Somms Memo #64 - Wo ist unser Bundesrat? Sachdienliche Hinweise erwünscht

image 17. März 2022 um 11:00
Space Odyssey 2001.
Space Odyssey 2001.
Warum das wichtig ist: Niemand erwartet vom Bundesrat Führung – das schweizerische System hasst die Macht und quält die Mächtigen. Dennoch fällt die kollektive Formschwäche auf. Kein Bundesrat geht voran, jeder bleibt allein, (fast) alle leiden an sich selbst.
«Ground Control to Major Tom
Your circuit's dead, there's something wrong
Can you hear me, Major Tom?
Can you hear me, Major Tom?»
Als der britische Sänger David Bowie in seinem legendären Song «Space Oddity» das Verschwinden von Major Tom, einem Astronauten, so beschrieb, hatte er vermutlich nicht den schweizerischen Bundesrat im Kopf.
Und trotzdem ist uns die Situation vertraut, als sässen wir in der Bodenkontrolle. Unsere Landesregierung? Can you hear me?
Gewiss, die Bundesräte werden manchmal in der Öffentlichkeit gesichtet, auch im Parlament sollen sie vorkommen, und es wird gar von Medienkonferenzen berichtet, wo Bundesräte als reale Menschen auftreten, ansonsten aber müssen wir uns mit ungesicherten Lebenszeichen beruhigen: Selten hat die Landesregierung so abwesend gewirkt.
Die Einsamkeit der Regierten. Das ist umso bemerkenswerter, als vor unseren Augen eben eine Welt zusammengebrochen ist, und eine Epoche in Trümmern liegt. Seit der Krieg in der Ukraine wütet, scheint nichts mehr so wie zuvor. Eine Lagebeurteilung wäre dringend nötig.
In drei bedeutenden Politikbereichen haben sich die Bedingungen grundlegend verändert:
  1. Sicherheitspolitik
  2. Neutralität
  3. Energieversorgung

Doch haben wir hierzu von unserer Regierung in den letzten Tagen etwas Kluges, Mutiges, Zeitgemässes gehört?
  • Die Armeefrage wird dilatorisch behandelt, als ob es darum ginge, zuerst noch die Lehren aus dem Zweiten Villmerger Krieg aufzuarbeiten (1712)
  • Neutralität? Zu Beginn des Krieges hielt sich der Bundesrat etwas gequält, aber nicht ungeschickt zurück, dann wurde er dafür in den Medien geplagt, und bald schloss er sich den Sanktionen der EU an. Seither haben wir aus Bern nichts mehr vernommen – obwohl die Weltpresse uns mitteilt, die Schweiz habe ihre Neutralität aufgegeben. Wir bitten um ein Update.
  • In der Energieversorgung, wo der Bund selbst damit rechnet, dass uns schon 2025 im Winter der Strom ausgeht: Reden wir entweder über autofreie Sonntage oder tun so, als ob es Putin gar nicht gäbe. Russisches Gas? Es strömt, es zischt, es tötet Kinder in der Ukraine
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Zerstörte Gebäude in der Ukraine.
Als am 24. Februar Putin die Ukraine überfiel, setzte der Bundesrat schon wenige Stunden später eine Medienkonferenz an, um unter anderem die Position der Schweiz zu den Sanktionen bekannt zu geben. Was improvisiert und überstürzt wirkte, war auch improvisiert und überstürzt. Ohne Absprache hatte die Bundeskanzlei den Termin anberaumt.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Erlasse der EU in Bern noch gar nicht greifbar. Man war daran, sie sich zu beschaffen. Noch verhungerte irgendein Fax in einem Berner Bürotrakt. So dass der Bundesrat die Öffentlichkeit über Sanktionen ins Bild setzte, die er selber noch gar nicht gesehen hatte.
Chaostage in Bern.
Wenn die Kommunikationsabteilung der Bundeskanzlei die Regierung, und damit das Land führt, dann ist etwas faul in diesem Staat.
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Natürlich liegt es an den einzelnen Bundesräten. Jeder trägt schwer an seinen eigenen Sorgen – so dass für das Land, so macht es den Eindruck, wenig Zeit übrigbleibt.
Eine Bestandsaufnahme:
  • Ignazio Cassis: Ihm lacht kein Glück. Umgeben von unterdurchschnittlichen Beratern wankt er zwischen Abgrund und Hölle. Weder als Bundesrat noch als Bundespräsident ist er in Bern heimisch geworden. Es scheint, als ob ihn die Angst vor der Abwahl mehr beschäftigt als die Angst vor dem Untergang des Landes

  • Karin Keller-Sutter: Wenn es um ihre eigenen Geschäfte geht, dann arbeitet sie zielstrebig und erfolgreich voran. Sie weiss, wie sie ihre Mehrheiten erhält, sie weiss, wieviel Biegsamkeit vonnöten ist. Als Mitglied der Gesamtregierung bleibt sie aber unsichtbar, wenn nicht eigenbrötlerisch. Noch warten wir auf die Staatsfrau

  • Viola Amherd: Vor ihr steht ein gigantisches leeres Tor, und Putin, der grausame Mittelstürmer, spielt ihr jeden Tag einen Steilpass zu – doch Amherd stoppt den Ball und fängt ein Gespräch mit dem Schiedsrichter an, das zwei Stunden dauert. Eigentlich könnte sie jetzt zur besten Rüstungsministerin seit Rudolf Minger werden, doch zieht sie es vor, sich weiterhin über den Frauenanteil in ihrer Armee den Kopf zu zerbrechen

  • Alain Berset: Dass sich ausgerechnet der Corona-Minister nun auch noch mit Corona angesteckt hat, entbehrt nicht der grimmigen Ironie. Was hat er uns zur Vorsicht angehalten. Predigte der Mann Wasser und trank zu viel Wein? Doch Bersets Erkrankung tut uns auch leid. Nach zwei Jahren permanenter Krise ist der Mann am Ende. Ausgelaugt, erschöpft, traurig. Es scheint unsicher, ob er je wieder zum Bundesrat wird

  • Guy Parmelin: Der bescheidene Weinbauer hatte ein unbescheidenes Jahr als Bundespräsident. Es war ein grandioses Jahr. Er hat 2021 manchen Bürger mit staatsmännischen Fähigkeiten überrascht, die man ihm nicht zugetraut hätte. Auch ich war überrascht. Seither scheint er sich nur noch von seinem Durchbruch zu erholen. Nichts rührt sich, kein Geräusch, kein Lüftchen. Parmelin ist auf seinem Weinberg eingeschlafen

  • Simonetta Sommaruga: Sie hat sich in ihre Niederlagen verliebt. Sie kommt kaum mehr voran, und was sie anpackt, zerrinnt ihr in der Hand wie Sand. Zwar führt sie ihr Departement mit eisernem Durchgriff, doch sobald sie in die Politik wechselt, scheitert sie an der eigenen, allzu kreativen Wahrnehmung der Realität. Sommaruga, einsame Wandererin auf der Milchstrasse

  • Ueli Maurer: Obwohl der älteste, wirkt er am jüngsten – er ist der einzige Bundesrat, der seinen Standort noch regelmässig an die Bodenkontrolle funkt. Ob es um die neuesten Zumutungen der OECD geht (Minimalsteuer), der grüne Umbau unseres Finanzplatzes oder der zunehmende Cyberkrieg gegen unsere Banken: Maurer kämpft für die Schweiz, ohne sich der Illusion hinzugeben, es existiere keine Rest-Welt. Beweglich und stur, bodenständig und weltgewandt.

In zwei Jahren steht wohl eine Erneuerung unserer Regierung an. In der Zwischenzeit, so hören wir, wird mit Nachdruck an einer Wiederherstellung der Funkverbindungen gearbeitet. «This is Major Tom to Ground Control
I'm stepping through the door
And I'm floating in a most peculiar way
And the stars look very different today»
Ich wünsche Ihnen einen heiteren Tag und eine sternenklare Nacht Markus Somm

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