Somms Memo: Die Schweiz, reich und egalitär seit eh und je. Warum?
Brienzersee in Iseltwald im Kanton Bern.
Die Fakten: Die reiche Schweiz ist auch eine egalitäre Schweiz. Es gibt kaum ein Land, wo die soziale Ungleichheit so gering ist – bevor der Staat umverteilt.
Warum das wichtig ist: Sozialpolitisch gesehen ist die Schweiz ein Wunder. Nicht der Staat sorgt in erster Linie für gleichere Verhältnisse, sondern die private Wirtschaft und unsere Berufsbildung.
John Kerry, der frühere US-Aussenminister und heutige Sondergesandte für Klima, soll einmal gesagt haben, das amerikanische Haushaltsdefizit liesse sich leicht aus der Welt schaffen: «Wir müssen nur ein reiches Land finden wie zum Beispiel die Schweiz – und es heiraten.»
Kerry muss es wissen.
- Er selbst heiratete zwei Mal sehr vermögende Frauen (zuletzt Teresa Heinz von der gleichnamigen Ketchup-Firma)
- Er kennt die Schweiz. In den 1950er Jahren ging er ins Institut Montana auf dem Zugerberg zur Schule
Und das Klischee, das er damit bediente, stimmt ja auch. Die steinige, enge Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt.
Dass es auch eines der egalitärsten ist, diese Tatsache dürfte dagegen selbst John Kerry überraschen.
Das ist nur eine Erkenntnis, die man der neuen Swiss Inequality Database entnehmen kann, die das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern eingerichtet hat. Ich habe sie am Dienstag im Memo vorgestellt. Sie ist heute Online gegangen.
- Wer wissen will, wieviel des gesamten Einkommens der Schweiz den Reichen gehört, findet die Antwort hier – und zwar von Kanton zu Kanton
- Ebenso zeigt die Datenbank die historische Entwicklung: Wieviel soziale Ungleichheit gab es 1948, wieviel 1972? Wie war es in Basel-Stadt, wie ausgeprägt im Tessin?
- Schliesslich lässt sich auch die Wirkung der staatlichen Steuerpolitik studieren, die sich je nach Kanton stark unterscheidet. Wieviel Prozent der Einkommen wurden 1944 umverteilt, wieviel 2018?
Es lohnt sich, diese Datenbank zu besuchen. Man kann Stunden damit verbringen, die Schweiz in ihrem Kern zu ergründen – denn dieser Kern besteht wie überall am Ende aus Geld. Viel Geld.
Je nach Ranking gilt die Schweiz als das reichste oder zweitreichste Land der Welt. Und erstaunlicherweise ist das seit Jahrhunderten der Fall, was den meisten Zeitgenossen nicht so vertraut sein dürfte.
Es hält sich hartnäckig das Gerücht, die Schweiz sei früher ein Armenhaus gewesen. Das stimmt zwar. Aber das war im 15. Jahrhundert. Seither ging es uns Jahr für Jahr besser. Schon 1830 zählte die Schweiz zu den am meisten industrialisierten Länder der Welt.
Dass gleichzeitig die soziale Ungleichheit seit Jahrhunderten eher moderat blieb, ist ebenso unbekannt.
John Bowring, ein englischer Parlamentarier, war in den 1830er Jahren in die Schweiz geschickt worden, um herauszufinden, warum die Schweizer damals zu einem derart potenten industriellen Konkurrenten der Engländer geworden waren. Dabei fiel ihm auch auf, wie gut es den meisten ging, selbst den einfachen Leuten:
«Ich kenne kein Land, wo sich der Wohlstand so gleichmässig verbreitet hat wie in den Industriegebieten der Schweiz – selbst bis in die arbeitenden Klassen hinunter. Ich war verblüfft, dass so viele von ihnen eigenes Land besassen, das sie mit ihren Ersparnissen erworben hatten; wie viele in eigenen Häusern mit eigenem Garten lebten, (…) wo sie sich Annehmlichkeiten erfreuten, wie man sie selten in anderen Ländern sieht.»
Bowring schrieb das 1836. Was er damals feststellte, hat sich kaum geändert.
Noch heute gibt es kaum ein Land, wo die soziale Ungleichheit so gering ausfällt. Zwar stehen die Skandinavier im Ruf, besonders egalitäre Gesellschaften aufgebaut zu haben. Das trifft zu. Und man sieht darin eine Errungenschaft der Sozialdemokraten, die in Schweden, Norwegen oder Dänemark immer wieder für lange Zeit an die Macht gelangt waren.
Ironisch ist: Ausgerechnet die liberale, konservative, sicher erzkapitalistische Schweiz ist genauso egalitär – und das, bevor der Staat mit seiner Steuerpolitik und diversen Transferzahlungen eingreift.
- In der OECD ist nur in Südkorea die soziale Ungleichheit vor Steuern noch weniger ausgeprägt als in der Schweiz. Unser Land weist einen sehr tiefen Gini-Koeffizienten auf – vor Steuern notabene. (Der Gini-Koeffizient misst Ungleichheit, 1 bedeutet maximale Ungleichheit, 0 maximale Gleichheit)
- Mit anderen Worten: der Markt, die private Wirtschaft und ein gutes Bildungssystem sorgen in der Schweiz dafür, dass es arm und reich besser geht als in den meisten anderen Ländern
- Auf die Umverteilung via Steuern, AHV und sonstiger staatlicher Interventionen könnten wir eigentlich verzichten. Wir machen die Schweiz damit kaum gleicher. Sie ist schon sehr gleich
Natürlich ist das ein Wunder. Ein liberales Wunder.
Wie bringt die Schweiz fertig, wozu in anderen Ländern sich nur Politiker imstande sehen – wie sie sich das gerne einbilden?
Christoph Schaltegger, Ökonomieprofessor an der Universität Luzern und Chef des neuen Institutes für Schweizer Wirtschaftspolitik, nennt im Wesentlichen zwei Ursachen:
- Der überaus flexible, liberale Arbeitsmarkt bewirkt eine meistens tiefe Arbeitslosigkeit. In der Schweiz findet man leicht Arbeit – und kann mit dem eigenen Lohn sein Leben finanzieren
- Die Berufsbildung. Noch weist die Schweiz vergleichsweise wenige Akademiker auf, mehr Leute absolvieren eine Lehre. Das ist gut so. Auch das stärkt deren Arbeitsmarktfähigkeit
Denn in der Lehre erwerben die jungen Menschen Fertigkeiten, die auf dem Markt auch wirklich gefragt sind – im Gegensatz zu manchen schwer vermittelbaren Kompetenzen, die man an der Uni erlernen kann – die nur Theoretiker und Weltfremde erfreuen wie etwa Gender Studies, Ethnologie oder Geschichte. (Ich habe selbst Geschichte studiert.)
Wenn wir diesen Befund ernst nehmen, dann müssten wir die Aufgaben des Staates grundsätzlich überdenken. Gewisse Dinge erledigt er ja bestens – Armee, Polizei, Justiz, Infrastruktur, auch Bildung (zum Teil) –, aber in der Umverteilung erweist sich der Staat als viel weniger nützlich und erforderlich, als sich das Politiker und Beamten gerne ausmalen.
Ronald Reagan, 40. Präsident der Vereinigten Staaten.
Wahrscheinlich gilt immer noch, was Ronald Reagan, der einstige US-Präsident, auf so unsterbliche Art und Weise gesagt hat:
«Die furchterregendsten Worte in der englischen Sprache sind: Ich bin von der Regierung und ich bin hier, um Ihnen zu helfen».
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag
Markus Somm