Somms Memo #59 - Die Linke und der Krieg. Aufforderung zum Eiertanz

image 10. März 2022 um 11:00
Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP Schweiz, an einer Friedensdemonstration.
Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP Schweiz, an einer Friedensdemonstration.
Warum das wichtig ist: Die Linke tut sich schwer mit dem neuen Krieg in Europa. Hat sie sich womöglich geirrt? Lieber schweigt sie. Tatsächlich ist eine ideologische Welt zusammengebrochen.

Wer heute morgen auf die Website der SP Schweiz geht, sieht zuerst den Aufruf, eine neue Volksinitiative zu unterschreiben: «Gleichstellung braucht Kita-Plätze» – und ein herziges Mädchen strahlt und zeigt mit dem Finger auf ein riesiges Puzzle-Teil, auf dem KITA-Initiative steht.
Das sind die Prioritäten der grössten linken Partei der Schweiz – während in Kiew, Charkiw und Mariupol etwa gleichalte Kinder sterben.
Gestern Mittwoch bombardierten die Russen ein Kinderspital in Mariupol. Gemäss ukrainischen Angaben kamen dabei drei Menschen um: darunter ein sechsjähriges Mädchen.
Zugegeben, als zweites und drittes Thema erscheinen auf der SP-Website frischer wirkende Anliegen:
  • «Jetzt eine kostenlose Peace-Fahne bestellen»
  • «Kein Erdgas, kein Krieg – kommt zahlreich zu den Friedensdemonstrationen!»

Angesichts der Tatsache, dass die sozialdemokratische Energieministerin Simonetta Sommaruga neuerdings Gaskraftwerke bauen will, weil ihr und uns sonst der Strom ausgeht, erscheint allerdings auch dieser Protest etwas widersprüchlich.
Woher will denn Sommaruga das Gas beziehen? Noch 2020 kaufte die Schweiz fast die Hälfte ihres Gases in Russland ein: 47 Prozent.
Seit die Russen in der Ukraine wüten, hat es der SP die Sprache verschlagen.
  • Als die Solothurner SP-Nationalrätin Franziska Roth im Nebelspalter die Abrüstung von Panzern und Artillerie als «keine Option» mehr bezeichnete und somit das pazifistische Dogma in Frage stellte, wurde sie sogleich zurückgepfiffen. Es handle sich um eine «Einzelstimme» befand Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP, im Blick. Seither schweigt auch Roth
  • Wenn FDP und SVP subito mehr Geld für die Armee verlangen (7 Milliarden), dann windet sich die SP auf eine Art, wo man sogleich merkt, wie unbequem sie sitzt. Man vernimmt Gouvernanten-Wörter: Das sei «unangebracht» oder «verfrüht» – und dann wird genossenschaftlich geschwiegen
  • Stattdessen fordert die SP, was sie immer fordert, wenn irgendetwas schiefläuft auf diesem Planeten, ob in Grenchen oder Mariupol: mehr Koordination mit der EU! Mehr sicherheitspolitische Anlehnung an die EU! EU forever
  • Oder sie kämpft für die Flüchtlinge – obschon in der Schweiz der Konsens schon lange nicht mehr so breit war, dass man den ukrainischen Flüchtlingen helfen sollte. Die SP trägt Eulen nach Athen

Die SP, eine Partei, die sich stets als progressiv, als der Zukunft zugewandt, als Avantgarde verstanden hat – die SP ist aus der Zeit gefallen. Am 24. Februar 2022, dem Tag, da Putin die Ukraine angriff, sind die Sozialdemokraten aufgewacht – und fanden sich in einer Welt wieder, die sie nicht mehr wiedererkannten.
Als wären sie auf dem Mars gelandet, nachdem man ihnen immer versichert hatte, es handelte sich um einen Flug nach Brüssel.
Die Bürgerlichen haben das Schlamassel der SP zwar erkannt, aber sie nutzen es kaum aus.
Zwar hat Viola Amherd, die VBS-Vorsteherin (Mitte), SP und GSoA maliziös dazu aufgefordert, ihre Volksinitiative gegen die neuen Kampfflugzeuge F-35 einzustellen (die Linke will eine zweite Abstimmung) – und die SP reagierte erwartungsgemäss schlecht gelaunt, um dann weiter Unterschriften einzutreiben, wenn auch immer lustloser, – doch so richtig in die Ecke getrieben hat die Rechte die pazifistische Linke bisher nicht.
Man lässt sie in Ruhe, als hätte man Mitleid mit einem vergesslichen Patienten. Weiss die SP noch, was sie vor wenigen Jahren alles behauptet hatte?
  • In Europa gibt es nie mehr Krieg
  • Die Schweiz ist von Freunden umzingelt
  • Die Armee ist ein «Trachtenverein» (Peter Bodenmann)
  • Waffen bringen nichts, Worte dagegen fast alles

Heute beeilt sich die ganze EU den Ukrainern Waffen zu schicken, die deutsche, von der SPD geführte Regierung will die Bundeswehr aufrüsten, ebenso die sozialdemokratisch dominierten Schweden und Finnland, offen denkt man hier gar über einen Nato-Beitritt nach.
Waffen bringen also nichts?
Wenn die Bürgerlichen die SP derzeit kaum bedrängen, dann liegt es vielleicht auch daran, dass sie schon seit langem viel zu nachsichtig gewesen sind, was die sicherheitspolitischen Auffassungen der Linken anbelangt.
Man liess sie Unsinn reden, als hätte man es mit einem vorlauten, aber liebenswürdigen Teenager zu tun.
Die Bürgerlichen wussten wohl, dass die Linke sich irrt, doch seit dem 26. November 1989, als die GSoA mit ihrer ersten Armeeabschaffungs-Initiative einen Achtungserfolg erzielt hatte (36 Prozent Ja), haben sich die Bürgerlichen nie mehr richtig davon erholt.
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Man war so erleichtert, dass die Armee nicht abgeschafft wurde, dass man sie lieber gleich selbst abschaffte.
Von der Schweizerischen Armee, die zu ihren besten Zeiten 880 000 Mann gezählt hatte, war bald nichts mehr vorhanden.
Dabei hatten die Bürger das nie verlangt.
  • So gut wie alle Volksabstimmungen seit 1989 gingen zugunsten der Armee aus
  • Umfragen zeigten regelmässig, dass die Schweizer mit deutlichen Mehrheiten an die bewaffnete Neutralität glaubten, dass sie sich eine tüchtige Armee wünschten und dass sie bereit waren, dafür zu zahlen
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Es war das Parlament, es war der Bundesrat, die abgerüstet haben, als ob die SP die Mehrheit besessen hätte. «Die Schweiz hat keine Armee, die Schweiz ist eine Armee.», hiess es früher. Inzwischen stimmt beides nicht mehr.

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag Markus Somm

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