Somms Memo #57 - Europa finanziert Putins Krieg. Wie lange noch?
Warum das wichtig ist: Zwar wirken die Sanktionen grandios, und zum Teil tun sie Russland auch richtig weh. Solange der Westen aber den Energiesektor verschont, kann sich Putin damit arrangieren.
Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba klang verzweifelt – aber auch gut informiert, als er sich Anfang Woche an den Westen wandte:
«Hören Sie auf, russisches Gas und Öl zu kaufen! Denn in diesen Tagen riecht russisches Öl nach ukrainischem Blut.»
Doch Olaf Scholz, neuerdings der deutsche Kriegskanzler, hatte ihm nichts anzubieten, ausser dem Eingeständnis, dass die Energiewende besonders sein Land in eine jetzt tödliche Abhängigkeit von Putin gebracht hat.
Via Pressemitteilung Nr. 87 des Bundeskanzleramtes beschied er Kuleba am Montag:
«Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden. Sie ist daher von essenzieller Bedeutung für die Daseinsvorsorge und das tägliche Leben unserer Bürgerinnen und Bürger.»
Und wenn Scholz von Europa redet, dann meint er, wie das bei den Deutschen oft der Fall ist, eigentlich Deutschland.
- 55 Prozent der deutschen Gasimporte und 42 Prozent des Öls stammen aus Russland
- Insgesamt liefern die EU-Länder jeden einzelnen Tag 660 Millionen Euro an Putins Kriegskasse ab, um von Russland Gas und Öl zu beziehen
- Tendenz steigend, da auch die Preise jeden Tag steigen
So weit sind wir gekommen.
- Sanktionen? Aber natürlich – wenn wir nichts davon spüren
- Nato aufrüsten? Aber sicher – in den kommenden Jahren
- Putin stoppen? Dafür haben wir die tapferen Ukrainer, die wir jetzt so tapfer loben wie noch nie in deren Geschichte
Überall ist zwar zu hören, der Westen stehe geschlossen gegen Russland, es werden die Sanktionen beschworen, und jede Firma, die ihre Geschäfte in Russland schliesst, wird in den Medien fast triumphal gefeiert. Mit Genugtuung vernehmen wir, dass der Rubel zerfällt, die russische Wirtschaft kollabiert und von jeder kleinsten Demonstration gegen den Krieg wird berichtet, als handelte es sich um einen Ostermarsch für den Frieden mit 50 000 Teilnehmern.
Wenn wir indessen ehrlich sind, ist das alles Schall und Rauch. Es sind Ersatzhandlungen, die von unserer selbstgewählten Ohnmacht ablenken. Vor allem den westlichen Politikern ist das ein Anliegen.
Niemand soll merken, dass niemand etwas tut.
Denn das Ziel der vielen Sanktionen war ja ein anderes. Es ging nicht darum, die russische Wirtschaft zu zerstören, sondern Putins Verhalten zu ändern. Wenn wir diesen Massstab anlegen, hat der Westen bisher so gut wie nichts erreicht.
- Putin hat den Krieg ausgeweitet und brutalisiert
- Auch politisch wirkt er kaum angeschlagen. Wenn jemand weiss, wie man Proteste und Rebellionen unterdrückt, dann die Russen – seit mehr als hundert Jahren tun sie nichts anderes
Einstweilen verdient Putin an seinem Krieg immer besser. Jeden Tag steigt der Ölpreis – nicht zuletzt wegen des Krieges, und wenn der Westen noch lange zuwartet, könnte auch ein Ölboykott gegen Russland bald nichts mehr ausrichten.
- Die Chinesen teilen mit, dass sie weiterhin und mit Hochdruck russisches Gas und Öl importieren
- Verzweifelt versuchen die Amerikaner den Ölpreis zu senken, indem sie Saudi-Arabien und sogar Venezuela darum bitten, mehr Öl zu produzieren. Bisher ohne Erfolg
Keine Frage, der Westen will Putins Krieg beenden. Doch er will es, ohne dafür auch nur den geringsten Preis zu zahlen. Zwar reden alle von einer Zeitenwende, aber richtig gewendet haben sie sich nicht.
- Man lehnt einen Gas– und Ölboykott ab, siehe Scholz
- Man schreckt vor jeder militärischen Intervention zurück
Viel Rhetorik, wenig Taten. Viel Propaganda, wenig Substanz.
Am Wochenende hiess es, Polen würde die Ukraine mit MiG-29 aus russischer Produktion beliefern, was Sinn ergab, da diese Kampfflugzeuge den ukrainischen Piloten natürlich vertraut sind. Die Amerikaner, so las man ebenfalls, würden Polen dafür mit neuen amerikanischen Flugzeugen F-16 ausstatten.
Alle freuten sich. Die Politiker. Die Medien. Die Ukrainer.
Die Freude währte kurz. Schon am Sonntag setzte das Büro des polnischen Premierministers einen Tweet ab:
«FAKE NEWS! Polen wird seine Kampfflugzeuge nicht in die Ukraine schicken und die Nutzung seiner Flughäfen erlauben. Wir helfen in vielen anderen Bereichen.»
Und am Montag sagte ein Regierungssprecher in Warschau: «Es ist eine sehr heikle Angelegenheit. Die polnischen Behörden haben noch keinen Beschluss über die Verlegung der Flugzeuge in die Ukraine gefasst.»
Und am gleichen Montag meldete Jen Psaki, die Pressesprecherin des Weissen Hauses, man überlasse den Entscheid gerne den souveränen Polen, doch es stellten sich schon noch ein paar Fragen:
- Wie kommen die Flugzeuge in die Ukraine, ohne die Russen zu verstimmen?
- Gibt es überhaupt noch unversehrte Flugplätze in der Ukraine? Oder müssten die MiGs von Polen aus geflogen werden? Das wäre unschön, das könnten die Russen der Nato übelnehmen
- So schnell könne man die F-16 nicht liefern, immerhin gebe es dafür ein klar reglementiertes Beschaffungsprozedere
Die Ukraine wartet noch immer auf ihre MiGs.
Reden im Westen, Sterben im Osten.
Ich wünsche Ihnen einen hoffnungsvollen Tag
Markus Somm