michelle Bachelet, die ehemalige Präsidentin von Chile, eines tadellosen Rufes. Das lag auch an ihrer Biografie
- Ihr Vater Alberto Bachelet war ein General der Luftwaffe, der sich 1973 gegen den Putsch des Augusto Pinochet gewandt hatte, einem General wie er selbst, der jetzt in Chile eine brutale Militärdiktatur errichtete
- Dafür wurde Alberto Bachelet von Pinochets Schergen zu Tode gefoltert. Er starb 1974
- Michelle selbst, eine junge Sozialistin und Medizinstudentin, wurde 1975 zusammen mit ihrer Mutter verhaftet, ohne Prozess eingesperrt und misshandelt, bis sie nach Australien ausreisen konnte, kurz darauf zog sie in die DDR
1979 kehrte Bachelet nach Chile zurück, wo sie ihr Studium beendete. Politisch blieb sie zwar den Sozialisten verbunden, aber bloss im Hintergrund tätig. Erst nachdem Pinochet, der jahrzehntelang als Militärdiktator geherrscht hatte, Anfang der 1990er Jahre von der Macht verdrängt worden war, wandte sich die Ärztin der Politik zu:
- 2006 wurde sie zur Präsidentin Chiles gewählt. Sie blieb vier Jahre im Amt
- 2014 eroberte sie zum zweiten Mal die Präsidentschaft. 2018 trat sie ab – wie von der Verfassung vorgesehen
- Natürlich lagen der linken Politikerin die Menschenrechte am Herzen, weltweit machte sie sich einen Namen als Kritikerin von Diktatoren und Foltermeistern
Dann fuhr sie nach China. Einer Diktatur, wo die Menschenrechte etwa so ernst genommen werden wie seinerzeit in Pinochets Chile. Jetzt reiste sie als Hohe Kommissarin der Uno für Menschenrechte, einem Amt, das sie 2018 angetreten hatte. Die Reise fand vor gut einer Woche statt.
- Alles war tipptopp vorbereitet
- Drei Jahre lang hatten ihre Leute in Genf die Reise geplant und ausgetüftelt
Warum so lange?
Reisen Sie einmal nach China, mit der Absicht, dort die Menschenrechtssituation zu untersuchen – im Einvernehmen mit ausgerechnet jenen Leuten, die für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.
- Das macht die Reiseplanung eher anstrengend
Bachelet fuhr sechs Tage im Land herum, wobei sie sich strikte an die Vorgaben der chinesischen Kommunisten zu halten hatte
- Natürlich lernte sie dabei keine Gefangenen kennen
- Noch besuchte sie ein «Umerziehungslager», zu deutsch: ein KZ, wo Tausende von Uiguren festgehalten werden, Angehörige einer muslimischen Minderheit im Westen von China, die pauschal unter Terrorismusverdacht stehen. Man will sie im KZ zu besseren, sprich: gehorsameren Menschen umerziehen, wie von westlichen Experten und Journalisten mehrfach und zweifelsfrei belegt worden ist
Immerhin, so betonte Bachelet danach, hätte sie mit ein paar Chinesen «unbeaufsichtigt» reden können. Worüber, liess sie offen. Vielleicht redete sie mit ihnen übers Wetter.
Denn unbequem, wie man sich das von einer Sozialistin erwarten durfte, die jahrzehntelang (zu Recht) die Menschenrechte angemahnt hatte, – unbequem für die Chinesen wurde sie nie.
Gewiss, ohne Frage musste sie «diplomatisch» vorgehen, dafür haben wir Verständnis. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen einem Diplomaten und einem Büsi
- «Ich habe die Regierung zu einer Überprüfung aller Antiterrorismus- und Deradikalisierungsmassnahmen ermuntert, um sicherzustellen, dass sie mit Menschenrechtsstandards vereinbar sind», sagte Bachelet am Samstag nach Abschluss ihrer Reise
- Sie hat die Chinesen «ermuntert»? Das war noch die härteste Formulierung, die ihr einfiel. Von irgendwelchen konkreten Problemen wusste sie nichts zu berichten
Inhaftierte Uiguren in einem Lager in der Präfektur Hotan, Aufnahme aus dem Jahr 2017.
Stattdessen äusserte sie sich an der gleichen Pressekonferenz über die USA, wozu sie von chinesischen Journalisten befragt worden war.
- Laut NZZ war das die Frage, die sie «am ausführlichsten» beantwortete
- Dabei beklagte sie den Rassismus in den USA, wie er sich bei den Morden in Buffalo erwiesen habe
- Und sie sprach von einer «schrecklichen Menschenrechtssituation in den USA»
Bachelet war also nach China gefahren, um herauszufinden, dass in Amerika nicht alles mit rechten Dingen zugeht.
Selten hat eine Politikerin innert kürzerer Zeit ihren Ruf vernichtet. Bachelet, die mutige, linke Kritikerin, die nie müde wurde, dem Westen Vorhaltungen zu machen – wenn es sich um das mächtige, ungerechte China dreht, wird sie zur siamesischen Katze, die miaut, bis man sie füttert, und schnurrt, wenn sie einem Chinesen um die Beine streicht.
Siamesische Katze im Jahr 2022.
Es ist auch tragisch. Bachelet nimmt jetzt Leute in Schutz, die jenen Verbrechern gleichen, die seinerzeit ihren Vater zu Tode brachten.
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die Uno und ihre zahlreichen Menschenrechts-Gremien eine bemerkenswerte Doppelmoral pflegen, dann hat Bachelet ihn mit ihrer «Inspektionsreise» ins Reich der Mitte erbracht.
Man kann es auch Selbsthass nennen.
Während wir im Westen uns dafür entschuldigen, wenn herauskommt, dass unsere Vorfahren im Jahr 1521 einen türkischen Kriegsgefangenen unvorteilhaft behandelt haben, können sich ausgewiesene Diktaturen im Jahr 2022 so gut wie alles erlauben, solange sie darauf hinweisen, dass sie den Rassismus in den USA für bedenklich halten.
Im Laufe ihres Besuchs erhielt Bachelet natürlich auch ein Geschenk. Der chinesische Aussenminister überreichte ihr ein Buch, das den Stand der Menschenrechte in China beschreibt. Autor des dicken Buches: Xi Jinping, Präsident von China. Der muss es ja wissen.
Wir wünschen Michelle Bachelet eine anregende Lektüre.
Und Ihnen wünsche ich einen fantastischen Tag
Markus Somm