Somms Memo #14 - Stadt-Land-Gegensatz reloaded

image 16. Dezember 2021 um 11:00
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Warum das wichtig ist: Die DNA der Schweiz ist dezentral, föderalistisch, kleinstädtisch, provinziell. Metropolen sind unbeliebt. Auf die Dauer werden die Städte nicht vorherrschen können.
Eine neue Studie des Meinungsforschungsinstitutes Sotomo hat ergeben, dass sich der Graben zwischen Stadt und Land in der jüngsten Vergangenheit vertieft hat – und zwar nirgendwo so deutlich wie in der Politik. Die Autoren sprechen von einer «massiven Ausweitung», was sich besonders an der Urne offenbart:
«Bei 14 der 22 Abstimmungen der aktuellen Legislatur hat sich eine Stadt-Land-Differenz geöffnet, die weit über dem langjährigen Schnitt liegt.»
Dabei gewann das Land zwar viel öfter als die Stadt, doch das scheint ein schwacher Trost zu sein. Danach befragt, wie sie die Städter beschreiben würden, sagten die meisten Leute auf dem Land, sie hielten die Städter für:
  • oberflächlich
  • konsumfreudig
  • egoistisch
  • arrogant
Die Liste der Beschwerden ist lang. Man beklagt sich darüber, dass die grossen Unternehmen kein Verständnis mehr für die Anliegen des Landes hätten, man fühlt sich unberücksichtigt in den nationalen Medien, man stellt ernüchtert fest, dass die grossen Städte die «gesellschaftlichen Trends» vorgeben, ja selbst mit der Bundespolitik wird gehadert, auch hier wird Ignoranz moniert.
Immerhin gaben die Leute auf dem Land zu, dass die grossen Städte auch den grössten Beitrag zum Wohlstand der Schweiz leisteten.
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Die Entfremdung äussert sich auch in den parteipolitischen Präferenzen. Wenn die SVP diesen Sommer eine regelrechte Philippika gegen die «rot-grünen Städte» richtete, dann schätzte sie das Potential einer solchen Polarisierungspolitik realistisch ein. Auf dem Land herrscht die SVP vor, in den Städten verschanzt sich das rot-grüne Bürgertum hinter virtuellen Mauern – errichtet aus Tempo 30, Spurverengungen, Traminseln und besonders aufmerksamen Blitzern.
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Weil aber die 3000 Befragten auch Schweizer sind – ob auf dem Land oder in der Stadt – meiden sie jede zugespitzte, apokalyptische Beschreibung. Wenn der Weltuntergang schon stattfindet, dann aber nicht in der Schweiz. Zwar halten fast zwei Drittel den Gegensatz für existent, aber nur ein Viertel sieht darin eine «Belastungsprobe».
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  • Die Deutschen sagen: «Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos»
  • Die Österreicher: «Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst»
  • Die Schweizer denken zwei Stunden nach und sagen:
«Die Lage ist weder ernst noch hoffnungslos, sondern von Kanton zu Kanton verschieden.»
Tatsächlich ist der Stadt-Land-Gegensatz so alt wie die Eidgenossenschaft selbst: Als im 14. Jahrhundert zuerst Luzern, dann Zürich und wenig später Bern dem Bund der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden beitraten, entstand eine prekäre Allianz zwischen bäuerlich geprägten, dickköpfigen Länderorten und freien, meist arroganten Reichsstädten.
Immer gab es Spannungen, manchmal Kriege, immer Versöhnungen, nie brach das Land auseinander. Ein Wunder in Europa. Das niemand begriff.
Insbesondere der Beitritt Zürichs im Jahr 1351 war der Anfang einer Hassliebe, die bis heute andauert: Schon immer war Zürich allen zu vorlaut, ging jedermann auf die Nerven – schon immer wussten alle: Ohne Zürich geht die Eidgenossenschaft unter. Nicht von ungefähr wurde es zum «Vorort» bestimmt – dem man aber keinerlei Vorrechte gab.
Trotzdem gibt es Anlass zur Sorge. Was sich in den vergangenen zwanzig Jahren eindeutig verschärft hat, ist eine Art sozialer Segregation. Man lebt zusehends unter Seinesgleichen.
  • Manager unter Managern an der Goldküste, Wollerau und Zug
  • Journalisten unter Journalisten im Kreis 7
  • Lageristen bei Lageristen in der Agglomeration
  • Arbeiter, Hausfrauen und Bauern irgendwo auf dem Land
Nirgendwo ist diese Konzentration ausgeprägter als in Zürich, Genf, Bern, Genf und Lausanne. Akademiker häufen sich – während sie sich auf dem Land immer seltener ansiedeln. Der Stadt-Land-Graben ist eigentlich ein sozialer Gegensatz.
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Wenn sich diese Gentrifizierung aller ehemaligen Arbeiterquartiere fortsetzt, dürften in den Kernstädten bald nur mehr sehr gut ausgebildete Leute leben, oft in staatlicher Anstellung mit krisensicherem Salär, meistens politisch links, immer Virtuosen der kulturellen Distinktion:
  • Man isst vegan
  • man gendert
  • man fährt Velo
Man mag das politisch begründen, doch geht es eher darum, sich von Leuten abzuheben, die nicht zu einem passen, angeblich weil sie zu konservativ, zu sexistisch, zu xenophob oder Autofahrer sind. In Tat und Wahrheit: Weil sie einer anderen sozialen Klasse angehören.
Es handelt sich um den guten, alten Klassenkampf von oben – jetzt aber umwelt-, klima- und geschlechterpolitisch getarnt.
Die Eidgenossenschaft ist einst auch als eine Organisation zur kollektiven Vertreibung des heimischen Adels entstanden. Jeder Ritter, jeder Hochwohlgeborene, jeder Perückenträger wurde zuerst scheel angesehen, dann verspottet, schliesslich vom hohen Ross geholt.
Das wird dem rot-grünen Adel ebenso widerfahren – selbst wenn er auf dem Velo sitzt.
Ich wünsche Ihnen einen proletarischen Tag. Markus Somm

Link zur Sotomo-Studie

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