Leitartikel Covid-Gesetz
Selbst ein Notstand darf die Demokratie nicht auf den Kopf stellen
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga verkündete im Winter 2020 die Verschärfung der Corona-Massnahmen. (Bild: Keystone)
Anfang Mai erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO, die sich anschickt, zur Weltgesundheitsregierung zu werden, den Corona-Notstand für beendet. Trotzdem fragt der Bundesrat die Stimmberechtigten in der Schweiz: «Wollen Sie die Änderung vom 16. Dezember 2022 des Bundesgesetzes über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz) annehmen?» Er selbst empfiehlt selbstredend Zustimmung.
Wir sollen also ein Gesetz beschliessen, von dem bereits im Voraus klar ist, dass die Voraussetzungen für seine Anwendung nicht gegeben sind. Eine fürchterliche Vorstellung für jeden freiheitlich denkenden Menschen! Anstatt Montesquieus Diktum, wonach, wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, es notwendig sei, kein Gesetz zu erlassen, gilt neu: «Im Zweifelsfall für ein Gesetz!». So finden sich in den bundesrätlichen Erläuterungen denn auch viele vage Formulierungen wie «das Coronavirus bleibt unberechenbar», «es ist nicht ausgeschlossen, dass…», «höchstens dann denkbar, wenn…» oder «es kann nicht verlässlich abgeschätzt werden…». Bei so vielen Unsicherheiten ist trotzdem eines sicher: Die Verwaltung wird gestärkt.
So wichtig die Debatte um ein Bundesgesetz auch ist, es geht um wesentlich mehr als nur um die Frage, ob sich ein paar Bundesangestellte noch ein paar Monate länger damit beschäftigen sollen. Auf einen Leerlauf mehr oder weniger kommt es in Bern nicht an. Im Kern geht es um zentrale Postulate der Aufklärung und um das Wesen von Rechtsstaat und Demokratie.
Einfalt, statt Vielfalt
«Als die Covid-Pandemie 2020 die Schweiz erreichte, musste der Bundesrat schnell handeln», ist in den Erläuterungen zu lesen. Da haben wir sie, die Prämisse des Politiker-Syllogismus:
- «Es muss etwas getan werden!»
- «Das ist etwas.»
- «Also muss das getan werden!»
Ob das, was getan wird, auch das Richtige ist, wird nicht infrage gestellt. Ja, es durfte und darf noch immer nicht einmal infrage gestellt werden. Wer nicht spurt, wird ausgegrenzt. Doch diese Verengung des Diskurses auf das vermeintlich Zulässige ist Gift für unsere Demokratie. Diese lebt von unterschiedlichen Meinungen. Darum ist «die Freiheit der Andersdenkenden» unverzichtbar.
Ohne Schweden, das während der «Pandemie» einen anderen Weg einschlug, wüssten wir nicht einmal, dass ein solcher nicht nur gangbar war, sondern zu wesentlich besseren Resultaten führte. Vor allem blieb der enorme volkswirtschaftliche Schaden aus, der uns hierzulande noch lange plagen wird.
Demokratie kennt keine absolute Wahrheit
Die Lässigkeit, mit der verfassungsmässige Freiheitsrechte durch so genannte «Corona-Massnahmen» eingeschränkt oder ausser Kraft gesetzt wurden, muss jeden Demokraten mit Sorge und Bitterkeit erfüllen. Aus einem behaupteten Notstand wurden ohne die von der Verfassung vorgeschriebene gründliche Güterabwägung einschneidende Massnahmen abgeleitet, während die offensichtlich überforderte Bundesversammlung im Schnellverfahren etwas zimmerte, das als «gesetzliche Grundlage» herhalten musste.
All das setzt nicht nur voraus, dass eine absolute Wahrheit existiert, sondern, dass Regierungen ex officio darüber verfügen. Damit wäre das Ende der politischen Auseinandersetzung eingeläutet. Wenn sich Regierungen und Verwaltungen dann auch noch anmassen, den öffentlichen Diskurs in News und Fake-News aufzuteilen und dabei selbst Fake-News der Sonderklasse zu verbreiten, wie dies beispielsweise das deutsche Gesundheitsministerium getan hat, dann hat die «Res publica» ein ernsthaftes Problem.
Plötzlich ist nicht mehr klar, wer eigentlich der Chef ist. Geht die Staatsgewalt noch vom Volke aus? Sind wir für die Regierung da oder diese für uns? Nach freiheitlichem Staatsverständnis hat die Verwaltung so zu funktionieren, dass wir möglichst ungestört als freie Menschen leben können, wie wir wollen. Im idealen Staat würden wir ihr Vorhandensein nicht einmal bemerken. Doch stattdessen liessen wir einen Apparat heranwachsen, der sich immer stärker in Belange einmischt, die ihn schlicht und einfach nichts angehen.
Unsere Angestellten haben sich zu Herren über uns gemacht, und kein Minister verschwendet noch einen Gedanken daran, dass «ministrare» dienen heisst. Ging es anfangs nur um kleine Stupser (Nudging), wird heute ganz offen von Lenkung und Umerziehung gesprochen. «Corona» war eine Machtprobe. Dutzende von Amtsstellen wissen nun, wie weit sie gehen können. Und mit einem QR-Code als Legitimation lassen sich noch ganz andere Dinge regeln als nur der Zugang ins Restaurant…
Gläserne Bürger, abgekapselte Verwaltung
Während die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger dem Druck eines behaupteten öffentlichen Interesses weichen muss, kapselt sich die Verwaltung ab. Das zeigt sich nicht nur darin, dass Regierungsgebäude den Charakter von Festungen annehmen, sondern auch in der Informationspolitik, die – offenbar in Absprache mit der EU – sehr restriktive, ja bürgerfeindliche Züge angenommen hat. So wird über den Inhalt der Impfstoff-Verträge eisern geschwiegen. Das Volk soll zahlen und keine Fragen stellen! Und nur die «New York Times» hatte bisher die Kraft, deswegen eine Klage gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einzureichen. Wer dem Covid-Gesetz zustimmt, sanktioniert diese Entwicklung.
Souveränität zeigt sich am Ausnahmezustand
Gewiss, ausserordentliche Situationen erfordern ausserordentliche Massnahmen. Aber wann müssen sich eine Verfassung und die darin verbrieften Rechte und Freiheiten bewähren, wenn nicht in einer ausserordentlichen Lage? Nicht jedes Problemchen rechtfertigt die Anwendung von Notrecht, und es ist überaus stossend, dass ausgerechnet derjenige, der für sich in ausserordentlicher Lage ausserordentliche Kompetenzen beansprucht, die ausserordentliche Lage ausrufen darf. Genau für diesen Fall wurden die Gewaltentrennung und das Konzept von «Checks an Balances» erfunden.
Der ebenso umstrittene wie bedeutende deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985) brachte es in seinem berühmten Satz auf den Punkt: «Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.» Am Ende zählt nur, wer die Autorität und die Macht hat, ihn auszurufen und so das bisherige Regime durch ein neues zu ersetzen. Bei «Corona» liessen wir zu, dass irgendein Chefbeamter diesen Entscheid fällte. In einem Land, in dem das Stimmvolk traditionellerweise als «Souverän» bezeichnet wird, kommt dies einem Staatsstreich gleich.
Und damit ist bereits das Fundament für die nächsten Schritte zur weiteren Usurpation der Macht gesetzt: Sobald das nächste Mal in einem fernen Land irgendeine Krankheit auftaucht, werden sich jene Politiker als die umsichtigsten und verantwortungsvollsten feiern lassen, die als erste den Laden dicht machen. Nicht ohne Grund betont der Bundesrat im Abstimmungsbüchlein, dass er schon zwei Abstimmungen gewonnen hat. Diese Entwicklung gilt es rechtzeitig, also jetzt, zu korrigieren, denn Macht korrumpiert, und totale Macht korrumpiert total. Wer dem Covid-Gesetz zustimmt, schwächt Volk und Legislative und stärkt die Exekutive.
Auch am Vorabend des Zweiten Weltkrieg räumte das Schweizer Parlament der Regierung Notstandsrechte ein. Der Bundesrat durfte fortan eigenständig entscheiden, ohne Zügelung durch das Parlament – dies sollte ihn im Krieg handlungsfähiger machen. Doch rasch fand der Bundesrat Freude am autoritären Regieren. Allerdings profitierte auch das Parlament von der Dringlichkeitsklausel. Dafür wurde das Volk als dritte Kraft in der Demokratie weitgehend ausgebremst. Es wurde der Möglichkeit beraubt, Gesetze mit dem demokratischen Korrektiv des Referendums abzulehnen.
Erst 1949 – also mehr als vier Jahre nach Kriegsende! – konnte das Stimmvolk den hohen Herren zu Bern seine Souveränität wieder abringen. Es brauchte dafür die von Waadtländer Freisinnigen und Liberalen lancierte Volksinitiative «Rückkehr zur direkten Demokratie», die mit einer knappen Mehrheit von 50,7 Prozent Ja angenommen wurde. Alle Regierungsparteien – auch SP und SVP! – empfahlen Ablehnung. Die Stimmbeteiligung betrug 42.52 Prozent. Die Mehrheit der Stimmberechtigten stand dem Volksbegehren also gleichgültig bis ablehnend gegenüber. Schon damals empfanden offenbar viele staatliche Gängelung als kommod und Eigenverantwortung als Belastung. Wer das auch so sieht, wird dem Covid-Gesetz zustimmen.
Enorme finanzielle Belastung
Dass die früheren Versionen des Covid-Gesetzes die Zustimmung des Stimmvolks fand, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der Staat nicht nur als Schirmherr, sondern vielmehr als Wohltäter auftrat. Er kam mit dem grossen Portemonnaie und war überaus grosszügig. Mit den entsprechenden Mehrheiten gibt es nie wieder irgendwo Finanzierungsprobleme. Verdrängt wird allerdings, dass ein Staat, der alles gibt, auch alles nehmen kann.
So ging die tektonische Verschiebung der Macht von der Legislativen zur Exekutiven ging mit einem schwindelerregenden Anstieg der Staatsausgaben einher. Wer will schon an Geld denken, wenn der Tod an die Tür klopft? Allerdings wollte auch niemand gegenüber den Wählern Verantwortung übernehmen. Was lag also näher als dem Bundesrat die Kompetenz zu geben, das zu tun, was er für richtig hielt?
Dass Probleme mit Geld, mit Steuergeld zugeschüttet werden, ist wahrlich kein neues Phänomen. Doch nun scheint ein Damm gebrochen zu sein. Seit «Corona» spielt Geld keine Rolle mehr. Geld lässt sich bei der Nationalbank bestellen. Bereits im April 2020 veranschlagte Finanzminister Ueli Maurer die Kosten der Hilfsprogramme auf 70 bis 80 Milliarden Franken, was praktisch einem zweiten Bundeshaushalt entspricht. Beschlossen innert weniger Stunden. Mit atemberaubender Lässigkeit! Damit häufte der Bund einen grossen Teil der rund 33 Milliarden Franken, um die er seine Schulden über 15 Jahre hinweg – «nach dem Willen des Volkes»! – abzubauen vermochte, wieder an. Seit Ende des 2. Weltkriegs gab es kein Jahr, das einen so starken Schuldenanstieg verzeichnete wie 2020.
Ein Nein zum Covid Gesetz ist darum auch eine Absage an eine Politik des finanziellen Laisser-faires.