Ethikerin kritisiert: «Aus einer Organspende wird eine automatische Organentnahme»
Künftig gilt jeder Mensch als potentieller Organspender, wenn er sich nicht explizit dagegen anspricht – so will es das Parlament. Die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle kritisiert diese Widerspruchslösung. Auch beim indirekten Impfzwang gegen Covid gelte es, die Integrität des Menschen zu schützen.
Sollen Menschen künftig automatisch als Organspender gelten, wenn sie sich nicht dagegen aussprechen? Bild: Keystone
In der Schweiz gibt es viel zu wenig Spenderorgane, die schwer kranken Menschen das Leben retten können. Das Parlament hat darum bei der Organspende die sogenannte Widerspruchslösung beschlossen: Künftig muss man sich zu Lebzeiten explizit dagegen aussprechen, wenn man nach dem Tod nicht automatisch zum Organspender werden will. Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin der Stiftung Dialog Ethik und Spezialistin für ethische Fragen im Gesundheitswesen, findet diesen Entscheid problematisch. Der Staat trete plötzlich nicht mehr als Hüter der Integrität der Menschen auf, sondern erhebe Anspruch auf deren Organe, sagt sie im Gespräch mit dem «Nebelspalter».
Auch in anderen Bereichen sei die Hoheit der Menschen über ihre eigene Person zunehmend in Frage gestellt, stellt Baumann-Hölzle fest – obwohl die Würde des Menschen eine zentrale Errungenschaft der Aufklärung sei. Die Antwort auf die Frage, ob beim Thema Covid ein unzulässiger Impfzwang aufgebaut werde, hänge davon ab, wie weit der Staat das Leben ungeimpfter Personen einschränke. Die Integrität der Menschen sei noch nicht gefährdet, wenn Aktivitäten des alltäglichen Lebens – wie eine Reise im öffentlichen Verkehr oder der Gang zum Bankschalter – weiterhin auch Ungeimpften offenstünden. Bei Einschränkungen von fakultativen Aktivitäten, wie dem Besuch eines Restaurants, eines Kinos oder eines Fitnesszentrums, stelle sich mehr die Frage, ob es sich um kluge Entscheide des Staates handle. Die Antwort hänge sehr davon ab, ob der kostenlose Zugang zu Covid-Tests als Alternative zum Impfen gewährleistet sei.
Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle