Somms Memo #1: Triumph des Bundesrates – nicht von Alain Berset
Warum das wichtig ist: Das ist ein Triumph des Bundesrates – nicht von Alain Berset (SP). Seine Corona-Politik ist liberaler, als sie wäre, wenn es nur nach ihm ginge.
62 Prozent sind bei einer rekordhohen Stimmbeteiligung ein grandioses Ergebnis – bei einem Thema, das die Menschen derart gegeneinander aufbringt wie Corona. Bloss zwei Kantone lehnten ab, Schwyz und Appenzell Innerrhoden – und auch diese eher knapp. Ebenso wurden keine Gräben aufgerissen – weder ein Stadt-Land-Gegensatz ist zu erkennen noch ein besonders auffälliger Unterschied zwischen Ost- und Innerschweiz auf der einen Seite und der Westschweiz auf der anderen: Das Land erscheint geeint – zu zwei Dritteln. Jeder gute Demokrat weiss, was das heisst.
Es ist ein überwältigendes Vertrauensvotum für die offizielle Regierungspolitik. Die Verlierer – ob Massnahmengegner, SVP oder Freunde der Verfassung – müssen über die Bücher. Warum haben sie versagt? Drei Gründe.
- Zwängerei. Es zeigt sich von neuem, dass es der Souverän nicht schätzt, wenn er sich innert kürzester Zeit zwei Mal zum gleichen Thema äussern muss. Das (leicht unterschiedliche) Covid-Gesetz war im Juni bereits mit 60 Prozent abgesegnet worden. Wer verloren hat, so das Naturgesetz der direkten Demokratie, soll das akzeptieren – ansonsten wird er abgestraft.
- Je sektiererischer, desto schwerer hat man es, eine Mehrheit zu gewinnen. Die Corona-Politik des Alain Berset bietet manche Angriffsfläche. Ich bin der letzte, der nun alles guthiesse. Doch ist es den Kritikern nicht gelungen, dass man sie ernst nimmt. Wer hinter jeder Impfwoche eine DDR-Veranstaltung sieht, wer sich im Faschismus wähnt, wenn er ein Zertifikat vorweisen muss, überzieht dermassen, dass man ihn nur noch auslacht. Den Schweizer stösst alles ab, was nach «extrem» riecht.
- Die SVP, die stärkste Partei der Schweiz, ist schwach in der Corona-Politik – weil sie sich viel weniger einig ist, als das sonst der Fall war. Die Elite der Partei zählt nicht zu den Impfgegnern – doch aus Angst, den rechten Rand zu verlieren, trug man das Referendum mit, und wirkte dennoch oft unentschlossen. Als würde man sich schämen, blieb man kleinlaut, wenn die dümmste Verschwörungstheorie vorgetragen wurde. Als hätte man Angst, neue Freunde zu verärgern, hielt man sich zurück, wenn diese Freunde das Mobiliar zertrümmerten.
Alain Berset, King of Switzerland? Unsinn. Das ist nicht sein Sieg, sondern ein Sieg unseres politischen Systems. Wer Berset kennt, weiss um dessen autoritäre Neigungen. Er ordnet gerne an, er glaubt an den mächtigen Staat. Wäre er allein Premierminister, die Corona-Politik sähe kaum anders aus als in unseren Nachbarländern. Weil er aber Mitglied einer Kollegialregierung ist – ein König unter sieben Königen – muss er Rücksicht nehmen, wird er zurückgepfiffen (wenn auch zu selten), spürt er Widerstand in den eigenen Reihen. Jeder Bundesrat ist gleichberechtigt. Keiner kann sich durchsetzen. Vier Parteien sind vertreten. Deshalb fällt die schweizerische Coronapolitik im Vergleich zu fast allen anderen Ländern liberaler aus, kleinlichste Massnahmen kommen nicht vor, den bellenden Befehlston überforderter Behörden müssen wir uns nicht anhören. Ein erneuter Lockdown scheint auch jetzt noch unwahrscheinlich.
Glück der ordentlichen Anarchie: In einer Pandemie ist es von Vorteil, wenn man sich ausserstande sieht, eine Strategie zu formulieren, wie das ausländische Regierungen so gerne tun. Denn die Pandemie ist unberechenbar, Irrtum an der Tagesordnung. Wenn ein Premierminister jedoch auf dem Holzweg ist, kann er diesen kaum verlassen, ohne das Gesicht zu verlieren. Eine Kollegialregierung wie die unsere erlaubt es allen Bundesräten sich im Kollektiv zu irren. Niemand muss sich schämen, wenn er einmal falsch gelegen ist. Selbst Berset nicht.
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