Somms memo
GPK entlastet Alain Berset. Zu Recht? Ja
Alain Berset (SP), Bundesrat und Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern.
Die Fakten: Die GPK beider Räte kommen zum Schluss, dass Bundesrat Alain Berset nichts vorzuwerfen sei, was die Bewältigung seiner privaten Liebesaffäre betrifft.
Warum das wichtig ist: Wenn nichts Neues mehr auftaucht, dann ist die Affäre Berset/Musikerin für den Sozialdemokraten erledigt. Politisch ist er rehabilitiert.
Hass und Liebe sind enge Verwandte:
Eine Zürcher Musikerin, mit der Alain Berset (SP) vor Jahren eine aussereheliche Liebesbeziehung unterhalten hatte, versuchte im November 2019 den Bundesrat zu erpressen. Sie forderte 100 000 Franken, ansonsten würde sie ihre Affäre bekannt machen.
Berset reichte Strafanzeige ein, und die Bundesanwaltschaft wurde tätig. Ebenso kümmerten sich die wichtigsten Mitarbeiter von Berset um die Abwehr des Angriffs. Schliesslich wurde die Frau per Strafbefehl wegen versuchter Erpressung rechtskräftig verurteilt.
- Ist Berset, der mächtige, prominente Mann, dabei bevorzugt behandelt worden? Und die Täterin, eine unbekannte junge Frau, überzogen robust?
- Hat der Bundesrat vom Steuerzahler bezahlte Beamten missbraucht, um private Dinge zu regeln?
Im Wesentlichen waren das die Vorwürfe, die die Weltwoche und die NZZ am Sonntag dem Sozialdemokraten machten, als sie geraume Zeit nach dem Erpressungsfall darüber berichteten. Die Weltwoche hatte die Geschichte als erste bekannt gemacht.
Angesichts der Tatsache, dass Christoph Mörgeli, ein ehemaliger SVP-Nationalrat, der Autor des Artikels war, wurde in linken Kreisen rasch der Verdacht gestreut, es handelte sich um eine Abrechnung, um damit den linken Bundesrat aus dem Amt zu entfernen. Lag es nicht auf der Hand? Berset war seinerzeit einer der Drahtzieher der Abwahl von Christoph Blocher gewesen, Mörgeli ist ein enger Vertrauter des ehemaligen Bundesrates der SVP.
- War es also bloss ein Racheakt einer Partei, die von Alain Berset gedemütigt worden war?
Selbstverständlich beeinflusste dieser Verdacht auch die Berichterstattung der übrigen Medien. Ohne jeden Enthusiasmus, als wäre es eine Strafe, nahmen sie die Geschichte der Weltwoche auf, – nur die NZZ am Sonntag bildete eine Ausnahme, indem sie eigene Recherchen beitrug, die Berset in einem ebenso schummrigen Licht erschienen liessen.
Wenn die meisten Journalisten diese Nachricht so widerwillig, ja fast angewidert aufgriffen, dann hatte das natürlich auch mit der Parteicouleur des untreuen Ehemanns Berset zu tun:
- Wäre es ein bürgerlicher Bundesrat gewesen, der seine Frau so betrogen hatte – notabene mit einer jungen, alleinerziehenden Mutter, die sehr viel jünger, also objektiv schwächer war als Berset: Wie hätten dann unsere Medien reagiert?
- Die Affäre wäre wochenlang in den Schlagzeilen geblieben, jeder Starreporter hätte recherchiert, jeder Chefredaktor seine Leute auf Zack gebracht: Bringt mir diesen Skalp!
- Eine Arena hätte stattgefunden, dann eine zweite «Frauen-Arena», und der Club des Schweizer Fernsehens hätte sich darüber gebeugt, wo Psychologinnen, Männerforscher und betrogene Ehefrauen mit Sorgenfalten von der toxischen Männlichkeit gesprochen hätten, die eben nicht zufällig auch eine bürgerliche sei
Die Geschäftsprüfungskommissionen der beiden Räte (GPK) haben inzwischen die Affäre untersucht. Sie haben die meisten Beteiligten befragt, Akten studiert, Emails gelesen, Protokolle verdaut. Gestern legten sie ihren – für Berner Verhältnisse – eher kurzen Bericht vor (14 Seiten):
- Berset wird in allen Punkten entlastet
- Nie wurde er im Verfahren anders behandelt als Sie und ich
- Dabei fassten Bundesanwaltschaft und Polizei die Erpresserin weder unfair noch übertrieben hart an
- Und die meisten Mitarbeiter, die Berset beigezogen hatte, mussten sich nicht über Massen um die Affäre kümmern. Sein Generalsekretär Lukas Bruhin sprach von 3,75 Stunden in drei Wochen, die er dafür eingesetzt habe
Um zu zeigen, worum es im Detail ging, zwei konkrete Geschichten, die die GPK zu überprüfen hatte
- Einmal verbrachte Berset mit seiner Geliebten ein Wochenende in Freiburg im Breisgau. Dafür benutzte er ein Repräsentationsauto des Bundes, eine Chauffeuse fuhr ihn hin- und zurück. Laut GPK war das kein Problem, sondern das Spesenreglement lasse das zu. Ebenso habe er für die Übernachtung selbst bezahlt, wie die GPK herausfanden, eine Tatsache, die vorher in den Medien in Zweifel gezogen worden war
- Um die junge Frau, eine Erpresserin, nach Bern zum Verhör zu bringen, war sie an ihrem Wohnort von der Bundeskriminalpolizei angehalten worden. In den Medien hatte man kritisiert, dass dafür die Interventionsgruppe Tigris der BKP aufgeboten worden war. Schwer bewaffnet, in Spezialausrüstung, sei die Frau geradezu überfallen worden. Die GPK halten dazu fest: Zwar war Tigris vor Ort, aber bloss im Hintergrund, offenbar ohne dass die junge Frau sie hätte sehen können. Stattdessen traten drei Polizisten in Zivil auf. Dabei hätte sich die Frau, so die GPK, stets «kooperativ» verhalten, es kam also nicht zu Geschrei, Tränen oder Gewaltanwendung, wie man hätte befürchten können
Wenn es bei diesen Informationen bleibt, dann muss ich sagen: Die GPK haben recht.
- Sozialdemokrat Berset verhielt sich wohl bestimmt nicht so, wie sich das eine linke Feministin in seiner Partei wünschen würde, – aber nie, nach Stand der Dinge, tat er etwas Illegales oder moralisch besonders Anstössiges
- Auch uns Steuerzahler tat er nicht weh: Wenn ein Bundesrat erpresst wird – ganz gleich, aus welchem Grund – dann muss der Bund ihn schützen, dann haben seine Mitarbeiter aktiv zu werden. Das ist ein No-Brainer
Es gibt in der Schweiz eine Übereinkunft, die zutiefst liberal ist. Private Dinge sind privat.
Dieser Konsens ist so breit und so unerschütterlich, dass selbst die Journalisten sich selten trauen, auszuscheren, im Wissen, dass noch jede Recherche ins Privatleben eines Politikers am Ende das Medium in Schwierigkeiten gebracht hatte, – und nicht die «Zielperson».
- Wenn das Publikum auch mit Interesse daran schnüffelt, es schätzt diese Nachrichten aus dem Schlafzimmer nicht wirklich
- Gebrauch oder Missbrauch von Unterhosen und Büstenhalter sind kein Thema des öffentlichen Diskurses
Wenn es auch ironischerweise die Linke ist, die dauernd behauptet, das Private sei politisch, dann bleiben wir doch besser dabei: Es gibt ein Leben jenseits der Politik. Berset, der linke Bundesrat, wird daran nichts auszusetzen haben.
Anaïs Nin (1903-1977), Schriftstellerin und Spezialistin für aussereheliche Beziehungen.
Hass und Liebe und Verrat. Anaïs Nin, die französisch-amerikanische Schriftstellerin, hat dazu alles Gültige gesagt:
«Jemand erzählte mir einmal die entzückende Geschichte des Kreuzritters, der seiner Frau einen Keuschheitsgürtel anzog, bevor er ins Morgenland abreiste, und seinem besten Freund im Falle seines Todes den Schlüssel zur Aufbewahrung gab. Er war erst ein paar Kilometer geritten, als sein Freund, der ihm nachgeprescht war, ihn einholte und sagte: ‹Du hast mir den falschen Schlüssel gegeben! ›»
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag
Markus Somm