Somms Memo #48 - Bundesrat sollte Corona beenden. Subito.
Warum das wichtig ist: Skandinavien hat vollständig geöffnet, Grossbritannien und die Niederlande auch – während Südeuropa zögert, und Deutschland kaum einen Wank macht. Die Schweiz bewegt sich im Mittelfeld: Es offenbart sich ein neuer «Index der Freiheit» in Europa.
«Nume nid gsprängt … aber geng hüh!»,
heisst ein Dialektfilm aus dem Jahr 1935. Dabei geht es um einen Knecht im bernischen Bäriswil, der sich unsterblich in ein Dienstmädchen verliebt hat – das offenbar auf allgemeinen Zuspruch stösst. Lange sieht es deshalb nicht gut aus für den Knecht, bis er zu einem Kuhrennen antritt und dort seinen härtesten Rivalen, einen guttrainierten Zirkusartisten, aussticht. Von diesem Husarenritt auf der Kuh beeindruckt, erbarmt sich das Dienstmädchen. Sie erwidert die Liebe des Knechtes. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Nume nid gsprängt.
An diesen Titel erinnert das Vorgehen des Bundesrates. Insbesondere Gesundheitsminister Alain Berset (SP) scheint Wert darauf zu legen, dass die Öffnung nicht als «Turbo-Öffnung» angesehen werden kann, wovor der Massnahmen-freundliche Tages-Anzeiger bereits vorsorglich gewarnt hat.
Davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil, der Bundesrat hat lange gewartet.
- Seit Aufkommen der Omikron-Variante im späten Dezember sind zwar die Fallzahlen gestiegen, aber die Hospitalisierungen zogen nie in dem Ausmass an, wie Task Force und Gesundheitsbehörden das befürchtet hatten
- Vor kurzem räumte Tanja Stadler, Präsidentin der Task Force, ihre Fehlprognosen öffentlich ein
- Tatsächlich hatte Stadler Anfang Januar die Folgen von Omikron in den schwärzesten Farben geschildert: Im schlimmsten Fall würden bald 600 Corona-Patienten auf der Intensivstation liegen, im besten Fall pro Woche 80 mehr
Der Blick titelte: «Taskforce warnt vor Monsterwelle. Aber ist sie wirklich gefährlich?»
Wenn selbst der ebenso Massnahmen-freundliche Blick skeptisch war, dann hätte das der Task Force vielleicht schon damals zu denken geben müssen. Wie wir inzwischen wissen, waren die Beziehungen des Hauses Ringier zu den Behörden während der Pandemie besonders eng.
Es war nicht das erste Mal, dass sich die Task Force als viel zu pessimistisch erwiesen hatte. So gut wie immer war sie in den vergangenen Monaten als Panik Force aufgefallen. Selten lag sie aber mit ihren Warnungen so daneben wie im Januar 2022:
- Letzte Woche lagen 200 Patienten auf der Intensivstation, drei Mal weniger als von der Task Force vorgesehen
- Selbst die «optimistische» Prognose traf nicht ein: Es wurden nicht 80 Patienten mehr auf der Intensivstation betreut, sondern 70 weniger pro Woche als Anfang Januar
Trotz anhaltend guten Nachrichten schob die Landesregierung ihren Entscheid hinaus. Warum, blieb ihr Geheimnis.
- Ging es darum, das Gesicht zu wahren?
- Oder war es die Angst des Musterschülers, in der Prüfung zu versagen, obwohl er sich schon seit Monaten darauf vorbereitet hatte? Mr. und Ms. Perfect in Berne.
Im Vergleich zu Ländern, die uns, was Mentalität und politische Kultur anbelangt, nahestehen, hat sich die Schweiz sehr schwergetan, das Corona-Regime zu beenden. Vollständig geöffnet haben zum Beispiel:
- Dänemark
- Norwegen
- Schweden
- Niederlande
- Grossbritannien
Wenn wir diesen Index der Corona-Freiheit auf eine Europakarte übertragen, dann zeigt sich ein liberaler, mutiger Nordwesten und ein rigider, panischer Süden – zufälligerweise korrelieren diese Corona-Grenzen grob auch mit jenen der Konfessionen, zumal im Westen. (Im Osten sind die Nuancen weniger eindeutig.)
Vermutlich ist das kein Zufall. Die Länder der Corona-Freedom sind allesamt protestantisch (oder traditionell überwiegend protestantisch wie die Niederlande). Hier haben sich wohl Spurenelemente des protestantischen Ethos der Eigenverantwortung besser erhalten als in der gemischt konfessionellen Schweiz – deren Gesundheitsminister aus einer katholischen Familie stammt und deren Regierung zur Zeit eine katholische Mehrheit aufweist (5 zu 2).
Auffällig ist es nämlich: katholische Länder hängen viel länger am Corona-Paternalismus. So etwa
- Frankreich
- Spanien
- Italien
- Österreich
Ein Rätsel bleibt Deutschland. Obwohl es hier beides gibt: Protestanten und Katholiken, zeichnet sich das Land weltweit durch die vorsichtigste Corona-Politik aus, wie der Stringency Index nahelegt:
Deutschlands fatales Nullrisiko-Modell mag ein Grund sein, warum die Schweizer Regierung nicht längst dem skandinavischen Beispiel gefolgt ist und die Corona-Politik umgehend beendet hat. Deutschland ist beides: ein enger Freund und oft ein falsches Vorbild.
Vielleicht spielt aber auch hier die Konfession eine Rolle. Die einzigen, die sich stets gegen allzu viele Massnahmen gestellt hatten, waren die beiden letzten Reformierten im Bundesrat: Ueli Maurer und Guy Parmelin, beide von der SVP.
Wenn wir daran denken, dass viele Corona-Massnahmen die Menschen am Arbeiten hinderten, dann hatte ihr protestantischer Widerstand etwas Folgerichtiges.
Huldrych Zwingli, der grosse Schweizer Reformator, hatte gesagt:
«Man darf überall nie müssiggehen, sondern soll beständig tätig sein.»
Damit die Zürcher Bauern nicht allzu lange faul herumhockten, hatte Zwingli sie angewiesen, auch am Sonntag – nach dem Gottesdienst – die Arbeit sofort wieder aufzunehmen.
Ich wünsche Ihnen einen arbeitsamen Tag.
Markus Somm