Somms Memo #37 – Rot-Grüne Hegemonie in den Städten
Warum das wichtig ist: Ein Machtwechsel in Zürich ist nicht vorgesehen. Die Linke dürfte von neuem siegen. Obwohl sie sich zu Tode gesiegt hat. Sie weiss nicht mehr, was mit ihrer Macht anzufangen. Sie flüchtet ins politische Nirwana.
Einst trat die Linke an, die Welt aus den Angeln zu heben:
«Es ist die Pflicht jedes Revolutionärs die Revolution zu machen»,
hiess es auf einem riesigen Spruchband am Vietnamkongress im Audimax der Technischen Universität in Westberlin, ein Zitat, das dem argentinischen Guerillaführer Che Guevara zugeschrieben wird, heute kämpft die Linke mit Unerschrockenheit und Todesmut für:
- Genderneutrale Berufsbezeichnungen (die Erdölplattformarbeiter:in)
- Veganes Essen in der Mensa
- Velowege (mit Tunnels für Frösche und Molche)
Von der Verbünzligung der Linken. Vielleicht ist es ja ein gutes Zeichen. Wer möchte Che Guevara zu später Stunde im Kreis 7 begegnen, wo heute jene behaglich leben, die 1968 und in den folgenden Jahren gerne mit einem T-Shirt oder einem Plakat mit dem Foto des struppigen Revolutionärs herumliefen (wie auch ich) – also jenem Vorbild, das man neuerdings als vollendete Verkörperung der toxischen Männlichkeit bezeichnen müsste? Die Waffe in der Hand, die Zigarre im Mund, der Phallus im Kopf.
Wenn die linken Parteien am 13. Februar in Zürich antreten, werden sie sich nicht allzu viele Sorgen machen. Ihre Mehrheiten sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Seit Jahrzehnten thront die SP und ihre Verbündeten in der bevölkerungsreichsten und wohl bedeutendsten Stadt des Landes.
Der lange Marsch durch die Institutionen, den sich die 68er vorgenommen hatten, ist womöglich die einzige Utopie, die ohne Kompromisse verwirklicht worden ist. Die Revolution mag warten, die Überwindung des Kapitalismus gleichfalls, ebenso wenig steht die klassenlose Gesellschaft vor der Tür noch der «neue Mensch»: Doch die Macht hat die Linke ergriffen. Und wie.
Es gibt inzwischen keine grössere Schweizer Stadt mehr, wo die Linke nicht schaltete und waltete, wie es ihr beliebte; in der Regel stellen SP, Grüne sowie linke Sekten die Mehrheit, so gut wie immer steht einer der Ihren an der Spitze. Wenn wir uns auch daran gewöhnt haben: Selbstverständlich ist das gar nicht. Noch vor gut dreissig Jahren war es umgekehrt.
Die Bürgerlichen dominierten nicht nur auf dem Land, sondern genauso in den Städten, besonders der Freisinn. Fast alle Stadtpräsidenten waren freisinnig, und in den Exekutiven sowie in den lokalen Parlamenten brachten es die Bürgerlichen meistens fertig, eine Mehrheit zu bilden. Diese bestand stets aus der (oft stärksten) FDP, der CVP und der SVP, manchmal unter Hinzuziehung des LdU, einer linksbürgerlichen Partei, die es heute nicht mehr gibt.
Warum haben die Bürgerlichen in bloss einer Generation die urbane Macht flächendeckend eingebüsst? Vier Ursachen:
- Es fehlen ihnen die politischen Talente. Wer bürgerlich denkt und etwas kann, zieht eine Karriere in der Privatwirtschaft vor
- Das Milizsystem ist im Untergang begriffen. Parlamentarische Arbeit ist inzwischen so zeitaufwendig, dass nur mehr Berufspolitiker sich das leisten können. Dass dies so gekommen ist, verdanken wir der Verwaltung – und der Linken. Es gilt das Naturgesetz der Bürokratie: Je mehr Regulierungen, desto mehr Berufspolitiker
- Bis 1989 kam in der Privatwirtschaft deutlich besser voran, wer im Militär weitermachte. Es gab einen Anreiz, jedes Jahr vier Wochen im schweizerischen Wald herumzurobben (oder solches befehlen zu lassen). Das hatte eine Nebenwirkung: Offiziere kümmerten sich um das Gemeinwesen. Sie waren Patrioten, immerhin hatten sie oft drei, bis vier Jahre ihres Lebens für dieses Land eingesetzt, also waren sie auch bereit, ihre Zeit der Politik zu widmen. Heute regiert auch unter Managern die psychedelische Selbstverwirklichung, eine Droge, die die 68er eingeführt hatten
- Nirgendwo hat die Linke nachhaltiger gewonnen als im Bildungssystem. Wer heute ein Gymnasium besucht, erwirbt die Matura als eine Grüne, wer an einer Hochschule studiert hat, wird als Sozialdemokrat diplomiert. Die Bürgerlichen haben eine ganze Generation verloren. Die akademische Elite steht heute, sofern sie nicht in der Privatwirtschaft tätig ist, überwiegend links
Velowege. Das scheint das Einzige, was der Linken von der einstmals «revolutionären Perspektive» übriggeblieben ist.
Was tragisch wirkt nach all diesen Erfolgen: Den Linken sind auf ihrem langen Marsch an die Macht die guten Ideen abhandengekommen. Vieles, was sie sich 1970 erträumt hatten, ist entweder (von oder mit den Bürgerlichen) realisiert worden, manches, was man anstrebte, hat sich als Unsinn erwiesen, fast nichts mehr bleibt, wofür es sich zu kämpfen lohnte.
Das Land ist gleich, das Land ist reich, das Land ist sozial, das Land ist glücklich.
Warum nicht Velowege für die Frösche? Die Verzweiflung muss unendlich sein.
Ich wünsche Ihnen einen unpolitischen Tag.
Markus Somm