Somms Memo #44 – Wenn der Staat die Medien im Griff hat
Warum das wichtig ist: Wenn Medien Geld vom Staat beziehen, stellt sich die Frage, ob sie noch unabhängig über diesen Staat berichten? Die Befürworter des neuen Mediengesetzes bekräftigen das, die Gegner bezweifeln es. Beispiele aus der Praxis geben Aufschluss.
Als ich nach Basel kam, um als Chefredaktor die Basler Zeitung (BaZ) zu leiten, war ich beeindruckt von Telebasel. Der lokale Sender nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, die Regierung und die Behörden des Kantons kritisch zu begleiten. Telebasel brachte:
- sorgfältig recherchierte Beiträge
- legendäre, da unbequeme Reporte
- kontroverse Talks, wo Leute aller politischen Strömungen zu Wort kamen
- und was auffiel: Telebasel hatte einen Chefredaktor, von dem man wusste, dass er bürgerlich positioniert war. Er hiess Willy Surbeck. Inzwischen ist er nicht mehr Chefredaktor
Und all das war möglich – obwohl Telebasel einer Stiftung gehörte, wo die Regierungen der beiden Basel im Stiftungsrat vertreten waren; und diese journalistischen Glanzleistungen wurden erbracht, obwohl Telebasel vom Staat mit Gebührengeldern versorgt wurde.
Telebasel galt uns als Vorbild. Und so eiferten auch wir bei der BaZ den Kollegen nach, bald stellte sich heraus, dass die BaZ den einheimischen Politikern und Beamten ebenso unangenehm aufsass, schliesslich hiess es, wir seien «unverschämt», «politisch motiviert» oder betrieben «Kampagnen-Journalismus», wo es sich bei näherem Hinsehen einfach um Recherchen handelte, die den Obrigkeiten in Basel-Stadt und Basel-Land nicht passten.
- Es gab Reklamationen – gewiss, auch von Lesern, aber in erster Linie von Regierungsräten und Chefbeamten
- Und zwar aus allen politischen Lagern, selbst aus der SVP, der wir sowohl in Basel-Land als auch in Basel-Stadt das Leben schwer machten – und das taten wir, obgleich einer unserer Besitzer Christoph Blocher hiess
- Natürlich ärgerte sich die Linke. Man gründete ein Anti-BaZ-Komitee: «Rettet Basel», wo es eigentlich hätte heissen müssen: «Rettet die Basler Linke»
Am meisten aber litt unter uns: Telebasel. Der Sender wurde nun besonders aufmerksam beobachtet. Wenn unsere Kritiker bei der BaZ schon nichts ausrichten konnten, weil sie Privaten gehörte, dann vielleicht bei Telebasel, einem Sender, der von staatlichen Subventionen abhängig war?
Je öfter die BaZ die Regierungen enttäuschte, so stelle ich mir vor, desto häufiger klingelte das Telefon bei Willy Surbeck.
- Die Obrigkeit sagte sich: Wir haben die BaZ verloren
- Nun muss wenigstens Telebasel auf Linie gebracht werden
Und in der Tat. War Telebasel vor der Blocher-BaZ mit regierungskritischen Recherchen hervorgetreten, kamen die nun auf dem Sender immer seltener vor. Irgendetwas hatte sich verändert. Ein paar der besten Telebasel-Journalisten wechselten zur BaZ.
Wer verstehen will, wie unsere Medien aussehen könnten, wenn der Bund, sprich: die Beamten des Bundesamtes für Kommunikation die «Qualität» der vom Bund subventionierten Online-Plattformen zu überprüfen hat, muss nur nach Basel schauen.
Christian Keller, heute Inhaber der Prime News in Basel, arbeitete früher bei Telebasel, er verantwortete dort das Recherche-Magazin «Report» und er war einer jener jungen Wilden, die mich für ihre Arbeit und ihren Mut eingenommen hatten. Später stiess er ebenso zur BaZ und leitete dort die Lokalredaktion. 2018 gründete er Prime News, eine Online-Plattform, die sich vollständig am Markt finanziert – und keinerlei Subventionen nimmt.
Keller hat für Prime News mit seinem früheren Chef Willy Surbeck ein Gespräch geführt. Wer wie die Befürworter des Mediengesetzes glaubt, der Staat gewähre den Medien so viel Geld, ohne dann Einfluss nehmen zu wollen, sollte sich diesen Podcast genau anhören.
Prädikat: Erschütternd
Keller: «Wie haben Politiker auf kritische Beiträge von Telebasel reagiert? Gab es Interventionen?»
Surbeck: «Ja, das hat es gegeben, wobei das nicht das Wesentliche darstellt, sondern das Wesentliche besteht darin, dass man als Journalist und Verantwortlicher der Redaktion ganz genau weiss, was die Regierung will – und das teilen sie einem auch mit.»
Und Surbeck erzählt eine Geschichte, wie sie sich in Zukunft überall in der Schweiz zutragen könnte:
«Einmal musste ich extra ins Restaurant Au Violon, und da tauchte ein Kommunikationsbeauftragter auf, der von der Basler Regierung bezahlt war. Er eröffnete mir:
Hör mal, Willy, die Regierung ist sehr zufrieden mit Telebasel, denn sie erhält bei Euch jederzeit 30 Minuten Redezeit – und das live. Falls nötig, rufen sie am Morgen an und sagen, die BaZ hat uns in die Pfanne gehauen, dürfen wir uns am Abend in der Live-Sendung zur Wehr setzen? Und Telebasel macht mit und stellt diese Möglichkeit zur Verfügung. Das wird sehr geschätzt. Dafür dankt sie Euch.»
Surbeck ahnte wohl, dass nun ein «Aber» kommen würde:
«Aber das reicht jetzt nicht mehr. Die Regierung sollte das gar nicht müssen wollen. Vielmehr sollte die Regierung aus dem Schussfeld genommen werden, indem Telebasel jene Leute im Grossen Rat, die sowieso für die Regierung sind, stark zu Wort kommen lässt. Damit sich die Regierung gar nicht mehr rechtfertigen muss.»
Geschehen zu Basel, Anfang des 21. Jahrhunderts.
Napoleon Bonaparte, Kaiser der Franzosen.
Napoleon Bonaparte sagte einmal über die Journalisten:
«Vier feindselige Zeitungen sind mehr zu fürchten als tausend Bajonette.»
Er wusste, wovon er sprach – und er wusste, was zu tun war.
Als General besass er gleich zwei Zeitungen, die permanent über seine Feldzüge berichteten, natürlich objektiv. Als Kaiser brachte er die wichtigste Zeitung seines Reiches, Le moniteur universel, unter seine Kontrolle, auch diese wusste nur Objektives über Napoleon zu vermelden.
Anders als die Basler Regierung schätzte Napoleon indessen die Berichte aus dem Parlament nicht so. Deshalb wurden sie gestrichen. Stattdessen erfuhren die Franzosen rechtzeitig von jedem Sieg der Grande Armée in Russland. Solange sie siegte.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Markus Somm