Somms Memo #47 - Ende einer Epoche: SP und SVP im Sinkflug
Warum das wichtig ist: Ende einer Ära. Die beiden Parteien, die in den 1990er Jahren zu den stärksten Kräften des Landes aufgestiegen sind, stürzen ab. Was sich in Zürich abzeichnet, könnte die ganze Schweiz verändern.
Die 1990er Jahre sind endgültig vorbei. Jene Epoche der zunehmenden Polarisierung war durch drei Phänomene gekennzeichnet:
- Der Wandel der SP zur bestimmenden Regierungspartei, die Verwaltung und Diplomatie beherrscht
- Der Aufstieg der einstigen Bauernpartei SVP zur erfolgreichsten bürgerlichen Opposition seit dem 19. Jahrhundert
- Der Niedergang der alten Mächte Freisinn und CVP. Diese verlor ihre Stammlande, jene die Schweiz
Wenn Zürich ein Seismograf für die künftigen politischen Entwicklungen ist, dann sind die Ergebnisse der jüngsten Wahlen im Kanton Zürich aufschlussreich.
- In Zürich laufen der SP die Wähler davon: - 4,1 Prozent Wähleranteil. Ebenso in Winterthur, der zweitgrössten Stadt des Kantons: - 4,9 Prozent. Profiteure sind die Grüne und die Grünliberalen
- Der Abstieg der SP scheint sich damit unablässig fortzusetzen. Seit den Nationalratswahlen von 2019 hat die Partei die meisten kantonalen Wahlen verloren
- Die SVP hält sich im Bund und in den Kantonen zwar besser, doch besonders ihre Vertretungen in den Städten schrumpfen auf lächerliche Grössen. Eine Verzwergung der SVP ist im Gang. Wenn es so weiter geht, werden die Städte bald zu «SVP-freien Zonen», wie das Christoph Eymann, der ehemalige liberale Regierungsrat von Basel-Stadt einmal maliziös vorausgesagt hatte
Neu kommt die SP in Zürich auf 37 Sitze, 6 hat sie verloren. Wenn wir das historisch einordnen, dann handelt es sich um einen dramatischen Einbruch. Tiefer lag die Zahl der SP-Gemeinderäte das letzte Mal 1901: damals waren es 31. Das ist mehr als hundert Jahre her. Seit 1901 war die Partei stets mit mehr Politikern im städtischen Parlament vertreten.
Allerdings weist auch der Niedergang der SVP durchaus historische Dimensionen auf: Sie erreichte am Sonntag bloss noch 14 Sitze. Damit hat die Volkspartei so gut wie alles verspielt, was sie seit den frühen 1990er Jahren in der grössten Stadt der Schweiz aufgebaut hatte. Es war ein spektakulärer Siegeszug:
- 1990 verfügte die SVP im Zürcher Gemeinderat über bloss 7 Sitze (von 125)
- Schon 1994 katapultierte sie sich auf 19 Sitze. Das war der EWR-Schub
- 1998 zog sie mit dem bürgerlichen Leader FDP gleich: beide Parteien gewannen jetzt 26 Sitze
- 2002 hängte die SVP die FDP ab: 31 Sitze. Damit war die SVP die grösste bürgerliche Partei in Zürich, die FDP sackte auf 20 Sitze ab
Was in Zürich vor sich ging, war für die ganze Schweiz von Belang. Der damaligen Parteiführung unter Christoph Blocher, Walter Frey und Ueli Maurer war das bewusst. Zürich war schon immer der politische Herzschrittmacher des Landes. Sie sagten sich:
Lieber in Rom der erste als in Rom der zweite.
Siegte die SVP in Zürich, war sie in der Lage, überall zu siegen.
Seit diesen heroischen Zeiten ging es mit der Stadtzürcher SVP nur noch bergab, erst langsam, dann immer zügiger. Wenn es bei dieser Halbwertszeit des Zerfalls bleibt, dann findet sich die SVP bald wieder dort, wo sie 1990 angefangen hatte: bei einstelligen Sitzzahlen.
Woran liegt es, dass die beiden Dominatoren der 1990er Jahren jetzt in den Sonnenuntergang reiten?
1. Zur SP – müde trotz Wokeness
- Die Juso-isierung der Partei: Dafür stehen Mattea Meyer und Cédric Wermuth, die Co-Präsidenten der SP Schweiz, beide ehemalige Jusos, genauso wie der Zürcher Co-Präsident Oliver Heimgartner. Er machte sich vor wenigen Jahren einen Namen als besonders radikaler Sozialist, indem er auf Mercedes-Sterne pinkelte
- Die Juso-isierung ist ein Problem. Denn die Juso sind elitär und woke: Wer aber woke ist, also Rassismus, Klima und Genderfragen für die drängendsten Missstände der Gegenwart hält, wählt lieber das Original. Und das sind die Grünen
- Wem aber die Jusos zu pubertär sind, weil er über 35 Jahre alt ist, vielleicht mit Familie und festem Job, der wendet sich von dieser Gymnasiasten-SP ab. Er entscheidet sich für die erwachsen wirkenden Grünliberalen
2. Zur SVP – wo ist der neue Walter Frey?
- Für die Karriere der SVP in Zürich war ein Mann verantwortlich: Walter Frey, Unternehmer und Besitzer der mittlerweile grössten Autohandelsfirma von Europa
- Als Präsident der Stadtzürcher SVP von 1987 bis 2001 führte er die Partei wie er seine Firma noch heute führt: systematisch, kundenorientiert und hochrentabel. Nie mussten die SVPler härter für die Politik arbeiten, nie schaute für sie mehr dabei heraus.
- Frey schaffte eine Sensation: 1986 lag der Wähleranteil der SVP in der Stadt Zürich bei 6,5 Prozent, 2002 bei 18,5 Prozent
Die heutige Parteileitung der SVP, ob im Bund oder in den Kantonen, scheint die Bedeutung der Städte nicht mehr zu erfassen. Man hat sie aufgegeben. Man wettert lieber aus sicherer Distanz über die «links-grünen Schmarotzer-Städte» – ohne einen Plan zu haben, wie man sie für die SVP wieder wohnlich macht.
Wer aber Zürich verliert, so lehrt die Geschichte, verliert die Eidgenossenschaft. Fragen Sie den Freisinn.
Ich wünsche Ihnen einen sensationellen Tag.
Markus Somm