Somms Memo

Saudi-Arabien und Joe Biden. Oder wie man sich ins Knie schiesst und dabei den Kopf trifft. Eine Gebrauchsanleitung.

image 6. Oktober 2022 um 10:00
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman und der russische Präsident Wladimir Putin. Selten so gelacht.
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman und der russische Präsident Wladimir Putin. Selten so gelacht.
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Die Fakten: Die OPEC und ihr nahestehende Staaten haben beschlossen, ab November pro Tag 2 Millionen Fass Rohöl weniger zu fördern. Kurz darauf stieg der Ölpreis.

Warum das wichtig ist: Das ist ein Triumph für Putin, und ein Debakel für Biden. Niemand – ausser den Europäern – lassen sich von ihm noch beeindrucken.


Wochenlang haben die Amerikaner alles getan, um Saudi-Arabien, das führende Land der Organisation erdölexportierender Länder OPEC, davon abzubringen, die Ölproduktion zu drosseln
  • Joe Biden, der US-Präsident persönlich, flog im Juli ins Königreich, um den Kronprinzen Mohammed bin Salman darum zu bitten – ja, er verlangte gar nach mehr Öl. MBS, wie er genannt wird, gilt als der faktische Herrscher
  • Es war ein Gang nach Canossa. Bevor Biden zum Präsidenten gewählt worden war, hatte er im Wahlkampf versprochen, Saudi-Arabien zu einem «Paria» unter den Nationen zu machen
  • Anlass war die Affäre Jamal Khashoggi. MBS hatte den regimekritischen, saudischen Journalisten in Istanbul ermorden lassen – was er später sogar zugab
  • Trotzdem hatte sich Donald Trump, Bidens Vorgänger, geweigert, den Anschlag je zu verurteilen. Um sich von Trump, dem Freund der Monster, abzuheben, machte Biden an einer Debatte der Demokratischen Kandidaten diese Aussage

Heute würde er sich wohl lieber die Zunge abbeissen – und seine Worte verspeisen.
Denn die Saudis, seit dem Zweiten Weltkrieg enge, wenn auch schwierige, da oft blutrünstige Verbündete der USA, hatten Bidens unfreundliche Worte nicht vergessen. MBS liess Biden warten. Keine Zeit im königlichen Terminkalender für den Vertreter einer Republik.
Als Biden dann doch nach Dschidda am Roten Meer reisen durfte, um den Kronprinzen zu treffen, war die Erleichterung in Washington mit Händen zu greifen – auch wenn man das natürlich nie gezeigt hätte.
Zu peinlich schien es. Dass der mächtigste Mann der Welt um einen Termin in der Wüste froh sein musste.
  • Als Kaiser Heinrich IV. seinerzeit im Januar 1076 nach Canossa zog, um Papst Gregor VII. um Vergebung zu bitten und ihn dazu zu bewegen, die Exkommunikation aufzuheben, soll er drei Tage vor der Burg gewartet haben, bis der Papst ihn einliess. Vielleicht schneite es, sicher war es kalt. Norditalien im Winter und das im Mittelalter. Heinrich trug ein Büssergewand und ging barfuss.
  • Da hatte Biden, ein irischer Katholik, mehr Glück. So viel ich weiss, durfte er im warmen Dschidda die Schuhe anbehalten, als er den Kronprinzen begrüsste.

Die Saudis müssen den Moment gleichwohl genossen haben – wie Feinschmecker den Moment, da sie dem Frosch den Schenkel ausreissen.
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Zwar war ihr Land schon immer mächtig, weil es sich hier um den zweitgrössten Erdölproduzenten der Welt handelt. Doch seit Russland die Ukraine überfallen hat, und der Ölpreis deshalb anzog wie selten zuvor, ist Saudi-Arabien übermächtig.
Super-Saudi-Arabien.
  • Zumal der höhere Ölpreis die Wirtschaft weltweit belastet, vor allem den Westen, der kein russisches Öl mehr will
  • Gleichzeitig hat der steigende Ölpreis insbesondere in den USA die Inflation auf einen Rekordstand hochgetrieben
  • Kein Wunder, hoffte Biden, die Saudis würden mehr Öl produzieren, um dessen Preis unter Kontrolle zu halten

Wenn ein Missstand Biden in Schwierigkeiten bringt, dann die Inflation, die viele seiner Wähler ins Elend stürzt. Im November stehen Zwischenwahlen an. Der Ölpreis hatte zu sinken – um jeden Preis.
Zunächst schien der Bittgang nach Dischidda seinen Zweck erfüllt zu haben. Kaum war Biden in Washington zurück, gab die OPEC bekannt, 100 000 Fass pro Tag mehr produzieren zu wollen.
Gestern, wenige Monate später, nahm MBS doch noch Rache. Als hätte Biden nie bei ihm vorgesprochen, kündigte die OPEC das Gegenteil dessen an, was die Amerikaner sich erhofft hatten:
  • Die OPEC, genauer: die OPEC+ will ihre Produktion ab November um 2 Millionen Fass pro Tag herunterfahren (zur OPEC+ zählen weitere 11 Staaten, darunter Russland oder Mexiko)
  • Die 100 000 Fass mehr Öl, die Biden im Juli herausgeholt hatte, entsprechen 5 Prozent dieser gigantischen Reduktion der Fördermenge

Mit anderen Worten, jetzt auf Amerikanisch: MBS really f* JB.
Es ist ein Debakel sondergleichen, wenn man weiss, was im Hintergrund in den vergangenen Wochen abgelaufen ist: Biden tat alles, was in seiner Macht stand, um MBS günstig zu stimmen
  • Das Weisse Haus strebte einen 45-tägigen Aufschub in einem amerikanischen Zivilprozess an, wo es darum geht, dem Kronprinzen die Immunität abzusprechen in Sachen Khashoggi-Mord. Biden, der MBS und sein Land zum Paria machen wollte, versuchte nun, ihn vor juristischen Folgen zu schützen
  • Biden hatte ihm auch angeboten, der OPEC 200 Millionen Fass Öl abzukaufen, wenn das Ölkartell dafür ihre Produktion aufrechterhielt. Das Öl sollte in die Strategic Petroleum Reserve (SPR) fliessen, eine Notreserve der USA für harte Zeiten
  • Biden zeigte sich bereit, 80 Dollar pro Fass zu zahlen. Im Frühling 2020 hatte Trump die SPR mit einheimischem Öl füllen wollen – da sie bedenklich knapp geworden war. Er wollte damit die amerikanische Ölindustrie unterstützen. Der Preis damals: 24 Dollar pro Fass. Die Demokraten hintertrieben das, und Chuck Schumer, der Demokratische Führer im Senat, sprach mit Genugtuung von einem Sieg über «Big Oil»
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Heute schätzten sich die Amerikaner, auch die Demokraten, ja selbst Biden, wohl glücklich, sie hätten damals das Geschäft abgeschlossen – ungeliebter Trump hin oder her. Sein Deal war besser. 24 Dollar oder 80 Dollar?
Doch MBS ging ohnehin nicht auf Bidens überhöhtes Angebot ein, so dass die USA nun Öl zu einem noch höheren Preis kaufen müssen.
Biden, der kuriose Präsident. Biden, der angetreten war als Pragmatiker, stellt sich immer mehr als Ideologe heraus.
Wenn ihm eine Minute des unideologischen Denkens vergönnt wäre, könnte er den Ölpreis innert kürzester Zeit herunterbringen.
  • Indem er Amerika, den grössten Ölproduzenten der Welt, einfach erlauben würde, mehr Öl aus dem Boden zu pumpen und damit den Weltmarkt zu schwemmen. Es wäre ein Kinderspiel für Big Oil, der leistungsfähigsten Ölindustrie der Welt, – und die OPEC könnte nichts dagegen tun
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Der Gang nach Canossa. Heinrich IV. unterwirft sich dem Papst, barfuss. Januar 1076.
Warum zögert Biden?
Weil die Demokraten sich dem Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen verschrieben haben.
  • Seit dem Zweiten Weltkrieg hat keine Regierung so wenig Ölkonzessionen erteilt wie die Administration Biden
  • Wo immer es geht, wann immer möglich, verhindern Bidens Leute, dass in Amerika mehr Öl und Gas produziert wird

Die Politik des Irrsinns.
Lieber fordert Biden die Saudis auf, Öl zu pumpen, als das selber zu tun. Aus den Augen aus dem Sinn. Solange das in der Wüste passiert und nicht in Amerika, ist es offenbar besser für das Klima.
Es ist sicher besser für Putin. Jede Preiserhöhung für Öl gestattet es ihm, seinen Krieg noch länger zu führen.
MBS lacht, Putin lacht und Biden vergisst, warum er lacht.
Oder wie es Kurt Tucholsky, ein grosser deutscher Spötter, gesagt hat:
«Solche Pleite erkennt man daran, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr

Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Tag Markus Somm

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