Somms Memo
Schweiz-EU: Alexandre Fasel heisst der neue Kapitän auf der Titanic.
Alexandre Fasel, neuer Staatssekretär, und sein Chef, Bundesrat Ignazio Cassis (FDP). (Bild: Keystone)
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Die Fakten: Alexandre Fasel ist neuer Staatssekretär des EDA. Er soll die Gespräche mit der EU über ein Rahmenabkommen 2.0. vorantreiben.
Warum das wichtig ist: Mit Fasel tritt der sechste EU-Unterhändler an – innert 9 Jahren. Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.
Mit Blick auf die Ernennung von Alexandre Fasel verglich die NZZ die Verhältnisse im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mit dem FC Sion:
- Wo die Trainer häufiger kommen und gehen, als die Mannschaft unter der Dusche steht
Vielleicht muss man den Vergleich zuspitzen. Das EDA gleicht noch eher einer Mannschaft wie dem FC Grenchen, der sich mit dem FC Bayern München messen muss,
- Wobei das Problem nicht darin liegt, dass der FC Bayern wohl besser spielt, weil mächtiger und grösser – damit haben sich die Grenchner Fans längst abgefunden
- Vielmehr sind die Grenchner Spieler das Problem. Sie möchten unbedingt dem Trainer des FC Bayern Eindruck machen, damit der sie unter Vertrag nimmt
So weit, so gut. Doch anstatt, dass sich die Spitzenspieler des EDA (FC Grenchen) um ein ehrenvolles Unentschiedenbemühten,
- Schiessen sie ständig Eigengoals
- In der Hoffnung, der Trainer des FC Bayern danke es ihnen mit einem Angebot
Damit will ich nicht den Patriotismus unserer Spitzendiplomaten angezweifelt haben. Sicher wollen sie nur das Beste – die Eigengoals schiessen sie unabsichtlich.
Aber, was fast alle von ihnen kennzeichnet, die seit gut 30 Jahren mit der EU verhandeln:
- «They went native» – sie wurden zu Einheimischen –, bevor sie auch nur in Brüssel eingetroffen waren
- will heissen: innerlich fänden sie den EU-Beitritt wohl erstrebenswert – und wenn das nicht, dann halten sie eine weitere Integration in die EU für unvermeidlich, ja historisch folgerichtig
Mit anderen Worten, seit 30 Jahren reisen weitgehend die gleichen vornehmen, europhilen Weltbürger nach Brüssel und erzielen durchaus Abschlüsse,
- wie etwa die Bilateralen Abkommen I und II
- Allerdings zu einem Preis, den sie selber nicht bezahlen, sondern ihre Nachfolger
Um von der EU Zugeständnisse zu erhalten, haben sie in Brüssel oft den Eindruck erweckt (weil selber davon überzeugt), dass die Schweiz dann schon noch irgendeinmal der EU beitreten würde.
Erst in der jüngsten Vergangenheit, nachdem die Euroskepsis in der Schweiz sich so unübersehbar und flächendeckend verbreitet hatte, hörten sie auf, der EU falsche Hoffnungen zu machen. Sie sahen wohl selber ein, dass sie damit auch ihre eigenen Hoffnungen zu begraben hatten. Seither ist die EU, besser: die EU-Kommission etwas gereizt – und wenig kompromissbereit. Was man verstehen kann.
Das ist das eine. Das andere hat mit Fundamentalerem zu tun.
- Warum tut sich die Schweiz so schwer mit der EU?
Seit 1992, seit das Schweizer Volk den EWR verworfen hat, sind wir nicht mehr vom Fleck gekommen, weil der Grund, der uns von der EU trennt, stets im Raum geblieben ist:
- Unter dem Vorwand der wirtschaftlichen Integration strebt die EU auch eine politische an, ja, sie sagt es in ihren wichtigsten Verträgen auch offen, wo sie als Ziel «die Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas» festgelegt hat (Vertrag von Lissabon, 2007)
- Ein Mittel zum Zweck ist dabei der Binnenmarkt, an dem die Schweiz um jeden Preis teilnehmen möchte
Um jeden Preis? Wenn die EU den Binnenmarkt und insbesondere die Gesetzgebung, die ihn betrifft, weiterentwickelt, dann geht es der EU immer um beides:
- um eine Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarktes, was in der Regel auf eine weitere Harmonisierung der nationalen Gesetze hinausläuft und dabei laufend neue Bereiche durchdringt
- um ein politisches Projekt: Die EU soll damit selber zu einem neuen Staat werden, selbst wenn man nicht so genau definiert, was darunter zu verstehen ist
Entscheidend für die Schweiz: Es werden ständig neue Regeln und Gesetze in neuen Bereichen geschaffen – die wir, da Teilnehmer des Binnenmarktes, dann übernehmen müssen, ohne allzu viel dazu sagen zu können.
Das nennen die Eurologen dann «Dynamisierung», was so erfrischend dynamisch klingt, also fortschrittlich, in Tat und Wahrheit aber einen Rückschritt bedeutet, zumal für die super-demokratische Schweiz:
- Alles, was den Binnenmarkt anbelangt, wird in Brüssel entschieden
- Und nicht mehr in Bern (oder von Volk und Ständen)
Weil der Binnenmarkt – wie gesagt – unablässig neue Felder miteinbezieht, hat diese Dynamisierung einen sehr unberechenbaren Charakter. Ständig sind es neue Dinge, die auf uns zukommen.
- Wer hätte 1992 gedacht, dass wir irgendwann die Unionsbürgerrichtlinie akzeptieren müssten, obwohl wir doch nicht einmal Mitglied dieser Union sind?
Kurz, solange die Schweizer und Schweizerinnen Wert darauflegen, ihre eigenen Gesetze zu schreiben und zu beschliessen, wird eine «Dynamisierung» nie und nimmer mehrheitsfähig in diesem Land.
Kein Souverän entmachtet sich selbst, es sei denn, man führt ihn zur Guillotine.
Das war 1992 beim EWR so. Das war beim Rahmenabkommen 1.0. der Fall. Das gilt auch für das Rahmenabkommen 2.0., das der Bundesrat neuerdings anstrebt.
So gesehen ist Alexandre Fasel nicht zu beneiden. Auch er wird scheitern. Was ihn offensichtlich nicht davon abhielt, das Himmelfahrtskommando anzunehmen. Aus Ehrgeiz? Aus Patriotismus?
Vielleicht auch nur, weil er in drei Jahren sowieso in Pension geht. Er ist 62. Was hat er zu verlieren? Er erinnert an einen Todkranken, der noch etwas Lebensgefährliches erleben will.
Als sich 1918 abzuzeichnen begann, dass Deutschland und Österreich-Ungarn den Krieg verlieren würden, soll Berlin, so geht die Legende, nach Wien telegrafiert haben:
- «Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos».
- Wien kabelte zurück: «Nein. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst».
Müsste Bern heute eine Antwort geben, so lautete sie:
- «Die Lage ist sowohl ernst als auch hoffnungslos – oder umgekehrt».
Ich wünsche Alexandre Fasel viel Glück – und Ihnen einen schönen Tag
Markus Somm