Somms Memo #12 - Corona: Die richtigen Prioritäten
Guten Tag
Warum das wichtig ist: Die fünfte Welle scheint gebrochen. Verhaltener Optimismus ist angebracht. Die Behörden müssen nun die richtigen Prioritäten setzen.
Der Bundesrat hat seine Sitzung, die er heute ausserplanmässig abhalten wollte, auf den ordentlichen Freitagtermin verschoben. Das ist eine gute Nachricht. Offensichtlich hat auch die Landesregierung die neuesten Corona-Zahlen in Rechnung gestellt. Was am vergangenen Freitag noch dringlich schien: eine weitere Verschärfung der Anti-Corona-Massnahmen eilt nun nicht mehr so.
Das bedeutet keinesfalls, dass wir über den Berg sind. Ebenso wenig können wir uns sicher sein, dass die Omikron-Variante, die erst in der Schweiz angekommen ist, nicht alles von neuem über den Haufen wirft. In England ist bereits der erste Omikron-Todesfall registriert worden.
Doch drei Beobachtungen stimmen mich zuversichtlich:
- Die Fallzahlen bewegen sich zwar auf Rekordniveau, doch sie sind in den vergangenen Tagen im Wochendurchschnitt nicht mehr gestiegen.
- Die Spitaleinweisungen nahmen zwar zu, aber anders als vor einem Jahr verläuft ihre Kurve viel weniger steil. Ansteckungen und Hospitalisierungen haben sich offenbar entkoppelt. Die Impfung wirkt – trotz manchen Durchbrüchen.
- Noch ist offen, ob Omikron gefährlicher ist als Delta. Zweifellos ist diese Mutation ansteckender. Erfahrungsgemäss verbreitet sich ein Virus, das mutiert, leichter, es wirkt aber weniger tödlich – nicht immer, aber in den meisten Fällen. Wenn Omikron Delta verdrängt, könnte dies das Ende der Pandemie einleiten.
Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat mehrere Massnahmen vorgeschlagen, um der fünften Corona-Welle Herr zu werden. Gewiss war das alles gut gemeint – doch es fragt sich, wie wirkungsvoll diese sind.
2 G mag den Anstieg der Infektionen verlangsamen und auch den einen oder anderen Impfunwilligen zur Impfung veranlassen, aber angesichts der bisherigen Erfahrungen, dürfte dieser Effekt gering ausfallen. Die Impffrage ist dermassen vergiftet, dass niemand mehr einen Wank macht.
Lohnt es sich, wegen ein paar wenigen Infektionen, die man damit vielleicht verhindert, einen Drittel der Bevölkerung – die Ungeimpften – erneut vor den Kopf zu stossen? Ich habe meine Zweifel.
Hinzu kommt: Ich bin selbst doppelt geimpft, strebe eine dritte an, und empfehle es allen. Dennoch halte ich es für falsch, wenn man den Bürgern einredet, allein das Impfen würde alle unsere Probleme aus der Welt schaffen. Das Virus ist unberechenbar.
Eine hohe Impfquote kann dem Anstieg der Infektionen entgegenwirken:
- Portugal, das eine der höchsten Quoten Europas erreicht hat, legt diese Vermutung nahe. Hier haben die Infektionen während der fünften Welle weniger zugenommen.
- In anderen Ländern lässt sich das allerdings nicht beobachten: In Holland, Irland und Dänemark sind viel mehr Menschen doppelt geimpft als in der Schweiz. Dennoch liegen deren Fallzahlen etwa auf schweizerischem Niveau. In Dänemark sind sie gar höher.
Die Fakten rechtfertigen es nicht, die Ungeimpften anzuprangern und sie allein für den erneuten Ausbruch der Pandemie verantwortlich zu machen. Das ist billig, das ist kontraproduktiv. Warum sich jemand nicht impft, kann ich nicht nachvollziehen, aber es ist zu respektieren.
Corona ist nicht Ebola. Die Mortalität ist weitaus geringer. Und die Risikogruppen – alle, die älter als 60 Jahre sind – können sich mit einer Impfung gut schützen.
Die Debatte ums Impfen, die unsere Gesellschaft wie nichts anderes zerreisst, führt zu nichts. Sie vernebelt und verwirrt, verärgert und spaltet. Sie verleitet Politiker und Beamten dazu, alle Energie in Massnahmen zu lenken, die wenig bewirken, während vernachlässigt wird, was tatsächlich einen Unterschied machen würde.
Wenn wir die fünfte Welle besser überstehen wollen, dann sind zwei Dinge vorrangig:
- Die Zahl der Intensivbetten muss dringend erhöht werden. Vor einem Jahr wiesen unsere Spitäler deutlich höhere Kapazitäten auf. Sinnloserweise hat man Betten abgebaut. Angeblicher Personalmangel ist ein Vorwand, um von den eigenen Versäumnissen nicht reden zu müssen.
- Boostern, Boostern, Boostern. Gegen 90 Prozent unserer älteren, eindeutig gefährdeten Bürger sind doppelt geimpft. Nun sollten sie so rasch als möglich zum dritten Mal geimpft werden. Dass dies nicht schneller geht, ist schwer begreiflich. Auch hier bringen es Politiker und Beamten fertig, von einer grandiosen Schlamperei abzulenken.
Ich weiss: Nichts ist inzwischen kontroverser als Corona. Die einen Leser auch dieses Memos würden mich jetzt am liebsten in der Luft zerreissen, andere würden mir dafür jederzeit einen Champagner spendieren. Um sie alle zu trösten, hilft vielleicht Churchill.
Mit Blick auf die politische Debatte, die auch seinerzeit vor Gift und Galle strotzte, sagte der grosse britische Staatsmann:
Wenn zwei Menschen der gleichen Meinung sind, dann ist einer davon überflüssig.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche.
Markus Somm