Somms Memo #24 - Hilfe, die Zeitungen sterben

image 13. Januar 2022 um 11:00
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Warum das wichtig ist: Manche befürchten, dass dies die Demokratie untergräbt. Vielleicht ist es aber umgekehrt. Desinteresse an der Demokratie macht den Medien zu schaffen.
Die Zahlen sind bitter. War die Schweiz einst eines jener Länder der Welt, wo fast jede mittelgrosse Gemeinde zwei, drei Zeitungen aufwies, und diese sich zu allem Überfluss noch bekämpften, als ob es um das Überleben der Menschheit ginge, so hat sich auch in unserem Land die Zahl der Zeitungen (oder Medien) ständig verringert. Zwar täuscht die neueste Statistik etwas darüber hinweg, weil die Erhebungsmethode sich geändert hat.
Doch der Trend ist nicht unser Friend. Zeitungen sterben weg: sie werden eingestellt, fusioniert oder zum Kopfblatt degradiert, das heisst, es bleibt zwar eine Hülle bestehen, oft mit einem ehrwürdigen Titel angeschrieben, doch diese Hülle wird abgefüllt mit journalistischen Beiträgen von anderswo – meistens aus Zürich.
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Es hat sich eine Zentralisierung der Information und öffentlichen Meinungsbildung ereignet, wie es sie in der Schweiz noch nie gegeben hat. In Zürich haben folgende relevante Medien und der grösste Teil ihrer Redaktionen ihren Sitz (unvollständige Aufzählung):
  • Schweizer Fernsehen SRF
  • TeleZüri (beliefert zahllose Lokalsender in der ganzen Schweiz)
  • Schweizer Radio SRF (SRF 1 und 3, Musikwelle, Virus), neu: SRF 4 News und Nachrichtenredaktion der Abteilung Information (vorher in Bern)
  • Neue Zürcher Zeitung, NZZ am Sonntag
  • Zentralredaktion Tamedia (Tages-Anzeiger) bedient Basler Zeitung, Berner Zeitung, Bund und Zürcher Regionalzeitungen (Landbote, Zürichsee-Zeitung usw.)
  • SonntagsZeitung (Tamedia)
  • Zentralredaktion 20 Minuten (Tamedia), 20 Minuten Radio
  • Watson
  • Blick-Gruppe (Ringier): Blick, SonntagsBlick
  • Schweizer Illustrierte, Glückspost
  • Republik
  • Die Weltwoche
  • Radio 1, Radio 24, Radio Energy
  • Schweizer Familie
  • Annabelle
  • Die WochenZeitung WoZ

Selbst der Nebelspalter, vor kurzem noch in Horn am Bodensee daheim, ist nach Zürich umgezogen. In den Regionen und Gemeinden, selbst in den grossen Städten gibt es kaum mehr namhafte unabhängige Redaktionen.
Die Schweiz ist Zürich – Zürich ist die Schweiz?
In der Deutschschweiz gibt es streng genommen nur noch zwei Ausnahmen:
Eine weitere wichtige Zentralredaktion befindet sich in Aarau, diese betreibt den Zeitungsverbund der CH Media (Aargauer Zeitung, St. Galler Tagblatt, Luzerner Zeitung etc.). Von einer gewissen überregionalen Bedeutung ist schliesslich die Somedia, deren Sitz sich in Chur befindet (Südostschweiz, Bündner Tagblatt, Glarner Nachrichten etc.).
Die Konzentration ist das eine. Das andere sind die Auflagen der Zeitungen, die sich in den vergangenen Jahren nur in eine Richtung bewegt haben: nach unten. Zum Teil wird dieser Verfall mit neuen digitalen Abonnenten wettgemacht, aber bei weitem nicht in jenem Ausmass, wie sich das die Verleger wünschen würden.
Woran liegt der Zeitungsschwund? Diverse Ursachen kommen in Frage:
  • Die Konsumenten bevorzugen das Internet. Zeitungen (im Jargon Print genannt) sind nur mehr bei älteren Semestern beliebt
  • Zusammenbruch des Werbemarktes: Publizistik allein bringt kaum mehr Werbeeinnahmen.
  • Die Werbung verschiebt sich ins Internet, hin zu den Suchmaschinen und Social Media – nicht zu den Medien
  • Die jüngere Generation nutzt Medien anders: man schaut Videos, hört Podcasts und ignoriert den Text

All diese Faktoren dürften zutreffen. Vielleicht hat die Ausdünnung des Blätterwaldes aber auch mit einer politischen Fehlentwicklung zu tun – wobei schwer zu entscheiden ist, was Ursache und was Wirkung ist.
Der Föderalismus der Schweiz liegt genauso auf der Intensivstation. Wenn wir Gesetzgebung und Politik der vergangenen Jahre betrachten, dann stellen wir fest, dass sich Kompetenzen, Finanzen und die Macht laufend nach oben verschoben haben. Von den Gemeinden zu den Kantonen, von den Kantonen zum Bund – ja zum Teil sogar nach Brüssel.
Die schweizerische Eidgenossenschaft, ein Zusammenschluss von einst souveränen Kantonen seit 1291, also seit Beginn ihrer Geschichte, verkommt so zu einem Einheitsstaat.
Zugegeben, noch sind wir keinesfalls ein helvetisches Frankreich oder ein eidgenössisches Deutschland, doch die Machtverlagerung weist auch bei uns immer in die gleiche Richtung: nach Bern.
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Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass das Interesse der Bürger und Bürgerinnen für die lokale und kantonale Politik nachlässt. Das zeigt sich an
  • der sinkenden Stimmbeteiligung
  • der mangelnden Bereitschaft sich als Milizpolitiker zur Verfügung zu stellen
  • der volatilen Teilnahme an Gemeindeversammlungen
Und im Grunde hat der Bürger recht. Wenn es in einer Gemeinde immer weniger zu entscheiden gibt, wenn es im Kanton ständig weniger Macht zu verteilen gibt, weil alles eine Stufe höher angeordnet wird, dann sieht der Bürger kaum einen Sinn darin, sich in der Politik zu engagieren. Wer früher in den diesen Gremien sass, hatte etwas zu sagen – und erwarb sich Ansehen:
  • Gemeinderat
  • Finanz- und Steuerkommission
  • Schulpflege
  • Wahlbüro
  • Baukommission
Wenn aber die lokale Politik auf manche Bürger inzwischen so bedeutungslos, undankbar oder zwecklos wirkt, dann gibt es auch keinen guten Grund, die Lokalzeitung zu lesen. Wahlen, Abstimmungen, Papperlapp.
Wer kann es den sukzessive entmachteten Bürgern verdenken, dass sie sich kaum mehr für Macht interessieren?
Für die Medien – ob alte Zeitungen oder neue digitale Medien – ist dieser Untergang der Gemeindeautonomie und der kantonalen Souveränität tödlich. Subventionen, wie sie das neue Mediengesetz vorsieht, über das wir am 13. Februar abstimmen, helfen da nichts. Wenn es am Interesse für das lokale Geschehen mangelt, dann können selbst Zwangsabos und Zwangslesezeiten die Konsumenten nicht dazu bringen, uns zu lesen, zu hören oder zu sehen.
Wer sich um die Demokratie Sorgen macht, rettet diese nicht, indem er Medien staatlich finanziert, also die Macht von Bern weiter ausdehnt. Vielmehr lautet die Losung:
Feiert den Föderalismus. Stoppt den Bundesstaat!
Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag
Markus Somm

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