Somms Memo

Schweiz Tourismus wirbt mit Roger Federer und Trevor Noah. Ein Meisterwerk. Warum eigentlich?

image 31. März 2023 um 10:09
Roger Federer und Trevor Noah, Schweizer und Südafrikaner zugleich, Touristen im eigenen Land. (Bild: Schweiz Tourismus)
Roger Federer und Trevor Noah, Schweizer und Südafrikaner zugleich, Touristen im eigenen Land. (Bild: Schweiz Tourismus)
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Die Fakten: Schweiz Tourismus wirbt mit Roger Federer, Tennisstar, und Trevor Noah, Comedy-Star. Vorherige Werbespots erreichten 159 Millionen Views.

Warum das wichtig ist: Seit wann soll Federer etwas von Ferienplanung verstehen? Dass wir das glauben, hat mit der Evolutionsgeschichte des Menschen zu tun.


Der kurze Werbefilm im Auftrag von Schweiz Tourismus, der nun überall viral geht, ist schnell erzählt:
  • Federer und Noah tauchen im Zürcher Hauptbahnhof auf, um einen Spot zu drehen – setzen sich aber in den falschen Zug, der sogleich abfährt. Aufregung allerorten: Besonders, weil die beiden kein Billett haben. In der Schweiz so heikel wie ein Banküberfall
  • Der Zug fährt nach Interlaken – auf verschlungenen Wegen, man hat den Eindruck die ganze Schweiz ziehe an ihnen vorbei. In aller Pracht: Seen, Schneeberge, Rütliwiesen: Noah, einer der erfolgreichsten Comedians unserer Epoche, ist begeistert. Selber der Sohn einer schwarzen Südafrikanerin und eines weissen Deutschschweizers, kommt er aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie schön doch die Schweiz ist!
  • Natürlich auch pünktlich und etwas kleinkariert, wenn auch auf herzliche Weise: Als es kommt, wie es kommen muss, und eine strenge Kondukteuse nach dem Billett verlangt, machen Noah und Federer lange Gesichter (der das gut spielt) und blicken sich ratlos an. Dass Noah darauf hinweist, dass er ein weltberühmter Komiker sei, hilft ihm in diesem brutal egalitären Land gar nichts. Die SBB-Angestellte sagt: «You cannot pay me in jokes»

Wenn sie da wohl auch richtig liegt aus Sicht der SBB, so sind wir doch alle erleichtert, als sich eine Passagierin, die Federer bewundert, der beiden Schwarzfahrer erbarmt und die Rechnung übernimmt.
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«You cannot pay me in jokes». Die Zeile ist gut, aber vollkommen falsch.
  • Trevor Noah zählt zu den reichsten Comedians der Welt, sein Vermögen beläuft sich auf 100 Millionen Dollar. Offensichtlich kann man mit Witzen Geld machen

Wenn Federer auch nicht lustig ist, sondern menschenfreundlich, dann verdankt er seine Karriere ebenfalls dem Show Business, das Sport genannt wird; allein 2022 verdiente er 90 Millionen Dollar – obwohl der einstige Tennisspieler gar nicht mehr spielt. Sein Einkommen beruht auf Werbeverträgen, Spots wie dieser Bahnreise oder Sponsoren
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Auf den ersten Blick ist nicht ganz nachvollziehbar, warum Federer und Noah mit Werbung Geld verdienen. Warum vertrauen wir ihnen?
  • Federer hat keine Ahnung, wie eine Kaffeemaschine funktioniert(so mein Verdacht), noch habe ich je gehört, dass er sich in Kaffeesorten oder in deren Herstellungs- und Verarbeitungsprozessen auskennt – trotzdem wirbt er seit Jahren für Jura-Kaffeemaschinen
  • Noah ist in Johannesburg aufgewachsen und lebt heute in New York. Als Comedian – nicht als Reiseplaner. Warum sollte ich ihm glauben, dass die Schweiz ihre schönen Seiten hat?

Joseph Henrich, ein amerikanischer Anthropologe, der in Harvard lehrt – ich habe ihn in einem Memo bereits vorgestellt – hat dieses Phänomen untersucht. Es ist viel älter, als wir uns dies vorstellen. Tatsächlich steckt dahinter eines jener Geheimnisse unseres evolutionären Erfolges, das noch heute relevant ist:
  • Im Vergleich zu unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen oder Gorillas, zeichnet uns nicht unbedingt das grössere Hirn aus – es ist nicht so viel umfangreicher, noch sind wir so viel intelligenter
  • Vielmehr haben wir die Menschenaffen weit hinter uns gelassen, weil wir die besten Schüler aller Zeiten sind
  • Der Mensch lernt von klein auf: Rituale, Hierarchien, Sprachen, Lieder und Geschichten, die wesentliche Informationen enthalten, Organisationswissen oder Kenntnisse der Natur: Wie mache ich eine Kartoffel essbar (eigentlich giftig), wie sorge ich dafür, dass ich Fleisch essen kann, ohne dass mich lebensgefährliche Bakterien, die sich darin verbergen, krankmachen (indem ich sie mit Pfeffer abtöte)

Henrich spricht von «Cultural Learning», von kulturellem Lernen, das gleichzeitig mit der genetischen Evolution ablief (und das immer noch tut). Es handelt sich um einen dialektischen Prozess, will heissen, genetische Anpassungen führten zu kulturellen Errungenschaften und umgekehrt. Das eine ergab das andere. So entstand die Sprache, so entstand die Kultur im weitesten Sinne. Wenn der Menschen heute das erfolgreichste Tier des Planeten ist, dann liegt es daran: Dass wir so eifrig, ja mit Leidenschaft und unerschöpflicher Neugierde lernen.
Weil Lernen so essenziell ist, muss der Mensch allerdings auch wissen, von wem er etwas lernen kann. So lassen sich unter Menschen zwei soziale Hierarchien ausmachen:
  • Schon immer gab es die alte Hierarchie der Dominanz, die auch die Menschenaffen kennen, wo das Alphatier sich mit Gewalt und Einschüchterung nach oben boxt
  • Daneben wuchs nun aber eine neue, zutiefst «menschliche» Rangordnung heran: Jene des Prestiges. Solche mit Prestige ausgestatteten Leute verfügten selten über mehr körperliche Kraft oder über einen formalen Rang, der sie abhob, sondern sie verdankten ihre Stellung dem Know-how, das sie besassen

Deshalb waren sie begehrte Gesprächspartner, Mentoren oder Lehrer. So wie wir heute einen Experten befragen, in der Erwartung, dass er uns erklärt, warum die Credit Suisse zusammengebrochen ist – was je nachdem, wie wir unser Geld angelegt haben, existenzielles Wissen darstellt –, so fanden früher Interviews mit den besten Jägern oder den erfahrensten Köchinnen statt. Wenn auch am Lagerfeuer statt im Fernsehen.
  • Wer am besten jagen konnte, den bewunderte man nicht bloss, man imitierte ihn
  • Wer sich in der Zubereitung von Essen auszeichnete, wurde zum Vorbild für die Jüngeren

Dabei stand stets das Überleben auf dem Spiel. Umso unerlässlicher schien es, den besten Lehrer zu erkennen. Deshalb kam Prestige eine solche Bedeutung zu. Wenn ein junger Mann merkte, dass ein Älterer von allen im Dorf verehrt wurde, dann musste dieser wohl etwas beherrschen – ganz gleich, ob das auch nach flüchtigem Blick ersichtlich war.
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Jetzt kommen Federer und Noah ins Spiel. Weil sie auf ihrem Gebiet zu den Besten zählen, haben sie sich viel Prestige erworben (nicht Macht), – und weil wir dazu neigen, jeden, der Prestige geniesst, für ein Modell in allen Lebensfragen zu halten (was früher meistens Sinn ergab), unterstellen wir «ganz natürlich», dass Federer auch besser Bescheid weiss,
  • welche Kaffeemaschine den besten Kaffee braut
  • Während Noah, dieser schlagfertige, immer scharfsinnige Mann, bestimmt auch besser im Bild ist, wie man am seine Ferien verbringt
Mit anderen Worten, die beiden mehrfachen Millionäre leben gut davon, dass wir immer noch meinen, dass sie auch den fettesten Bären erlegen, sobald sie sich auf die Jagd begeben.
Trevor Noah wuchs in ärmlichen Verhältnissen allein mit seiner Mutter auf. Vor kurzem schrieb er seine Wohnung in New York für 13 Millionen Dollarzum Verkauf aus. Wenn jemand weiss, wie man sich nach oben bringt, dann er, der Mann, der mit Witzen bezahlt. Ein Vorbild. Und er weiss es selbst, wenn er sagt:
«Die Leute belehren immer die Armen: ‹Übernehmen Sie Verantwortung für sich selbst! Machen Sie etwas aus sich!› Aber mit welchen Rohstoffen können die Armen etwas aus sich selbst machen? Menschen

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende
Markus Somm

PS: Den glänzenden Werbespot von Schweiz Tourismus sehen Sie hier: Link
PPS: Joseph Henrich, The Secret of Our Success. How Culture Is Driving Human Evolution, Domesticating Our Species, and Making Us Smarter, Princeton University Press, 2016.

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