Somms Memo #36 – Exportweltmeister Schweiz
Warum das wichtig ist: Die Corona-Krise scheint wirtschaftlich überstanden. Zwar leiden einzelne Branchen noch, doch der Aussenhandel brummt. Es ist an der Zeit, dass auch die Politiker die Pandemie beenden.
Letztes Jahr ereignete sich Historisches: Zum ersten Mal seit 1954 haben die Amerikaner der Schweiz mehr Waren abgenommen als die Deutschen. Die USA stiegen zum wichtigsten Zielland unserer Exporte auf.
Ob dies so bleibt, steht in den Sternen, gut möglich, dass es sich um einen Ausreisser handelt, denn die USA haben sich früher vom Corona-Einbruch erholt als Deutschland. Zudem hat die Schweiz auch 2021 aus Deutschland am meisten Importe bezogen.
Und doch sind diese Verschiebungen unseres Aussenhandels bemerkenswert – die USA haben in den vergangenen Jahren als Markt ständig an Bedeutung gewonnen, während das Gewicht der EU – relativ betrachtet – abnahm. Seit das Vereinigte Königreich nicht mehr dazu zählt, hat sich dieser Trend beschleunigt.
Das war schon einmal der Fall, wenn auch viel ausgeprägter. Anfang des 19. Jahrhunderts betrieb die schweizerische Exportindustrie glänzende Geschäfte in Übersee. Bald war Amerika als Handelspartner wichtiger als Europa.
- 1845 gingen zwei Drittel aller schweizerischen Exporte nach Übersee, nicht nach Europa
- davon rund 50 Prozent in die USA
Die schweizerischen Unternehmen lieferten in jenen Jahren vorwiegend Textilien, Maschinen und Uhren. Die kleine Schweiz galt um 1840 als härtester Konkurrent des damals führenden Industrielandes Grossbritannien.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten die schweizerischen Unternehmer Europavon neuem – ohne ihre starke Stellung in Übersee aufzugeben. 1871 entstand das neue Deutsche Kaiserreich. Wenn ein Land aus dieser Gründung einen Nutzen zog, dann die Schweiz: Deutschland stieg innert kürzester Zeit zu unserem gewichtigsten Handelspartner auf– was es über alle Wirren der Zeit immer geblieben ist – ungeachtet zweier Weltkriege, der Grossen Depression, der deutschen Teilung und des Kalten Krieges. Von der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 profitierten auch wir – nicht zuletzt dank der Einwanderung vieler tüchtiger Ostdeutscher in unsere Industrie und unser Gewerbe.
Ob Deutschland weiterhin als dermassen unverzichtbar zu betrachten ist, werden wir in den kommenden Jahren besser beurteilen können. Manches spricht dafür. Denn die USA kaufen in der Schweiz vor allem eines ein: pharmazeutische Produkte, hergestellt in der Regel von Novartis und Roche.
Mit anderen Worten, unser Exportboom ist zu einem grossen Teil ein Pharma-Boom, wenn nicht ein Corona-Boom. Gut die Hälfte aller Exporte stammt aus der Pharma-Industrie. Allerdings legten viele Branchen 2021 erfreulich zu, eine Auswahl:
- chemisch-pharmazeutische Produkte: + 12 Prozent
- davon immunologische Produkte: + 25 Prozent
- Uhren: + 33 Prozent (ein neuer Rekord)
- Maschinen und Elektronik: + 10 Prozent
- Präzisionsinstrumente: + 11 Prozent
Die beiden letzteren Branchen haben dieses Wachstum nach schwierigen Vorjahren erzielt. Corona hatte zu einem brutalen Rückgang geführt. Vieles bleibt aufzuholen. Betrachtet man die absoluten Zahlen, hat insbesondere die Maschinenindustrie ihren Vor-Corona-Ausstoss noch nicht wiedererreicht.
Ausserdem kommt der Maschinen– und der Uhrenindustrie im Vergleich zur Pharma inzwischen ein weit geringeres Gewicht zu. Wenn es um die Exportindustrie geht, ist die Schweiz von der Basler Pharma in einem Masse abhängig, wie kaum je zuvor. Ich wiederhole: 50 Prozent aller Exporte sind Pharma-Exporte.
Das ist Segen und Fluch zugleich.
Ein Segen:
- Das ist günstig in Zeiten einer Pandemie. Deshalb hat sich die Schweiz besser erholt als etwa Deutschland. Autos waren weniger gefragt als Medikamente
- Das ist auf lange Sicht vielversprechend, weil kaum etwas so stark wächst wie die Nachfrage nach Medikamenten und Gesundheitsdienstleistungen. Wir alle wollen ewig leben. Corona hat das unterstrichen
Ein Fluch:
- Die Pharma stellt ein beachtliches Klumpenrisiko dar. Leidet Basel unter dem Schnupfen, bekommt die Schweiz die Grippe, wenn nicht die Pest. Geht die Pharma gar unter, verschwindet ein Gutteil unserer Exportindustrie
- Politisch besitzt die Pharma ein Übergewicht. Ihr Einfluss ist zu gross. Das zeigt sich an der nach wie vor europhilen Ausrichtung der Economiesuisse, des Spitzenverbandes der schweizerischen Wirtschaft
Die Schweiz exportiert so viel wie noch nie, die Schweiz boomt, nicht zuletzt im Vergleich zu fast allen übrigen Ländern des Westens, die Schweiz hat – das sei anerkannt – wahrscheinlich auch die glücklichere, weil pragmatische, weniger dogmatische Corona-Politik gemacht, – wenn auch oft nicht mit Absicht, sondern weil unser politisches System des permanenten Kompromisses nichts Anderes zuliess.
Gerade deshalb ist es dringend angezeigt, der Bundesrat leitete die Normalisierung ein. Corona ist vorbei. In der Wirklichkeit schon lange, in unseren Köpfen aber wütet das Virus noch. Zeit für frische Gedanken.
Ich wünsche Ihnen einen guten Wochenstart.
Markus Somm