Somms Memo #45 - Wo ist Olaf Scholz? Untergang eines Kanzlers
Olaf Scholz, Bundeskanzler Deutschland (Quelle Keystone)
Warum das wichtig ist: Der Ukraine-Konflikt spaltet Deutschland – insbesondere die SPD des Kanzlers. Hilft das Land der Ukraine oder versteht es lieber Russland? Scholz wirkt wie einer, der am liebsten gar nicht da wäre.
Selten hat ein Pullover in Deutschland so zu reden gegeben, wie jener, den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Flugzeug getragen hatte, als er vor wenigen Tagen nach Washington aufbrach, um Joe Biden, den US-Präsidenten, zu treffen:
- Ist der graue Pullover nicht zu gross?
- Lässig oder zu schlampig? (Oversize ist immerhin in)
- Passt das zu Scholz – oder will da einer Till Schweiger, den Schauspieler, spielen?
Olaf Scholz auf dem Weg nach Washington.
Das Bild ging sofort viral. Die sozialen Medien summten vor Vergnügen. Sogleich gab es Umfragen. 60 Prozent der Deutschen finden den Pulli in Ordnung, teilweise äussern sie gar Begeisterung, dass da einer, der im Ausland als graue Maus gilt, als Inbegriff des korrekten, aber staubtrockenen Sparkassenvorstandsvorsitzenden, so gekonnt mit seiner Kleidung hantiert. Ein Maestro der Mode? Ein Obama aus Osnabrück?
Es war vielleicht die einzige gute Nachricht, die Scholz in den vergangenen Tagen erreicht hat. Die anderen Umfragen, wo es ums Beef ging, haben nämlich katastrophale Resultate erbracht.
- Zwei Drittel der Deutschen haben sich von Scholz schon abgewandt. Sie sind enttäuscht
- Sein Schicksal gleicht damit jenem seines Gastgebers in Washington. Biden, angetreten als Hoffnungsträger, ist inzwischen ein Virtuose der Verzweiflung geworden. Umfragen killen ihn
Als er bei Biden zu Besuch war, offenbarte sich Scholz’ Dilemma spätestens an der Pressekonferenz im Weissen Haus. Sinngemäss verliefen die Dialoge mit den Journalisten etwa so:
«Mr. President, was ist mit Nord Stream 2? Wird die Pipeline nach Deutschland zugesperrt, wenn Russland die Ukraine überfällt?»
«Aber sicher, das garantiere ich Ihnen!»
«Mr. Scholz? What about Germany?»
«?!?»
Die Journalisten bohrten wiederholt nach, doch Scholz drückte sich um eine klare Aussage. Und das nicht, weil er kein Englisch verstanden hätte. Man sei sich einig, sagte er, ohne zu sagen, worin denn?
Scholz kann bei diesem Thema nur verlieren.
- Eine Mehrheit der Deutschen will von einer Unterstützung der Ukraine nichts wissen. Keine Waffen für Kiew. Stattdessen lieferte man aus dem Inventar 5000 Helme.
- Viele Deutsche haben gar Verständnis mit den Russen, besonders in Ostdeutschland
- Scholz ist Kanzler der SPD, deren Altkanzler Gerhard Schröder in russischen Diensten steht
- In der SPD gibt es alles: Pro-Russen, Anti-Russen, und vor allem: Anti-Amerikaner
Wenn sich Scholz eindeutig für die Position der Amerikaner und der Briten ausspricht, büsst er in Deutschland noch mehr an Zustimmung ein, stellt er sich gegen die westlichen Verbündeten, gerät er hier unter Druck.
Is Germany still reliable? Fragt man sich in D.C. und Westminster.
Unter diesen Umständen hielt sich Scholz ebenfalls an das Vorbild von Biden. Wenn in Bedrängnis, so würde Bidens Rat wohl lauten, verstecke dich im Keller. Das tat Scholz.
Wo ist Scholz? Fragten die deutschen Medien. Bis er endlich einen Pullover anzog.
Olaf Scholz in seiner Zeit als Jungsozialist.
Hinzu kommt, was manche, gerade in der Schweiz, wohl nicht wissen. Scholz war früher einmal ein ganz Linker. Als er in die Politik einstieg, ging er zu den Jusos und wandte sich dort der äusseren Linken zu: Er gehörte dem sogenannten Stamokap-Flügel an.
- Stamokap ist die Abkürzung für «Staatsmonopolistischer Kapitalismus»
- Das ist eine marxistische Theorie, die vor dem Ersten Weltkrieg aufkam. Lenin gehörte zu den wichtigen Vertretern dieser Lehre
- Die Theorie sah vor: Bevor der Kapitalismus untergeht, womit zu rechnen ist, schliessen sich die Kapitalisten zu Monopolen zusammen, unter Führung des Finanzkapitals
- Diese beherrschen nicht nur die Wirtschaft, sondern den Staat
Wie gesagt, gemäss Theorie handelt es sich beim Stamokap um eine Spätphase des Kapitalismus. Die Revolution steht unmittelbar bevor.
Daran glaubte der junge Scholz in den 1980er Jahren. Es kam anders, heute gilt er als rechter Sozialdemokrat, mit dem Kapitalismus, so heisst es, hat er seinen Frieden gemacht.
Scholz schrieb damals in ziemlich linken Blättern über die «aggressiv-nationalistische Nato» und bezeichnete die BRD als «europäische Hochburg des Grosskapitals».
Und er reiste als stellvertretender Bundesvorsitzender der Juso regelmässig in die DDR, wo man sich mit Vertretern der SED zu Kaffee und Kuchen traf. Unter anderem kam Scholz mit Egon Krenz zusammen, einem seinerzeit aufsteigenden DDR-Funktionär. Nach der Wende amtierte Krenz für ganze kurze Zeit als Nachfolger von Erich Honecker, dem kommunistischen Dinosaurier.
- «Wir sind die Fans von Egon Krenz», riefen damals die jungen Pioniere in der DDR
- Scholz? Das wissen wir nicht.
Insgesamt besuchte er neun Mal die DDR. Noch 1988, also kurz vor der Wende von 1989, führte Scholz eine Juso-Delegation in den «Arbeiter-und-Bauernstaat»: bei dieser Gelegenheit traf man die Genossen von der FDJ, der kommunistischen Jugendorganisation in der DDR, und war sich darin einig:
- «dass die wahren Feinde des Friedens im Militär-Industrie-Komplex der USA»
- und in der «Stahlhelm-Fraktion» der CDU/CSU zu verorten seien
Heute steht Scholz einem der mächtigsten Nato-Staaten vor. Gut möglich, dass es an seiner Stamokap-Vergangenheit liegt, dass er sich mit Russland, dem Nachfolgestaat der kommunistischen Sowjetunion etwas schwer tut. Böse oder gut?
Jedenfalls ist man sich vertraut. Es verbindet das Parteichinesisch. Man glaubt zwar nicht mehr an die Stamokap-Theorie, doch immerhin kennt man sie noch.
Ich wünsche Ihnen ein geruhsames, theoriefreies Wochenende
Markus Somm